Anziehend schön
Porträt Der deutsche Maler Gerhard Richter wird in aller Welt geschätzt. Weil seine zeitgenössische Kunst so meisterlich wie ernsthaft ist
Unter den in aller Welt geschätzten deutschen Künstlern ist Gerhard Richter der bekannteste, renommierteste und einflussreichste. Kaum ein großes Museum in den schrittmachenden Metropolen der Welt, das kein Gemälde, keine Skulptur von ihm besitzt – und auch zeigt. Und dafür, dass die Kunst der Nachkriegszeit und der Gegenwart vom Publikum so oft als sperrig, stachlig, spröde, ja unverständlich angesehen wird, ist Gerhard Richter geliebt, wird sein Werk angehimmelt.
Wann jemals hat die Ausstellung eines lebenden Künstlers 380 000 Menschen angezogen – so, wie 2012 die Richter-Ausstellung „Panorama“in der Neuen Nationalgalerie von Berlin? Die Gründe: Anziehend schön sind seine abstrakten, strahlend-farbigen, aber eben nicht strahlend-bunten Gemälde, betö- rend kontemplativ seine Landschaften und (Familien-)Porträts hinter zartem Mal-Schleier.
Das erste Bild im Werkverzeichnis von Richter, der soeben 84 Jahre alt geworden ist, zeigt einen modernen Wohnzimmertisch der Nachkriegszeit, fahrig grau übermalt, quasi bildnerisch zerstört. Und schon hier klingt einiges an von dem, was die Kunst des 1961 aus seiner Heimatstadt Dresden nach Düsseldorf geflohenen Malers im Wesentlichen ausmacht: das Foto als ihm „perfekte“Bildvorlage – schwarz-weiß beziehungsweise in Graustufen abgemalt, verwischt, wieder übermalt. Damals war Richter noch Student – in der Klasse des heute 102-jährigen Karl Otto Götz.
Foto um Foto malte der ehrgeizige Jungkünstler mit Freundschaft zum Kollegen Sigmar Polke seinerzeit ab – immer mehr den Unschärfe-Faktor seiner gegenständlichen Malerei verfeinernd, immer ernsthafter die Nahtstellen zum Abstrakten hin untersuchend – bis dann in den 70er Jahren die ersten jener wunderbar leuchtenden abstrakten Gemälde entstanden, die für Richter im Grunde nur eine bis dato unerfahrene, ungesehene Wirklichkeit darstellen. Durch diese Arbeiten stellte sich in den 80er Jahren, als Richter mit der Bildhauerin Isa Genzken verheiratet war, auch jene internatio- nale Anerkennung ein, die ihn mittlerweile zum teuersten lebenden Maler macht. Er, der tiefstapelnd bestrebt ist, „brauchbare“Bilder zu malen, bezeichnete die MillionenPreise für ihn und etliche hochbewertete Kollegen immer wieder als „absurd“.
Freilich gibt es auch noch den Historien-Maler Richter, der sich immer wieder mit den Letzten Dingen und mit der Perfidie des Menschen beschäftigt hat – etwa in den Porträts von acht 1966 in Chicago ermordeten Lernschwestern, etwa in seinem RAF-Zyklus, im Bild von 9/11 und nun auch – 2014 in seinem Kölner Atelier entstanden – in der späten Auseinandersetzung mit dem Holocaust, jetzt zu sehen in BadenBaden. Richter ist seit 1995 in dritter Ehe mit der Künstlerin Sabine Moritz verheiratet. Das Paar hat drei Kinder. R. Heinze Feuilleton