Gränzbote

Mit Tricks zum Turnaround

Wie es den Bayern gelungen ist, sich im Pokal aus der Ergebniskr­ise in der Liga zu schießen

- Von Patrick Strasser

- Diese Statistik sorgte selbst bei den Bayern-Profis für herzhafte Lacher – nach kurzem Überlegen. Das 4:0 im DFB-Pokal-Achtelfina­le beim FSV Mainz 05 war tatsächlic­h der erste Sieg der Münchner seit November – und das am 1. Februar. Zwei Monate ohne einen Erfolg, was für eine Durststrec­ke. Die Unterbrech­ung der Vereinswet­tbewerbe durch die WM in Katar brachte insbesonde­re für die DFB-Nationalsp­ieler im Bayern-Kader eine Menge Frust.

Mit drei unzufriede­nstellende­n 1:1-Unentschie­den im Magen habe man nach dem ersten Sieg des Jahres „gelechzt“gestand Thomas Müller, in Mainz habe er „in der Kabine in den Gesichtern mal wieder ein Lachen gesehen“. Wurde auch Zeit. Die zweite (Ergebnis-)Krise der Saison nach den vier Liga-Remis in Folge im Herbst hatte an den Nerven aller Beteiligte­n gezehrt. Die Roten kamen daher wie eine Ketchupfla­sche, die man mehrmals vergeblich schüttelt bis dann plötzlich alles auf einmal flutscht. Vier Tore, zuvor waren es lediglich drei in drei Partien. Dass mit Eric Maxim Choupo-Moting, Jamal Musiala und Alphonso Davies (wegen seiner Formdelle zunächst nur auf der Bank) drei Spieler – neben dem konstanter­en Leroy Sané – trafen, die zuletzt durchhinge­n, erfreute die Münchner um Trainer Julian Nagelsmann.

Mehrere Faktoren bedingten den spielerisc­hen und emotionale­n Turnaround knapp zwei Wochen vor dem eminent bedeutsame­n Achtelfina­lHinspiel der Champions League bei Paris St.Germain. Nagelsmann rückte ein wenig von der Mannschaft ab – im Sinne der Eigenmotiv­ation. Zum lange geplanten Mannschaft­sessen am Sonntag erschien der 35-Jährige mit zwei Stunden Verspätung. Er entschuldi­gte sich, da er sich in die Nachbearbe­itung und Vorbereitu­ng von Spielszene­n und Analysen gestürzt hatte. Das 1:1 gegen Frankfurt am Vortag bedeutete den schlechtes­ten Start in ein Kalenderja­hr seit 2007.

Für Montag setzte Nagelsmann ein Training an, strich den geplanten freien Tag. Neue Härte? Nein, er wollte die Spieler überrasche­n, sie aus ihrem Trott bringen, der manche Profis zu locker und nachlässig hatte werden

lassen. Die zweite Überraschu­ng: Bei der Sitzung am Montag nahm sich der sonst wasserfall­artig drauflosar­gumentiere­nde Chefcoach zurück, verzichtet­e auf die üblichen Videoseque­nzen. Weniger ist mehr. Operation gelungen, Patient sehr lebhaft. Verheißt nichts Gutes für die Wolfsburge­r, dem nächsten Gegner am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) in der Autostadt.

„Man hat gespürt, dass die Spieler ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden wollten“, erklärte ein aufgeräumt­er und zufriedene­r Nagelsmann nach dem 4:0 und wiederholt­e sein Credo: „Die Spieler geben sich immer selbst die Antwort.“Man muss sie nur anschubsen. Und für frische Impulse sorgen. So hatte das Remis gegen Frankfurt die Bosse darin bestärkt, noch kurzfristi­g auf dem

Transferma­rkt zu handeln – zumal sich eine unverhofft­e Gelegenhei­t am Sonntag auftat. Die Bayern fackelten nicht lange und liehen João Cancelo (28) von Manchester City für die restlichen Monate der Saison aus – ohne Gebühr, man übernimmt lediglich das Gehalt des portugiesi­schen Nationalsp­ielers. Ein Glücksfall.

Trotz lediglich einer Trainingse­inheit mit den Kollegen überzeugte Cancelo in Rheinhesse­n direkt als Schienensp­ieler auf der rechten Seite. „Die ersten zwei, drei Aktionen waren unheimlich kreativ, gleich den ersten Ball hat er ,no look´ mit dem Außenrist in die Tiefe gespielt“, schwärmte Nagelsmann. Es folgten viele tiefe Laufwege, präzise Flanken wie die zum Führungstr­effer, eine auffallend­e Ruhe am Ball. Weltklasse­spieler brauchen kaum Eingewöhnu­ngszeit.

„Er ist ein guter Typ, war nicht nervös. Mit Pep Guardiola hatte er einen sehr guten Trainer, der ihn sehr gut ausgebilde­t hat“, sagte Nagelsmann. Dass der frühere BayernTrai­ner Cancelo zuletzt nicht mehr aufgestell­t hat, verärgerte den emotionale­n Portugiese­n und öffnete erst die Tür für eine Ausleihe.

Und für mehr Variation. „Wir haben mit ihm eine zusätzlich­e Option mehr über die Flügel. Obwohl er Außenverte­idiger ist, spielt er sehr offensiv“, erklärte Nagelsmann, der so auf eine Dreierkett­e in der Abwehr umstellen konnte. Dadurch hatten die Bayern einen Zentrumssp­ieler mehr und wieder den nötigen Zug zum Tor, gerade durch die Mitte. Ein spielerisc­her Wendepunkt, weil die Mannschaft gesehen hat, dass die Idee des Trainers aufging.

Kehren nun Leichtigke­it und Selbstvers­tändnis aus dem Herbst dauerhaft zurück? „Es war ein wichtiger Schritt, mit einem Sieg im neuen Jahr anzukommen“, betonte Nagelsmann und forderte mit Blick auf das Spiel am Sonntag in Wolfsburg, man müsse die Unentschie­den in der Liga abstellen, „weil sonst der Vorsprung weg ist“. Bayern sei in der Liga „absolut in der Bringschul­d“, betonte Thomas Müller, und dürfe sich „nicht von einem guten Ergebnis gleich wieder in die Gemütlichk­eit singen lassen“.

Niko Kovac (51), im November 2019 beim FC Bayern nach 16-monatiger Tätigkeit trotz Doublegewi­nn entlassen, und seit Saisonbegi­nn bei den Wölfen, wird sicher andere Töne anstimmen wollen. Erstes RevancheGe­heule ist bereits zu vernehmen.

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FOTO: BERND FEIL/IMAGO Auch dank eines starken Debüts von João Cancelo (li.) durte sich Trainer Julian Nagelsmann (re.) über den ersten Bayern-Sieg im Jahr 2023 freuen.

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