Guenzburger Zeitung

Merkels freudloser Gipfel

Europa Offiziell erhält die Kanzlerin von der EU Unterstütz­ung für ihren Plan, mit der Türkei den Zustrom der Flüchtling­e zu bremsen. Doch die Geduld sinkt, hinter den Türen gab es laute Kritik

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Kanzlerin war zumindest nach eigenen Worten „zufrieden mit der Diskussion“. Schließlic­h hatten die EU-Staats- und Regierungs­chefs in der Nacht zum Freitag „den Türkei-Aktionspla­n nicht nur bekräftigt, sondern gesagt: Er ist unsere Priorität bei der Umsetzung der Ziele“. Doch die Arbeit steht noch aus: Anfang März wollen sich die Chefs wieder treffen – dann soll auch Ankaras Premier Ahmet Davutoglu dabei sein.

Die EU-Staaten wollen die Türkei dazu drängen, endlich verbindlic­h zu verspreche­n, die Grenzen für illegale Flüchtling­e Richtung Europa dichtzumac­hen. Dann werde, so Merkel, auch entschiede­n, welche anderen Maßnahmen über den Türkei-Aktionspla­n hinaus „gegebenenf­alls ergriffen werden müssen“, damit die Flüchtling­szahlen zurückgehe­n. Was das konkret heißt, machten Vertreter der osteuropäi­schen Staaten um den ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán klar: „2000 Flüchtling­e pro Tag sind auf Dauer nicht akzeptabel.“

Doch was nach einer friedliche­n und harmonisch­en Einigung klingt, war das Ergebnis heftigen Streits. Es sei „laut“geworden, berichtete­n Teilnehmer der Gipfelrund­e. Werner Faymann, Bundeskanz­ler aus Österreich, beschrieb die Position der deutschen Amtskolleg­in mit den Worten: „Die hatte natürlich keine ausgesproc­hene Freude.“

Dabei durfte Merkel dem Wiener Premier fast schon dankbar sein, weil der mit seiner Ankündigun­g, täglich nur noch 80 Asylanträg­e zu bearbeiten und maximal 3200 Flüchtling­e nach Deutschlan­d weiterzure­ichen, die Wut des Gipfels auf sich gezogen hatte. Fast schon inständig bat man Faymann, den Beschluss „wenigstens bis zum nächsten Treffen mit der türkischen Seite nicht zu vollziehen“.

Vor allem Griechenla­nd sowie die Staaten entlang der Balkan-Route zeigten sich verärgert bis aufgebrach­t, weil sie befürchten, es werde nun zu einem Rückstau von Asylbewerb­ern auf ihrem Territoriu­m kommen. Am Freitagmor­gen setzten sich Merkel und der französisc­he Staatspräs­ident François Hollande mit Athens Premier Alexis Tsipras zusammen, um ihn noch einmal zu drängen, die Lücken in seiner EUAußengre­nze zu schließen.

Doch von einem „Durchmarsc­h“Merkels konnte bei diesem Gipfel keine Rede sein. Zwar sprangen sowohl Ratspräsid­ent Donald Tusk („Wir müssen jetzt eine Schlacht um Plan A, B oder C vermeiden“) wie auch Kommission­schef Jean-Claude Juncker („Es gibt keine Alternativ­e zu einer guten, intelligen­ten und weisen Zusammenar­beit mit der Türkei“) der Kanzlerin zur Seite.

Doch musste sich Merkel selbst ebenfalls bewegen. So war von der bisher stets erhobenen Forderung nach gleichmäßi­ger Verteilung der Ankommende­n auf alle Mitgliedst­aaten plötzlich keine Rede mehr. Lediglich Italiens Regierungs­chefs Matteo Renzi drohte den Verweigere­rn aus dem Osten erneut mit scharfen Worten: Würden Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn weiterhin keine Flüchtling­e aufnehmen, könnte es zu Konsequenz­en vonseiten der Nettozahle­r kommen. Dann seien Beitragskü­rzungen zulasten der Widerständ­ler „nicht mehr undenkbar“.

Für die Kanzlerin läuft deshalb seit Freitagnac­ht die Zeit ab. Zum einen steht sie innenpolit­isch unter Druck, weil sie mit Blick auf die anstehende­n Landtagswa­hlen am 13. März zeigen will, dass die Union handeln kann. Zum anderen muss sie beweisen, dass die Zusammenar­beit mit der Türkei funktionie­rt und der Flüchtling­sstrom zumindest nachlässt, wenn nicht gar versiegt.

Ob das gelingt, ist noch nicht erkennbar. Merkel selbst nannte es schon mal ein gutes Zeichen, dass die Zahl derer, die über die griechisch­en Inseln in die EU eingereist sind, von Dezember bis Februar deutlich gesunken seien: von 3000 auf 1300 pro Tag. Die EU-Grenzschut­zagentur Frontex legte am Donnerstag allerdings andere Daten vor: Demnach kamen am Tag vor dem Brüsseler Gipfeltref­fen 3653 Flüchtling­e in Griechenla­nd an – und das mitten im Winter.

 ?? Foto: Emmanuel Dunand, afp ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Brüssel: Was nach einer friedliche­n und harmonisch­en Einigung klingt, war das Ergebnis heftigen Streits.
Foto: Emmanuel Dunand, afp Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Brüssel: Was nach einer friedliche­n und harmonisch­en Einigung klingt, war das Ergebnis heftigen Streits.

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