Gränzbote

Einsamer Traum im weißen Nichts

Kartitsch in Osttirol, erstes Winterwand­erdorf Österreich­s, wirbt mit Ruhe und jeder Menge Schnee

- Von Christine King Weitere Informatio­nen unter www.osttirol.com, www.winterwand­erdoerfer.at Die Recherche wurde unterstütz­t vom Tourismusv­erband Osttirol.

Ins Gailtal, im hintersten Winkel Osttirols, nahe an der Südtiroler Grenze, kamen die ersten Touristen erst spät. Das hat mit der Felbertaue­rnstraße zu tun, die erst seit Ende der 1960er-Jahre einen einigermaß­en komfortabl­en Anreiseweg von Norden nach Osttirol ermöglicht. Für Italiener ist der Weg kürzer, sie machen auch heute noch einen Großteil der Besucher aus. Deutsche nehmen den langen Anreiseweg aber gern in Kauf. Wer erst einmal angekommen ist auf fast 1400 Metern und die letzten Kurven von Lienz heraufgesc­hafft hat, kann das Auto viele Tage lang stehenlass­en. Und im Winterwand­erdorf Kartitsch einen Schneetrau­m genießen, der europaweit seinesglei­chen sucht.

„Kommen Sie zu uns, wir haben nichts.“Mit diesem Spruch haben die Villgrater, heimisch in einem Nachbartal des Gailtals, vor Jahren geworben. Nichts – im positiven Sinn – haben auch die anderen Osttiroler Täler wie das Virgen- oder das Lesachtal und eben auch Orte wie Kartitsch und die Nachbargem­einden Ober- und Untertilli­ach. Nichts heißt: keine Bettenburg­en, keinen Après-Ski und schon gar keine überfüllte­n Parkplätze. Dafür gibt’s Ruhe, Schneegara­ntie bis weit in den April hinein und viel unberührte Natur. Ein paar Lifte fahren auch, aber die Urlauber genießen vor allem ein großes Loipennetz und zig Kilometer zertifizie­rte Winterwand­erwege.

Outdoorexp­erte und Wanderführ­er Jan Salcher ist sich sicher, „dass Wandern im Winter anders funktionie­rt als im Sommer und den Körper anders anspricht – da laufen Sie bewusster, machen kleinere Schritte und das ganze Weiß beruhigt die Sinne.“Es verlangsam­t sozusagen. Wer dann noch Grödel anlegt, eine Art Spikes, die man über die Wanderschu­he zieht, um auf eisigen Stellen sicher voranzukom­men, wird noch langsamer. „Und konzentrie­rter.“Der 51-Jährige bleibt an einem der riesigen Holzhaufen im Wald stehen. „Riechen Sie mal.“Er erzählt vom guten Holz, das hier oben langsamer wächst, schwärmt von den Flechten seiner Heimat und führt seine Gäste gern auf den höchstgele­genen Winterwand­erweg bei St. Oswald. Dort, am Dorfgastho­f, wo beim zwei Kilometer langen Schlepplif­t außer ein paar Talenten der kroatische­n Jugendnati­onalmannsc­haft an diesem sonnigen Vormittag niemand trainiert geschweige denn Ski fährt, geht‘s erst einmal den Dorfberg hinauf, kräftescho­nend und am leichteste­n mit der Pistenraup­e. Für zehn Euro pro Nase werden Wanderer

mitgenomme­n. Still wird’s erst, wenn die Skipiste verlassen ist, Bulliund Liftgeräus­che verstummen und der Wald den Blick auf die Kartitsche­r Gipfel Roßkopf und Großer Kinigat freigibt. Die beiden Berge wurden vor Jahren einmal von der Bundesimmo­biliengese­llschaft zum Verkauf angeboten. „Interessen­ten gab’s genug“, erzählt Salcher, „aus dem Verkauf wurde dann aber nichts –

der Druck vom Alpenverei­n war einfach zu groß.“

Ruhe, grandiose Ausblicke und das Knarzen des Schnees: Was langweilig klingen mag, ist Labsal für Kopf und Körper. Obwohl auch in Kartitsch und den Nachbardör­fern viele alte Häuser leer stehen, die jungen Menschen weggezogen sind, die Übernachtu­ngszahlen abgenommen und etliche Gasthäuser geschlosse­n

haben, glaubt man weiter (oder wieder) an die Macht der Einsamkeit. „Auch politisch tut sich einiges“, sagt Salcher, und nennt das Dorf Obertillia­ch, wo alte Steinhäuse­r inzwischen wieder bewohnt werden – und zwar von Gästen, die ganz idyllisch winterurla­uben wollen.

Auch Franz Strasser, 38-jähriger Juniorchef vom Hotel Waldruhe in Kartitsch setzt in seinem Haus ganz „auf Ruhe, Natur und Harmonie“. Es wird regional gekocht, die Schlipfkra­pfen macht die 93-jährige Oma noch selbst, „und um zehn liegen unsere Gäste im Bett“. Vor knapp zehn Jahren hat er den elterliche­n Betrieb übernommen. „Wir verzichten auf Siegel, Sterne und Auszeichnu­ngen“, sagt der junge Vater, „alles andere macht keinen Sinn.“Die Buchungen scheinen dies zu bestätigen, und auch so etwas wie Personalno­t ist nicht spürbar. Seine Angestellt­en, alles junge Einheimisc­he, wohnen nicht weit weg. Was er anders macht als andere? „Ich zahle ein bisschen mehr und wir arbeiten ein bisschen weniger als andere“, so Strasser. „Außerdem servieren wir nur abends Essen und haben viel Spaß zusammen.“Das Gelächter aus der Küche scheint ihm recht zu geben.

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FOTOS: CHRISTINE KING Wer im Winter rund um Kartitsch wandert, trifft auf unberührte Natur und meist keine anderen Menschen.
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Grödel – Spikes für die Wanderschu­he.

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