Ibizas gelassene Seite
Statt Partys und teurer Yachten bietet der Nordosten der Insel Natur und Tradition
Hippie-Flair, Yachthäfen und ein pulsierendes Nachtleben – die Baleareninsel Ibizia gilt als Sehnsuchtsort all jener, die sich im Urlaub unbeschwerte Partys und eine Prise Luxus wünschen. Dabei wird die gelassene Seite Ibizas häufig verkannt.
In Santa Eulària des Riu, etwa eine halbe Autostunde nördlich des Flughafens und Ibiza Stadt, weicht der Trubel dem gemütlichen spanischen Lebensgefühl. Mit saftig grünen Pinienwäldern und entlegenen Fischerbuchten ist die größte der fünf Inselgemeinden ein Paradies für Strandurlauber, Aktive und Familien gleichermaßen. Santa Eulària des Riu – häufig nur Santa Eulària genannt – erstreckt sich entlang der Ostküste über eine Länge von etwa 42 Kilometern. Im Zentrum des Küstenabschnitts liegt die namensgebende Kleinstadt.
Als Landmarke zeigt sich schon von der Schnellstraße aus der Puig de Missa, ein Hügel oberhalb der Stadt, mit der typisch ibizenkischen Wehrkirche. Ein kurzer Spaziergang führt hinauf auf den Gipfel. Von wo aus einst nahende Piratenschiffe ausgespäht wurden, eröffnet sich heute der traumhafte Ausblick auf Santa Eulària des Riu, den Hafen und das tiefblaue Mittelmeer. Auch die Kirche aus dem 16. Jahrhundert ist für Besucher zugänglich. In vergangenen Tagen versammelten sich dort die Bewohner der Gemeinde für Treffen aller Art. Heute laden die Kirchenbänke zum Ausruhen nach dem Aufstieg auf den Hügel und zum Innehalten ein.
Am Fuße des Puig de Missa liegt die beschauliche Innenstadt. In den engen Straßen mit wenigen, ausgewählten Geschäften und Bars ist von Touristenmassen keine Spur. „Santa Eulària ist auch in der Hauptsaison sehr ruhig“, wie Rocio vom lokalen Tourismusverband erklärt. Für Familien und Aktivurlauber sei der Ort ein perfekter Ausgangspunkt, um die umliegende Region zu erkunden. Von der Uferpromenade aus führt ein Wanderweg entlang der Küste in Richtung Norden. Über den teils steinigen, aber gut begehbaren Pfad geht es immer entlang des Meeres – mal direkt am Wasser,
mal oberhalb entlang imposanter Steilküsten. Die leichte Seebrise und der Ausblick über das Mittelmeer bis hin zur Nachbarinsel Formentera erleichtern die hügeligen Passagen ungemein. Zum Einkehren und Stärken bieten sich unzählige Restaurants entlang des Küstenweges an.
Typisch für die ibizenkische Küche sind – wenig verwunderlich auf einer Mittelmeerinsel – Fischgerichte wie Seebarsch oder Tintenfisch. Überraschend ist für den einen oder anderen hingegen die Menge an frischem Gemüse, das auf der Insel selbst angebaut wird. Vom fruchtbaren Boden zeugen nicht nur die weitläuf igen Pinienwälder, sondern auch die lange landwirtschaftliche Tradition. Bevor Ibiza zum Ziel für Hippies und Partytouristen wurde, besiedelten nahezu ausschließlich Bauernfamilien diese Insel.
Wie deren Leben aussah, zeigen heute noch alte Bauernhäuser – teilweise zu Museen ausgebaut, wie in Sant Carles, einem im Inselinneren gelegenen kleinen Ort. Das historische Gebäude oberhalb des Ortes trägt den klangvollen Namen „Es Trull de
ca n’Andreu“und zeigt die im Original erhaltene Inneneinrichtung, einschließlich der massiven Ölmühle. Ein kurzer Rundgang reicht, um zu erkennen, dass Ibiza mehr war und ist, als ein Hotspot für die Reichen und Schönen. Einfache Möbelstücke, bäuerliches Werkzeug und erhaltene Kleidungsstücke lassen Besucher in der Zeit zurückreisen.
Obwohl die Balearen heute vor allem touristisch geprägt sind, wird die bäuerliche Tradition auf Ibiza noch zelebriert. Dazu gehört auch der Balztanz Ball Pagès, den Folkloregruppen regelmäßig aufführen. Die typische Bauerntracht, eine Menge Goldschmuck und die größten Kastagnetten der Welt sind in jedem Fall einen Volksfestbesuch Wert. Schon von klein auf lernen die Mitglieder der Folkloregruppen, im Takt der traditionellen Musik zu springen und zu tanzen. Sie sollen später
das kulturelle Erbe der Inselbewohner weitertragen, wie Rocio vom lokalen Tourismusverband erklärt.
Teil der Geschichte und Kultur Ibizas ist aber unumstritten auch die Hippie-Bewegung. Besonders in den Sechzigerjahren fanden viele junge Menschen einen Zufluchtsort auf Ibiza, um ihre Gegenkultur auszuleben. „Nach den Piraten waren es die Hippies, die die Insel erobert haben“, scherzt Alex vom lokalen Tourismusverband. Das Verhältnis zwischen Einheimischen und zugewanderten Hippies sei seit jeher gut. Sant Carles ist noch heute vom hippiesken Leben geprägt. Vor allem dann, wenn mittwochs und samstags der berühmte Kunsthandwerkermarkt Las Dalias seine Tore öffnet. Zwar findet sich zwischen den gebatikten Leinentüchern und handgefertigten Schmuckstücken mittlerweile auch eine Menge Kommerz. Aber der Besuch des Marktes und ein klein wenig Hippie-Flair gehören zu einer Ibiza-Reise eben doch dazu. Das hat sich auch bei Reiseanbietern herumgesprochen, wodurch es besonders in der Hochsaison
in Sant Carles schon mal sehr voll werden kann.
Das gelassene Lebensgefühl der Hippies finden Ibiza-Urlauber aber auch abseits des berühmten Marktes Las Dalias. Häufig reicht schon ein Abstecher zu einer der vielen kleinen Buchten am Küstenabschnitt von Santa Eulària des Riu. Die hellen Sandstrände sind besonders in der Nebensaison ein Treffpunkt für Einheimische. Picknicks und selbst gespielte Musik schaffen eine Atmosphäre, wie man sie sich für einen sonnigen Nachmittag am Strand besser nicht vorstellen könnte. Statt dem allseits bekannten Run auf die letzten Verbleibenden Liegestühle im Sommerurlaub, genießen die Strandbesucher entspannt das Rauschen der Wellen begleitet von sanften Gitarrenklängen. In einem solchen Ambiente wirkt das pulsierendes Nachtleben Ibizas, wie ein längst überholtes Klischee.