Gränzbote

Dem Kanzler platzt der Kragen

Taurus-Debatte aus Sicht von Scholz „an Lächerlich­keit nicht zu überbieten“

- Von Michael Fischer

(dpa) - Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat die seit Wochen laufende Debatte über die deutsche Unterstütz­ung für die Ukraine scharf kritisiert. „Die Debatte in Deutschlan­d ist an Lächerlich­keit nicht zu überbieten“, sagte er am Dienstag bei der Konferenz Europe 2024 in Berlin. „Das ist peinlich für uns als Land.“SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich hielt unterdesse­n an seiner Idee eines „Einfrieren des Kriegs“fest, von der sich inzwischen aus seiner eigenen Partei auch Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius mit den Worten distanzier­t hat: „Es würde am Ende nur Putin helfen.“

Der Kanzler hatte Ende Februar einer Lieferung von TaurusMars­chflugkörp­ern mit einer Reichweite von 500 Kilometern eine klare Absage erteilt und damit eine heftige Debatte ausgelöst, in der sich neben der Union auch die Koalitions­partner Grüne und FDP gegen ihn stellten.

„Es ist eine ziemlich wenig erwachsene, peinliche Debatte in Deutschlan­d, die außerhalb Deutschlan­ds niemand versteht“, sagte Scholz nun auf der Veranstalt­ung „Europe 2024“von „Zeit“, „Handelsbla­tt“, „Tagesspieg­el“und „Wirtschaft­swoche“. Er verwies darauf, dass Deutschlan­d der zweitgrößt­e Waffenlief­erant der Ukraine ist und dies im Ausland auch anerkannt werde. „Ich wünsche mir eine Debatte in Deutschlan­d, die Besonnenhe­it nicht diskrediti­ert, als etwas, das zögerlich sei.“

Dem Kanzler ist immer wieder Zögerlichk­eit bei der Lieferung von Waffen für den ukrainisch­en Abwehrkamp­f gegen Russland vorgeworfe­n worden. Scholz hielt den Kritikern entgegen, dass Deutschlan­d nicht nur bei der Menge der gelieferte­n Waffen vorangesch­ritten sei, sondern auch, was die Qualität der Waffensyst­eme angeht. „Wir haben ja als Deutsche, wenn ich das über Zögern noch mal sagen darf, fast alle gefährlich­en Waffen als Allererste geliefert“, sagte er. Er nannte weitreiche­nde Artillerie und Kampfpanze­r als Beispiele. „Ich könnte diese Liste unendlich verlängern.“

Aber stimmt das wirklich? Scholz war vor allem bei der Lieferung der Kampfpanze­r vom Typ Leopard 2 Zögerlichk­eit vorgeworfe­n worden. Erst nach monatelang­er Debatte und unter massivem Druck der osteuropäi­schen

Verbündete­n entschied er sich im Januar 2023 dafür. Voraussetz­ung war, dass auch die USA ihre Abrams-Panzer zur Verfügung stellten. Der „Allererste“war Scholz mit der Zusage nicht. Großbritan­nien hatte vorher schon seine Challenger versproche­n.

Trotzdem wird Deutschlan­d seit dieser Entscheidu­ng als wichtigste­r Unterstütz­er der Ukraine neben den USA und Großbritan­nien internatio­nal anerkannt – auch vom ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj, von dem seitdem keine offene Kritik an den deutschen Waffenlief­erungen mehr zu hören ist. Bei der Lieferung von Marschf lugkörpern sind allerdings nun andere Länder vorangesch­ritten: Frankreich und Großbritan­nien haben ihre Raketen der Typen Storm Shadow und Scalp schon vor längerer Zeit bereitgest­ellt. Scholz will das leistungsf­ähigere Taurus-System der Bundeswehr dagegen nicht liefern. Er befürchtet, dass Deutschlan­d dadurch in

den Krieg hineingezo­gen werden könnte. Als wenn er mit Taurus nicht schon genug zu tun hätte, hat die Debatte für den Kanzler mit dem Vorstoß Mützenichs noch eine neue Wendung genommen. „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“, hatte Mützenich in der vergangene­n Woche in der Bundestags­debatte über Taurus gesagt.

Der „Neuen Westfälisc­hen“sagte der SPD-Fraktionsc­hef auf die Frage, ob er seine Äußerung zurücknehm­en möchte. „Nein, das möchte ich nicht. Ich bin in den Sozial- und Friedenswi­ssenschaft­en ausgebilde­t. Dort wird das Einfrieren als Begriff lichkeit genutzt, um in einer besonderen Situation zeitlich befristete lokale Waffenruhe­n und humanitäre Feuerpause­n zu ermögliche­n, die überführt werden können in eine beständige Abwesenhei­t militärisc­her Gewalt.“Das benötige natürlich

die Zustimmung beider Kriegspart­eien, was man nicht von außen diktieren könne.

Mützenich ist von Politikern der Union, aber seitens der Koalitions­partner Grüne und FDP für die Äußerung scharf kritisiert worden. Am Montag distanzier­te sich auch Verteidigu­ngsministe­r und Parteikoll­ege Boris Pistorius von ihm.

Bei einem Besuch in Warschau sagte er: „Einen Diktatfrie­den darf es nicht geben und keinen Frieden, der dazu führt, oder einen Waffenstil­lstand oder ein Einfrieren, bei dem Putin am Ende gestärkt herausgeht und den Konflikt fortsetzt, wann immer es ihm beliebt.“

Noch deutlicher wurde Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne). „Heute vor 10 Jahren hat Wladimir Putin die Krim annektiert“, schrieb die GrünenPoli­tikerin auf der Plattform X (früher Twitter). „Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen.“

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) spricht bei der Konferenz „Europe 2024“in Berlin über die geführte Debatte der deutschen Ukraine-Unterstütz­ung – und kritisiert sie scharf.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) spricht bei der Konferenz „Europe 2024“in Berlin über die geführte Debatte der deutschen Ukraine-Unterstütz­ung – und kritisiert sie scharf.

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