„Wir müssen umdenken“
Klaus J. Hopt ist als Redner weltweit gefragt – Geboren ist er in Tuttlingen, aufgewachsen in Spaichingen
- Um das Berufsleben von Klaus J. Hopt abzubilden, bräuchte es eine Zeitungsseite zum Aufklappen. Der Wirtschaftsrechtler war Professor an der Universität Tübingen, ebenso an der Europa-Universität in Florenz, aber auch in Bern und in München. Zuletzt war er Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. Dort lebt er heute noch, zusammen mit seiner Frau Sung Hopt-Nguyen. Doch geboren wurde er in Tuttlingen.
Herr Hopt, bei so vielen Stationen ihres Lebens – dazu zählen auch Gastprofessuren in USA, Japan, Belgien, den Niederlanden und Frankreich – wo hat es Ihnen am besten gefallen?
Absolut wunderbar war die Zeit in Florenz. Wir hatten das unglaubliche Glück, dass ich schon mit 38 Jahren an diese EuropaUni gekommen bin, für zwei Jahre. Meine Frau war dabei, wir haben diese Zeit beruflich, privat und kunstgeschichtlich absolut genossen. Die zweite Station, die ich nennen möchte, ist Kyoto. Ich sage immer, das ist das Florenz des Ostens. Die Stadt hat wunderbare Tempel, alte Kultur, man kann richtig eintauchen. Beides war fantastisch.
Ich weiß ja, dass Sie 1940 geboren wurden und dieses Jahr 84 Jahre alt werden – aber Sie hören sich am Telefon unglaublich jung an.
(Lacht) Ja, meine Schüler sagen immer: „Der Alte ist immer noch gut drauf!“Meine Frau und ich haben keine Kinder, deshalb sind diese „Schüler“quasi meine Kinder. Schüler bedeutet im akademischen Bereich, dass sie habilitiert sind, beziehungsweise auf einer Professur sitzen. Ich habe über 100 Doktoranden betreut und 14 Schüler – das erreicht kaum jemand. Das macht mir die größte Freude, denn die wiederum haben auch Schüler. Wenn Sie so wollen, habe ich neun Enkel auf Professurenstellen und neuerdings sogar eine Urenkelin, die nun Professorin in Halle geworden ist. Mir macht der Umgang mit jungen Leuten unglaublichen Spaß. Wir treffen uns, oder sie fragen mich um Rat. Das ist wunderbar.
Sie sind nach Ihrer Emeritierung in Hamburg geblieben. Wie leben Sie dort?
Zusammen mit meiner Frau, mit der ich seit 55 Jahren sehr glücklich verheiratet bin. Das dortige Max-Planck-Institut habe ich 1995 übernommen und zusammen mit zwei Kollegen 15 Jahre lang geführt. Danach sind wir geblieben. Wir haben eine große Wohnung, und gleichzeitig sind wir in der Seniorenresidenz Au
gustinum. Das gibt uns eine gewisse Sicherheit, wenn einem von uns beiden etwas passieren sollte. Wir machen das Halbe-Halbe, sind also entweder in der alten Wohnung oder im Augustinum. Und wir sind viel unterwegs auf Reisen. Zum Beispiel nächste Woche für einen Vortrag in Quebec in Kanada.
Arbeiten Sie also noch?
Ich bin immer noch für Vorträge gefragt, wähle aber sehr sorgfältig aus. Ich bin viel in großen Städten, zuletzt in Rom, Paris, Wien, Venedig und so weiter. Meine Frau ist immer dabei, sie ist auch bei allen Gastprofessuren mitgegangen. Das ging, weil sie Apothekerin ist und in Deutschland nur Urlaubsvertretungen gemacht hat.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
In New York, als wir beide in der selben Klasse im Magisterstudium waren. Meine Frau ist Vietnamesin. Ihre Eltern samt Geschwistern und vielen Kindern sind später auch nach Deutschland gekommen, als sich die BRD bereit erklärt hat, vietnamesische Flüchtlinge aufzunehmen. Die Kinder sind wunderbar geworden, sie sind verheiratet, sie haben studiert und alle haben einen guten Beruf. Ich finde, diese Möglichkeiten sollte man allen Geflüchteten bieten. Dass sie sich hier verfestigen und einen Beruf erlernen können. Unsere Gesellschaft altert, da ist das auch dringend notwendig.
Neben ihrer akademischen Tätigkeit waren sie unter anderem Richter am Oberlandesgericht Stuttgart, Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG, Sachverständiger für den Deut
schen Bundestag und dem Mitglied der High Level Group of Company Laws Experts zur Beratung der Europäischen Kommission in Brüssel. Und, und, und. Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?
