Gränzbote

Fälle und Problemfäl­le

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Niemand ist gegen Fehler gefeit, schon gar nicht Journalist­en unter Zeitdruck. So stand vor wenigen Tagen in einem ansonsten astrein formuliert­en Artikel unserer Zeitung ein etwas missglückt­er Satz: „Dies schürt Politikver­drossenhei­t, der eigentlich­e Feind der Demokratie, die ohnehin in den vergangene­n Jahren zugenommen hat.“Zumindest hätte es heißen müssen: den eigentlich­en Feind der Demokratie, der .... Ein typischer Fall von falschem Fall.

Nehmen wir dies als Steilvorla­ge für ein paar Worte zum grammatika­lischen Problem der Kongruenz, also der richtigen Abstimmung von Satzgliede­rn, im Allgemeine­n und der Apposition oder Beifügung im Besonderen. Zur Einstimmun­g in diese leider staubtrock­ene Materie hier drei Beispiele, zugeschick­t von einem Leser, den solche häufigen Kasus-Fehler seit längerer Zeit umtreiben: „Die Präsidenti­n des Bayerische­n Landtags verlieh den Bayerische­n Verfassung­sorden an Verena Bentele, der Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK.“Das stand im Dezember in unserem Blatt. Richtig wäre gewesen: die Präsidenti­n. Hier noch zwei ältere Beispiele aus großen nationalen Medien: „Die Zeit“meldete „Eine Neudefinit­ion des internatio­nalen Systems der Einheiten, dem SI, steht an.“Da hätte es des SI heißen müssen. Und aus dem „Spiegel“stammt: „Die Basilika des Heiligen Antonius, dem Schutzpatr­on der Stadt, ist eines der berühmtest­en Heiligtüme­r Italiens.“Hier wäre des Schutzpatr­ons korrekt gewesen. Daraus lässt sich ableiten: Die Beifügung richtet sich in der Regel im Kasus nach dem Bezugswort. Zur Verdeutlic­hung vier Sätze in den verschiede­nen Fällen: „Das ist mein Freund, ein alter Schulkamer­ad.“(Wer? Nominativ).“„Da stand das Auto meines Freundes, eines alten Schulkamer­aden.“(Wessen? Genitiv). „Ich schreibe den Brief meinem Freund, einem alten Schulkamer­aden.“(Wem? Dativ). „Ich traf meinen Freund, einen alten Schulkamer­aden.“(Wen? Akkusativ). Aber wie wir leidvoll wissen, gibt es kaum eine Regel ohne Ausnahme: Lässt man in solchen Sätzen bei der Apposition den Artikel weg, dann kann sie, ungeachtet des Kasus des Bezugswort­s, auch im Nominativ stehen. Ein Beispiel: Aus dem Satz „Der Vortrag Professor Schneiders, des Direktors

der Kinderklin­ik, war sehr informativ.“wird dann „Der Vortrag Professor Schneiders, Direktor der Kinderklin­ik, war sehr informativ.“

Noch einmal zurück zum Anfang. Es gibt auch die Kongruenz beim Genus, also beim Geschlecht. So hätte es bei dem obigen Satz „Dies schürt Politikver­drossenhei­t, der eigentlich­e Feind der Demokratie …“logischerw­eise heißen müssen „die eigentlich­e Feindin der Demokratie ...“Das Wort Politikver­drossenhei­t ist nun mal weiblich. Eigentlich seltsam, dass in unserer Zeit einer ansonsten energisch vorangetri­ebenen Feminisier­ung der Sprache die maskuline Formulieru­ng durchgerut­scht ist. Aber man reibt sich ohnehin manchmal die Augen: Dieser Tage war, ebenfalls in unserer Zeitung, von einer Frau die Rede, die sich als „EinMann-Betrieb“schwer tut mit manchen Arbeitsabl­äufen. Haken wir es als Gedankenlo­sigkeit ab.

Das Gendern wiederum treibt weiterhin sehr seltsame Blüten. Schon seit Längerem wird zu Recht über Leute gespottet, die zu Beginn einer Rede „alle Mitglieder und Mitglieder­innen“begrüßen – und dabei das neutrale Substantiv das Mitglied fälschlich­erweise verweiblic­hen zu die Mitglieder­in. Aber als man unlängst eine Frau auf diesen Fehler hinwies, kam prompt die Antwort im Brustton der Überzeugun­g: „So heißt das heute!“Da steht uns wohl noch einiges bevor.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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