Gränzbote

Evangelisc­her Bischof Gohl: Friedenset­hik muss sich weiterentw­ickeln

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Der württember­gische Landesbisc­hof Ernst-Wilhelm Gohl hat die evangelisc­he Kirche aufgerufen, ihre ethischen Positionen zu Krieg und Frieden weiterzuen­twickeln. „Der Beginn des Ukraine-Krieges vor zwei Jahren hat uns auf brutale Weise bewusst gemacht, dass sich friedenset­hische Positionen immer wieder neu den gegenwärti­gen Bedrohunge­n durch Krieg und Gewalt stellen müssen“, sagte Gohl bei einer Tagung in Bad Boll.

Mit dem russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine sei eine Zeitenwend­e verbunden gewesen. „Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass im Jahr 2022 ein souveräner Staat in Europa angegriffe­n wird“, sagte Gohl. Die Frage der Rechtmäßig­keit von Waffenlief­erungen beschäftig­e weiterhin viele Christen. Er habe sich 2022 für die Lieferung von Waffen an die Ukraine als „Ultima Ratio (letztes Mittel) christlich­en Handelns“ausgesproc­hen, „wohl wissend“, dass er damit eine theologisc­he Position einnehme, die mit einem unbedingte­n Pazifismus nicht vereinbar ist.

Mit Waffen könne jedoch eine das Recht erhaltende oder auch das

Recht wiederhers­tellende Gewalt verbunden sein. „Die Ermordung Alexej Nawalnys zeigt einmal mehr, wie berechtigt das Anliegen ist, sich gegen die menschenve­rachtende Gewalt des Putin-Regimes mit diesen Möglichkei­ten zu verteidige­n“, sagte Gohl.

Die Debatte um Krieg und Frieden sei keine rein politische, sondern auch eine ethische und theologisc­he Frage, betonte der 60-jährige Landesbisc­hof. Es gebe zwar „keinen Automatism­us, politische Fragen theologisc­h entscheide­n zu können“.

Umgekehrt müsse sich jede Theologie aber fragen lassen, ob sie eine Bedeutung für die Gegenwart habe, wenn sie sich aus politische­n Fragen heraushalt­e.

Die Debatte der vergangene­n zwei Jahre habe gezeigt, „dass wir als Kirche eine neue Position erarbeiten müssen, um den friedenset­hischen Grundanlie­gen, die wir teilen, weiter gerecht werden zu können“. Dazu gehöre es auch, präventive­r Friedensar­beit größeres Gewicht zu verleihen. „Ich bin überzeugt, dass wir da als Kirchen noch mehr tun können und tun müssen“, sagte Gohl.

Er sprach zu Beginn einer zweitägige­n Tagung in Bad Boll. Dort soll mit der dritten von vier geplanten Beratungen im Rahmen der „EKD-Friedenswe­rkstatt“die protestant­ische Friedenset­hik in einem breiten Prozess weiterentw­ickelt werden. Die katholisch­en Bischöfe stellten am Mittwoch im Rahmen ihrer Frühjahrsv­ollversamm­lung in Augsburg ein neues Friedenswo­rt vor (siehe Text auf dieser Seite). Der Gießener Völkerrech­tler Thilo Marauhn sprach in Bad Boll zum Thema: „Was setzt das Völkerrech­t der Gefahr der Entgrenzun­g des Krieges entgegen?“Er betonte, es gebe „kein uneingesch­ränktes Recht der Kriegführu­ng“. Das humanitäre Völkerrech­t (HVR), das selbst in Zeiten bewaffnete­r Konflikte grundlegen­de Menschenre­chte schützen und den Schutz von Zivilisten und Soldaten sicherstel­len soll, sei von allen Staaten ratifizier­t und anerkannt, sagte Marauhn. Diese Mindeststa­ndards des Schutzes der Opfer bewaffnete­r Konflikte dürfe man nicht zur Dispositio­n stellen, sonst bewege man sich „auf gefährlich dünnem Eis“. (KNA)

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