Ich konnte immer sehr, sehr konzentriert arbeiten. In meiner aktiven Zeit habe ich bei der Betreuung von Doktoranden deren Arbeiten mit auf meine Reisen genommen. Einmal in Hamburg hatte der Zug Verspätung. Ich saß auf dem Bahnsteig und habe eine Doktorarbeit korrigiert – und der Zug ist an mir vorbeigefahren.
Sie wurden in Tuttlingen geboren. Welche Erinnerungen haben Sie an die Stadt?
Relativ wenige, weil wir weggezogen sind, als ich acht Jahre alt war. Meine Eltern haben meinen Lebenslauf geprägt. Sie waren unglaublich tüchtige Leute, haben in der schweren Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg studiert, haben alles verloren und mussten nach dem Krieg alles wieder aufbauen.
Wie sind Sie aufgewachsen?
Ich bin der Älteste von vier Geschwistern, die acht, neun und elf Jahre jünger sind als ich. Mein Vater, der aus Wehingen stammt, war Assistenzarzt am Klinikum in Tuttlingen. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als er im Krieg war. Wir haben in der Nähe des Krankenhauses gewohnt. Drei Lehrerinnen, die alleine in ihrem Haus lebten, haben uns als Familie bei sich aufgenommen. Einmal hat uns der Vater über einen Kameraden, der im Heimaturlaub war, einen Esel gebracht. Ich fand ihn toll, aber die Mutter hat ihn verkauft. Mit dem Geld, das sie bekommen hat, konnte sie Lebensmittel kaufen.
Wie ging es nach dem Krieg weiter?
Mein Vater, Theo Hopt, wurde 1948 Chefarzt in Spaichingen. Er war ein begnadeter Chirurg, der sein Handwerk in vorderster Linie hinter der Front gelernt hat. Meine Mutter Maria war auch Ärztin. Sie hatte in der Zeit, als ihr Mann im Krieg war, dessen Assistenzstelle in Tuttlingen übernommen gehabt. Als die Männer aus dem Krieg kamen, sind die Frauen dann wieder in die zweite Reihe gerückt. Das ist zum Glück heute nicht mehr so. In Spaichingen war meine Mutter erst Assistentin meines Vaters und hat dann eine kleine Hausarztpraxis betrieben, bis zu ihrem Ruhestand.
Wo sind Sie zur Schule gegangen?
Ins Altsprachliche Gymnasium nach Rottweil. Ich war die ganzen neun Jahre über ein „Fahrschüler“, das bedeutet, dass man nicht so viele Kontakte mit Mitschülern hat. Meine Freundschaften sind aus der Zeit nach dem Abitur und auch international entstanden. Ich habe mich schon sehr früh fürs Ausland interessiert. Da ich ein Auslandsstipendium des Cusanus-Werks der Volkswagenstiftung bekam, konnte ich als Student in Spanien, Paris und ein Jahr in New York studieren.
Sie als Wirtschaftswissenschaftler: Wie sehen Sie Deutschland heute? Und in Zukunft?
Wirklich sehr kritisch. Ob in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft: Wir müssen umdenken. So bequem geht es nicht weiter. Die Rente mit 63 Jahren ist daneben. Bitte nicht missverstehen: Wenn ein Schlosser nach langen Jahren nicht mehr weiterarbeiten kann, dann ist auch Frührente natürlich gar keine Frage. Aber den Regelfall, dass sich die Babyboomer so früh aus dem Arbeitsleben verabschieden und alles den Jüngeren aufhalsen, halte ich für total verfehlt. Ich sehe, was das Ausland macht und wie sie uns den Rang ablaufen. In den westlichen Industrieländern sind wir die mit den wenigsten Wochenarbeitsstunden. Mit Blick auf den 35Stunden-Abschluss der Lokführer mit der Bahn kann ich nur den Kopf schütteln. Ich denke an 1945 zurück, als unsere Eltern bei null mit dem Aufbau angefangen haben und hoffe fest, dass das die Jungen auch schaffen könnten. Das ist mir ein gewisser Trost.
Was geben Sie jungen Leuten von heute mit?
Das A und O ist eine gute Ausbildung. Können kommt erst, wenn man die Ausbildung hat. Dann erst macht es Spaß. Ich halte wenig davon, dass viele jungen Leute nach dem Abi ermüdet sind und ein Auslandsjahr verbummeln. Ich habe in kürzester Zeit fertig studiert und dann weiter studiert, aber im Ausland. Ich habe das auch immer meinen Studenten gesagt: „Bildet euch nichts darauf ein, hier zu sitzen! Mir ist ein einfacher Malermeister, der einen guten Job macht, viel lieber, als ein schlechter Jurist.“
Und wie lautet ihre Definition von Alter?
Ganz einfach: Wenn man noch neugierig ist, dann ist man nicht alt.