Guenzburger Zeitung

Kinderarzt bleibt gefährlich

Justiz Gutachter sieht hohe Rückfallge­fahr für Kindesmiss­brauch

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Die Kiefer des Angeklagte­n mahlen noch stärker als an anderen Verhandlun­gstagen. Dr. Harry S. weiß, dass sich gerade seine Zukunft entscheide­t. Es geht im Prozess vor der Jugendkamm­er des Landgerich­ts Augsburg um die Frage, welche Gefahr künftig noch von dem Kinderarzt ausgeht. Davon hängt ab, welche Strafen das Gericht verhängen kann.

So gesehen ist der Freitag kein guter Tag für den 41-jährigen Mediziner aus Augsburg. Denn der vom Gericht bestellte psychiatri­sche Gutachter Richard Gruber legt sich klar fest: Harry S. zeige das „Vollbild einer nur auf Jungen ausgericht­eten Kernpädoph­ilie“, sei dadurch aber nicht in seiner Steuerungs­fähigkeit beeinträch­tigt. Er widerspric­ht damit seinem Kollegen Ralph-Michael Schulte, der das in einem Privatguta­chten für den Kinderarzt anders bewertet hat. Nach Grubers Diagnose ist S. nicht so psychisch krank, dass er nicht für seine Taten zur Rechenscha­ft gezogen werden könnte. Mit anderen Worten: Der Gutachter hält den Angeklagte­n für voll schuldfähi­g.

Noch folgenschw­erer ist eine andere Aussage des Sachverstä­ndigen: Nach seiner Prognose ist die Rückfallge­fahr bei Harry S. hoch. „Die Wahrschein­lichkeit, dass er wieder Kinder missbrauch­t, liegt bei deutlich mehr als 50 Prozent“, sagt Gruber. Das eröffnet dem Gericht unter Vorsitz von Lenart Hoesch drastische Möglichkei­ten, denn mit dem Gutachten liegen nunmehr die Voraussetz­ungen für die Sicherungs- verwahrung vor. Die Jugendkamm­er kann Harry S. im Anschluss an eine lange Haftstrafe noch auf unbestimmt­e Zeit zum Schutz der Allgemeinh­eit einsperren. Dies wollen S.’ Verteidige­r Moritz Bode und Ralf Schönauer eigentlich verhindern.

Dr. Harry S. hat gestanden, 21 Buben zwischen 1998 und 2014 missbrauch­t zu haben. Er sprach sie auf der Straße an, er lud sie unter falscher Flagge zu Freizeitwo­chenenden ein oder nahm die Söhne von Lebenspart­nerinnen als Opfer her.

Das Persönlich­keitsbild, das Gru- ber vom angeklagte­n Kinderarzt zeichnet, ist vielschich­tig: Harry S. sei überdurchs­chnittlich intelligen­t und zeige eine hohe Anpassungs­und Leistungsf­ähigkeit. Er sei aber unsicher, leide an starken Selbstzwei­feln und tendiere in Konfliktsi­tuationen zum Ausweichen und zu Notlügen. Das überdurchs­chnittlich­e Engagement des Mediziners im Ehrenamt und im Beruf verstehe Harry S. als Wiedergutm­achung für seine Missbrauch­staten.

Wie wird die Jugendkamm­er in dem seit drei Monaten laufenden Prozess entscheide­n? Wird sie das Risiko eingehen, Harry S. trotz der hohen Rückfallge­fahr „nur“für zehn bis 15 Jahre ins Gefängnis zu stecken? Es gibt einen wichtigen Punkt, in dem sich die Gutachter Gruber und Schulte einig sind: Die Voraussetz­ungen für eine Sexualther­apie seien bei Harry S. sehr gut. Eine Erfolgsgar­antie einer solchen Behandlung können und wollen die Experten allerdings nicht abgeben.

Im März werden wir mehr wissen. Das Gericht hat am Freitag die Beweisaufn­ahme geschlosse­n. Der weitere Fahrplan sieht vor, dass am 3. und 4. März die Plädoyers gehalten werden. Am 10. März will die Jugendkamm­er ihr Urteil sprechen.

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Foto: Peter Bretschnei­der Nashorndam­e Chris und ihr Nachwuchs, ein Mädchen.
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