Sieben Tage lang in einer 1000 Meter hohen Felswand
100 Kilo Gepäck, schlafen auf winziger Plattform – Christian Kieselmayer und Georg Hermann erzählen
- In sieben Tagen eine 1000 Meter hohe glatte Felswand durchsteigen, auf einer ausklappbaren Plane schlafen und sich überwiegend von Marmeladenbroten zu ernähren: Nicht gerade das, was sich die meisten unter Urlaub vorstellen. Christian Kieselmayer aus Tuttlingen und Georg Hermann aus Wurmlingen haben es gemacht. Ihr Scheitern im ersten Anlauf und die erfolgreiche Durchsteigung im zweiten Versuch, schildern sie am kommenden Mittwoch in einem Vortrag.
Der „El Capitan“im YosemiteNationalpark in Kalifornien: Schon allein der Anblick ruft bei vielen Gänsehaut hervor. 1000 Meter erhebt sich die markante Felswand vom Talboden aus in die Höhe – manche Teile sind gar überhängend. Seit vielen Jahrzehnten zieht die berühmte Wand Kletterer aus aller Welt an. Es gab Rekordversuche, mehrere Filme wurden dort gedreht.
Es war vor rund zehn Jahren, als bei den beiden Kletterfreunden Georg Hermann und Christian Kieselmayer erstmals die Idee auf kam, gemeinsam einen Bigwall zu machen. Unter Bigwall versteht man das Durchsteigen großer Felswände, was meist mehrere Tage lang dauert. Georg Hermann hatte bereits drei derartige Touren hinter sich – unter anderem bezwang er mit seiner damaligen Partnerin Anfang der 2000er-Jahre die berühmteste Route am El Capitan, die „Nose“.
Doch dieses Mal sollte es noch eine Spur härter werden: Die beiden Kletterer des DAV Tuttlingen nahmen die Route „The Shield“ins Visier. „Super glatt, oft nur kleine Risse und dazu Überhänge“, fasst Christian Kieselmayer die Herausforderungen zusammen.
Wer nun an das denkt, was man sich allgemein unter „Felsklettern“vorstellt, hat weit gefehlt: Lockeres Klettern ist in Bigwalls fehl am Platz. Der erste Kletterer arbeitet sich Stückchen für Stückchen in die Höhe. Er schlägt Haken, verkeilt Spezialausrüstung in den dünnen Rissen und hängt Seile ein. Mit Steigleitern und speziellen Klemmgeräten geht es aufwärts. Erst wenn er nach rund 50 Metern einen sichereren Standplatz eingerichtet hat, darf der Zweite nachkommen. „Und der muss dann alles wieder ausbauen, was der Vorsteiger eingebaut hat“, berichtet Kieselmayer. „Eine Seillänge mit 50 Metern dauert im ,Shield’ etwa drei bis vier Stunden“, erzählen die beiden.
Dass es so langsam geht, liegt auch am Gepäck: Per Flaschenzug muss nach jeder Seillänge ein Materialsack nach dem anderen emporgezogen werden. „Es ist eine Schinderei“, bekennt Kieselmayer. Rund 100 Kilo wog ihr gesamtes Gepäck. Wie eine Perlenschnur reihte sich Sack um Sack den Fels hinab. Zuerst kam das Material und die Verpflegung, dann der ausklappbare Schlafplatz, gefolgt vom Müllsack und ganz am Schluss der Eimer
für die Fäkalien. Und macht das wirklich Spaß? „Wir wussten, was auf uns zukommt, aber das muss man schon wollen“, beurteilen beide. Es sei so, wie einen hohen Berg zu besteigen. „Das macht zwischendurch auch nicht immer Spaß. Aber dann, am Gipfel, und später nach der Tour ist es einfach toll und man ist stolz darauf, was man geschafft hat.“Doch trotz der vielen Mühen und Strapazen habe es auch während der Besteigung immer wieder Genussmomente gegeben. Etwa, als sie abends ihr Portaledge aufgebaut hatten – die aufklappbare, stabile Plane, auf der die beiden die Nächte verbrachten. Dort, mit einem Becher Wein in der Hand und hunderte von Metern Luft unter sich, war die Freiheit einfach grenzenlos.
„Das war schon was ganz besonderes“, erinnert sich Christian Kieselmayer auf das Leben auf der kleinen Plattform zurück. Sogar einigermaßen gemütlich sei es in den Nächten gewesen, die sie angeseilt und im warmen Schlafsack liegend verbrachten. Zum Essen gab es nur kalte Küche, um nicht Gefahr zu laufen, ihr Material mit einem Kocher in Brand zu setzen. „Überwiegend haben wir Marmelade- und Erdnussbutterbrote gegessen, die Kalorien geliefert haben“, erzählt der Kletterer. Hemmungen waren in der luftigen Höhe fehl am Platz: Für die Ausscheidungen gab es Flaschen, Tüten und ein Fäkalieneimer. Waschen und Kleidungswechsel mussten sieben Tage lang warten.
Doch trotz guter Vorbereitung scheiterte der erste Versuch. Im oberen Drittel der Wand ging den beiden Kletterern sowohl das Material als auch das Wasser aus. Ein Überhang stand an, für den die beiden einige zusätzliche Spezialhaken benötigt hätten, um die Route abzusichern. „Wir hatten die Wahl, äußerst riskant weiterzuklettern und dazu einen Tag lang ohne Wasser oder aber umzukehren“, so Kieselmayer. Sie entschieden sich für letzteres. Einen ganzen langen Tag benötigten sie für die aufwändige Abseilaktion an Stellen, die eigentlich gar nicht zum Abseilen gedacht waren. „Man ist in dieser Wand völlig auf sich allein gestellt. Es gibt Stellen, an die auch kein Rettungshubschrauber hinkommt“, sagt er.
Erfolgreich wurde dann der zweite Versuch, der allerdings erst drei Jahre später erfolgte. Mit mehr Wasser und mehr Material ausgestattet, gelang es den beiden, in sieben Tagen das „Shield“zu bezwingen. Fast alles lief dieses Mal gut. Es gab keine Stürze, nichts fiel hinab in die Tiefe. Lediglich an einem Tag kämpften die beiden mit dem Wind. „Er war so stark, dass wir es nicht geschafft haben, das Portaledge zusammenzufalten“, sagt Kieselmayer. Sie mussten warten, bis es windstiller wurde und schafften an diesem Tag lediglich eine einzige Seillänge.
Beide Touren – die gescheiterte und die geglückte – hielten sie mit Fotos und den Videos einer GoPro-Kamera fest. Ergänzt mit weiteren Kletterszenen ihrer USA-Reisen ist so ein rund 70-minütiger Vortrag entstanden. Etliche Freunde haben ihn bereits gesehen, „nun sind wir vom Verein gefragt worden, ob wir ihn nicht einmal einem größeren Publikum zeigen wollen“, erzählen die beiden. Gerne kämen sie dieser Bitte nach, allerdings mit einer Anmerkung: Eine Fortsetzung wird es vermutlich nicht geben. Das gelte zwar nicht für seinen Kletterfreund Georg Hermann, aber für ihn selbst, betont Christian Kieselmayer: „So was macht man meistens nur einmal im Leben.“
Die beiden Kletterer haben einen
über ihre Tour ausgearbeitet. Der Titel steht schon: „Zwei (mittel)alte Schwaben auf Bigwall-Tour“. Ein Termin für den Vortrag steht allerdings noch nicht fest. Ursprünglich war er für 6. März geplant, nun musste er jedoch verschoben werden.