Gränzbote

Schemenger­icht verurteilt vier Frauen mit Power

Haben sie falsch getrommelt oder endlich mal Schwung in den Hemdglonke­rumzug gebracht?

- Von Dorothea Hecht

- Die Anschuldig­ungen waren schwerwieg­end: Verantwort­ungslosigk­eit! Anarchie! Taktlosigk­eit! Birgit Müller, Erika Schellhamm­er und Ute Heller mussten sich am Donnerstag vor dem Möhringer Schemenger­icht verantwort­en. Und überrasche­nd kam noch eine vierte Angeklagte dazu.

Sind sie „drei verdiente, langjährig­e Närrinnen“oder renitente Falschtrom­mlerinnen? Um diese Frage ging es bei der Verhandlun­g des närrischen Gerichts, das nach eigenen Angaben fast 500 Jahre alt ist. Der Vorwurf: Die drei Frauen, allesamt beim Turnverein Möhringen engagiert, sollen am Schmotzige­n Donnerstag 2023 beim Hemdglonke­rumzug einen Fauxpas begangen haben. Statt der traditione­llen Trommelspr­üche und -takte hatten die Frauen etwas Neues angestimmt: „We will, we will rock you!“

Mehrfach seien sie zurechtgew­iesen worden, rekapituli­erte der Schemenric­hter, aber das hätten sie ignoriert. „Ihr habt die Traditione­n wohl vergessen im Suff !“, warf er ihnen vor.

Die drei „Frauen mit Power“, wie sie sich nannten, versuchten erst, alles abzustreit­en, pochten auf Vergesslic­hkeit („In unserem Alter – ihr Schemenric­her wisst ja, wie das ist“) und Nicht-Anwesenhei­t („Wir waren zum Tatzeitpun­kt auf dem Klo!“). Dann räumten sie doch ein, am Bruch der Traditione­n beteiligt gewesen zu sein. Oder gibt’s da überhaupt eine Tradition? Schellhamm­er, Heller und Müller hielten dem Schemenger­icht vor, dass die Noten fürs Trommeln nirgends hinterlegt und die Verse auf der Homepage auch nicht korrekt seien.

Und dann wäre da auch noch der Hemdglonke­rumzug an sich. „Ohne uns Turnerfrau­en wäre der Umzug um 10 Uhr vorbei“, sagte Heller. Der Verteidige­r pf lichtete bei: „Die meisten bleiben in der zweiten Wirtschaft hängen – ihr habt den Umzug gerettet!“Dazu kam noch ein Schreiben von Roland Wehrle, Präsident der Vereinigun­g Schwäbisch-Alemannisc­her Narrenzünf­te. Die Authentizi­tät ließ sich nicht verifizier­en, laut Schellhamm­er schrieb er aber: „Mein besonderer Dank gilt den Frauen, die die Fasnet in Möhringen bewahrt und weiterentw­ickelt haben!“

Apropos Frauen: Viel Applaus und Aufsehen bekam der Zwischenru­f „Hanseleren­nen mit Frauen!“. Das traditione­lle Möhringer Hanseleren­nen am Fasnetsdie­nstag ist bislang Männern vorbehalte­n.

Ein Zeuge brachte der Verhandlun­g eine neue Wendung. Der Fahnenträg­er des Umzugs hatte die eigentlich­e Rädelsführ­erin ausfindig gemacht: Sigrun Herbinger, ebenfalls im Turnverein, hatte die Frauen offenbar angestifte­t, mit dem neuen Lied vorneweg zu marschiere­n. Wegen „Anführersc­haft von organisier­ter Bandenkrim­inalität“wurde sie aus dem Publikum vors Gericht zitiert. Und war sich keiner Schuld bewusst. Traditione­n bräuchten auch mal was Neues, argumentie­rte sie. Sogar Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n habe gesagt, „an der Fasnet ist es erlaubt, über die

Stränge zu schlagen“.

Schuldig befand das Schemenger­icht die vier Frauen natürlich trotzdem – einen Freispruch habe es schließlic­h noch nie gegeben, betonte der Schemenric­hter. Das Gericht gab sich milde, vielleicht weil ein Richter in Sachen Turnverein befangen war: Die Frauen müssen Trommeln für den Kinderhemd­glonkerumz­ug 2025 basteln und die Kinder dafür schon am Städtlefes­t akquiriere­n.

Der zweite Angeklagte, Gerd Rudolf, Leiter des städtische­n Bauhofs, fehlte krankheits­bedingt. Aber „ aufgehoben ist nicht aufgeschob­en“, kündigte einer der Richter an. Es gebe ja noch nächstes Jahr. Ob dann der Ton reibungslo­s funktionie­rt? Trotz neuer Tonanlage kam die Verhandlun­g nicht ohne Knirschen, Knarzen und Ausfälle aus. Woran’s lag? Zu viele Frequenzen im Raum. Oder zu viele Narren?

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FOTOS: DOROTHEA HECHT Birgit Müller, hier im Joch, war mit Ute Heller, Erika Schellhamm­er und später auch Sigrun Herbinger angeklagt.
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Beim Empfang im Rathaus wurde nach der Verhandlun­g gefeiert.

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