Das Ende des US-Ölrausches
Der Absturz des Rohölpreises hat der Fracking-Industrie in Amerika einen heftigen Dämpfer verpasst. Die aufwendige Fördertechnik lohnt sich nicht mehr
Washington Das Schild am Ortseingang gehört zu den meistfotografierten im Land: „Willkommen in Williston, Boomtown, USA“. Die stolze Tafel ist seit ihrer Errichtung im Jahr 2013 das Symbol eines neuen Fiebers – der Jagd nach dem schwarzen Gold in Staaten wie Texas, Pennsylvania oder eben hier, in North Dakota. Williston, ein ehemals abgelegenes, perspektivloses Nest von 15 000 Einwohnern, verkörpert den Fracking-Boom wie keine andere US-Kommune. Die Stadt liegt im Zentrum des Bakken, der ertragreichsten Schieferformation im Land. Nach dem Zuzug von Glückrittern aus allen Winkeln der Erde sahen Prognosen die Bevölkerung bis 2017 auf 50 000 anschwellen.
Tausende Arbeiter lebten monatelang in Containerdörfern; Mieten überstiegen diejenigen in Manhattan und San Francisco. Die Durchschnittsgehälter lagen höher als überall sonst, die Arbeitslosigkeit sank unter ein Prozent. Für ihre neue Infrastruktur nahm die Stadt hunderte Millionen Dollar Schulden auf. Der damalige Bürgermeister Ward Koeser gab viele Interviews; er ließ Reporter gerne an Ölproben riechen. „Wenn der Preis für ein Fass Rohöl mal unter 30 Dollar fiele, würde es hier wieder ziemlich still“, sagte er zu besseren Zeiten unserer Zeitung. „Da machen wir uns aber keine großen Sorgen.“
Drei Jahre später scheinen die Investitionen der kleinen Stadt mit den großen Ambitionen plötzlich infrage zu stehen. Bis zu 108 Dollar pro Barrel Rohöl konnte die glückstrunkene Industrie noch 2014 kassieren. Nun dümpelt der Preis um die 30 Dollar, und Banken wie Standard Chartered halten einen Absturz auf bis zu zehn Dollar für möglich. Beim Erdgas sind die Einbußen ähnlich.
Der Ölpreisverfall hat mehrere Gründe: Saudi-Arabien flutet die Märkte, um die amerikanische Konkurrenz in Öl zu ertränken. Russland hat seine Fördermenge erhöht, um den Einnahmeverlust durch die Sanktionen aufzufangen; der Iran ist zurück im Klub der Ölexporteure. Aufgrund der schwächelnden chinesischen Wirtschaft stößt das üppige Angebot aber auf sinkende Nachfrage.
Fracking ist eine vergleichsweise teure Fördermethode. Je nach Tiefe und Bodenbeschaffenheit lohnt sie sich nicht mehr, wenn der Ölpreis unter eine bestimmte Marke sinkt. Diese Schwelle lag im Landesschnitt lange Zeit um die 70 Dollar. Das sicherte satte Gewinne. Über Jahre hinweg waren allein in North Dakota zwischen 180 und 210 Bohrtürme im Einsatz, um neue Quellen zu erschließen. Im Januar dieses Jahres sank diese Zahl unter 60. Experten zufolge steht die Hälfte der amerikanischen Fracking-Ausrüstung derzeit ungenutzt herum.
Nicht nur große Konzerne wie Halliburton, BP oder Shell entlassen Mitarbeiter. Mehr als 400 Zulieferer boten 2013 um Williston herum Geräte und Personal für Investoren an, viele davon sind inzwischen pleite. Seit 2014 schrumpft die Stadt, weite Teile der alten Containerdörfer stehen leer. Die Heilsarmee bezahlt Notleidenden statt einer Unterkunft Bustickets in die alte Heimat. Da der gesamte Boom auf Krediten basiert, werden auch Investoren nervös. Die Einschätzungen zum Ernst der Lage gehen aber auseinander: Die britische Boulevardzeitung Express warnte im Januar vor einer Fracking-bedingten globalen Finanzkrise. Amerikanische Medien weisen dagegen darauf hin, dass Energie-Kredite heute im Portfolio der Großbanken nicht das Gewicht haben, das 2008 Immobilienpapieren zukam. „Das ist kein Grund zur Panik“, zitiert die New York Times einen texanischen Investor.
Die Branche selbst verbreitet Durchhalteparolen: Wo Quellen einmal sprudeln, sorgen sie auch weiterhin für Jobs. Technische Neuerungen haben das Verfahren wirtschaftlicher gemacht. Insgesamt ist die US-Ölproduktion seit dem Herbst 2014 gestiegen, nicht gesunken. „Der Verfall des Ölpreises hat nicht zum Aussterben der FrackingIndustrie geführt, sondern zu besserer Effizienz“, sagt Ölexperte Steve Austin. „Es werden nicht die USSchieferöl-Unternehmen sein, die vom Markt gehen.“
Doch andere Experten sehen die Situation kritischer. „Es werden die US-Firmen sein, die pleite gehen“, glaubt John La Forge von der Wells Fargo Bank. Die regierungsgestützten OPEC-Unternehmen könnten einfach länger durchhalten. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte: Wenn der Ölpreis mittelfristig zumindest die 50-Dollar-Marke wieder übersteigt, dürfte die Produktion vielerorts weitergehen.
Je länger die Durststrecke dauert, desto mehr werden die finanzstarken Großkonzerne dann allerdings unter sich sein.