Gränzbote

„Wir sind glücklich, dass er da ist“

Antonio Licciardo aus Rottweil hat das Angelman-Syndrom – So sieht das Leben seiner Familie aus

- Von Moni Marcel

- Das Angelman-Syndrom ist ein seltener, angeborene­r Gendefekt, der bei einem von etwa 15.000 Kindern vorkommt. Am 15. Februar ist der Internatio­nale Angelman-Tag, bei dem betroffene Familien auf das Syndrom aufmerksam machen. Eine davon ist die Familie Licciardo aus Rottweil. Ihr Sohn Antonio ist inzwischen 22 Jahre alt, und während sein Zwillingsb­ruder Manuele längst seiner eigenen Wege geht, braucht Antonio rund um die Uhr Betreuung.

Früh zeigte sich, dass sich Antonio nicht so entwickelt­e wie sein Zwillingsb­ruder, der laufen und sprechen lernte und nachts meist schlief, während Antonio seine Eltern auf Trab hielt. Nach vielen Klinikaufe­nthalten stand fest, dass Antonio das Angelman-Syndrom hat und in vielen Dingen sein Leben lang ein Kleinkind bleiben wird. Inzwischen hat die Familie vieles gelernt und geht mit Engelsgedu­ld mit Antonio um, der, so seine Mutter Maria, gerade in der Pubertät ist. Das bekommt auch der Besuch zu spüren: Antonio kann es kaum erwarten, dass endlich ein Foto gemacht wird und würde am liebsten die Kamera an sich reißen. Vorübergeh­end lässt er sich von Block und Stift ablenken, lange hält das aber nicht. Auch sein iPad mit den Symbolen, die ihm helfen, sich auszudrück­en, hilft nur ganz kurz. Schließlic­h darf er seinen Lieblingsf­lm über die Rottweiler Fasnet angucken, den will er aber ganz laut, also nimmt ihn Papa Vincenzo mit in sein Zimmer, wo er sich beruhigt. Es falle ihm schwer, sagt Maria Licciardo, dass er sich nicht ausdrü-cken kann – versteht er doch alles, was die anderen sagen, egal ob Deutsch oder Italienisc­h. Dafür hat er eigentlich das iPad, doch da fehlt ihm manchmal einfach die Geduld. Verständig­en kann er sich auch mit Gebärdensp­rache, aber auch das versteht eben nicht jeder. Und dann kann er schon mal Mamas lange Haare packen oder den nun lästig gewordenen Stift ins Eck pfeffern.

Das ist anstrengen­d, war es in Corona-Zeiten noch viel mehr, als er die ganze Zeit zuhause war. „Das war ganz schlimm“, erzählt Maria Licciardo. Auch der Kontakt zur Familie war fast nicht möglich, die sonst gerne aushilft bei der Betreuung. Doch das ist zum Glück überstande­n, jetzt wird er tagsüber wieder im Kloster Heiligenbr­onn betreut. Überstande­n ist auch die Fuß-Operation letztes Jahr, denn Antonio hatte einen Klump-Senkfuß, der ihn beim Laufen behinderte. Längerfris­tig hätte das auch zu Problemen mit der Wirbelsäul­e führen können. Also die Operation, das bedeutete danach wochenlang noch mehr Pflege, Antonio saß im Rollstuhl – die Wohnung der Licciardos ist im ersten Stock – und musste alle zwei Wochen nach Stuttgart zum Gipswechse­ln in die Klinik gebracht werden.

Jetzt läuft er wieder, hat nun aber kurze Absencen, vermutlich epileptisc­he Anfälle, und das ist ungewöhnli­ch beim Angelman-Syndrom, zumindest jetzt. Maria Licciardo erzählt, dass Betroffene öfter unter

Epilepsie leiden, aber normalerwe­ise im Kleinkinda­lter, später verschwind­et das dann. Bei Antonio tauchen die Anfälle jetzt erst auf. Ja, sagt Maria Licciardo, es ist eine sehr herausford­ernde Aufgabe mit so einem Kind. Vor allem jetzt, denn das Kind ist inzwischen ausgewachs­en und braucht dennoch Hilfe bei allen Dingen. „Aber wir sind glücklich, dass er da ist!“Was wird, wenn sie und ihr Mann das nicht mehr leisten können? Man wird sehen. Der Zusammenha­lt der Familie ist jedenfalls eine große Unterstütz­ung, „und wir lernen auch Dinge, die man sonst nicht lernen würde.“Die Engelsgedu­ld beispielsw­eise, wenn Antonio mal wieder was gegen den Strich geht und in Mamas Haare greift. Denn da ist eben auch die andere Seite dieses Angelman-Syndroms: Antonio

ist unglaublic­h fröhlich, strahlt die meiste Zeit, und vor lauter Glück und Vorfreude auf die heiß ersehnte Foto-Session wird auch der Besuch umarmt und abgeküsst. Und er liebt die Rottweiler Fasnet – wie gut, dass die in diesem Jahr wieder stattfinde­t, Antonio kann es kaum erwarten. Bis dahin wird er sicher noch gefühlt 2000 Mal den Film darüber auf seinem iPad anschauen.

Am 15. Februar werden in vielen Städten der Welt Monumente blau angestrahl­t, um auf das AngelmanSy­ndrom aufmerksam zu machen. Maria und Vincenzo Licciardo würden sich wünschen, dass dann auch das Schwarze Tor oder vielleicht der Testturm blau leuchten könnten, im Moment haben sie jedoch keine Zeit, sich darum zu kümmern. Aber vielleicht nächstes Jahr.

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FOTO: MONI MARCEL Antonio mit seinen Eltern Maria und Vincenzo Licciardo.

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