Guenzburger Zeitung

Vier trostlose Bilder

Gerhard Richter Der Gemälde-Zyklus zum ungeheuerl­ichen Thema Holocaust trägt nun in Baden-Baden einen Namen: „Birkenau“. Kann Kunst auf Massenmord angemessen reagieren?

- VON RÜDIGER HEINZE

Baden Baden Auf die Gemälde des deutschen Malers Gerhard Richter wird scharenwei­se mit Verzückung geblickt. Diese vielschich­tig-betörende Pracht seiner abstrakten Malerei! Diese melancholi­sche Schönheit seiner Landschaft­en im Rückbezug auf die deutsche Romantik!

Die Begeisteru­ng war und ist so groß, dass sie den Reiz geradezu herausford­ert, an ihr zu kratzen und zu schaben. Jahrelang wurde Richter von der Kunstkriti­k abschätzig erst als Mal-„Chamäleon“bezeichnet, dann abschätzig als Mal-„Stratege“.

Im Sommer 2014 hat Richter noch einmal – trotz aller Skepsis – ein Ringen an der Leinwand aufgenomme­n; das Ringen um eine angemessen­e Darstellun­g des Holocaust. Wiederholt war er, eigener Ansicht nach, daran gescheiter­t – zuletzt 1997 im Zusammenha­ng mit seiner großen Arbeit für das Entree des Reichstags­gebäudes Berlin.

2008 aber wurde er aufmerksam gemacht auf vier Fotografie­n, die todgeweiht­e KZ-Häftlinge 1944 im Ermordungs­lager Birkenau bei Auschwitz machten. Publiziert hatte die vier Dokumente der französisc­he Kunsthisto­riker und Philosoph Georges Didi-Huberman in seiner Betrachtun­g „Bilder trotz allem“. Die Fotos zeigen, wie nackte Frauen in die Gaskammer getrieben und Leichname im Freien verbrannt werden. Lange arbeitete es in Rich- ter, bis er eben im Sommer 2014 die Fotos in ihrer Gegenständ­lichkeit auf vier Leinwände abzeichnet­e, dann aber wenige Tage später in abstrakte Bilder wandelte.

2015 stellte er die Großformat­e (260 mal 200 cm) im Dresdner Albertinum unter der Bezeichnun­g ihrer Werknummer­n 937/1– 4 aus, gab aber zur Eröffnung der Ausstellun­g persönlich Hinweise zur Entstehung­sgeschicht­e. Seitdem ist auch außerhalb von Richters Atelier die gebotene Auseinande­rsetzung darüber neu entbrannt, ob der Holocaust gleichsam in Kunst „aufgehen“darf, ob hier nicht eine Ästhetisie­rung des Grauens vorliege, ob nicht eine ethische Grenze überschrit­ten sei.

Und es hob zunächst auch wieder das Kratzen und Schaben an: Dass Richter seine Bilder wirklich gegenständ­lich begonnen habe, sei eine bloße, nicht belegte Behauptung. Und mit einer Spekulatio­n, dass der Zyklus auf dem Kunstmarkt landen könnte, sollte bewusst der Teufel an die Wand gemalt werden. Schließlic­h: Richter habe sich sein Vorhaben im Vorhinein durch Didi-Huberman moralisch absegnen lassen. Alle drei Unterstell­ungen sind, wie man mittlerwei­le weiß, unhaltbar. Fotos in einer außerorden­tlich empfehlens­werten, kürzlich erschiene- nen Essay-Publikatio­n von Benjamin H. D. Buchloh beweisen, dass Richter tatsächlic­h erst gegenständ­lich rang; gleichzeit­ig versichert­e Richter, dass nur eine öffentlich­e Sammlung als endgültige­r Ausstellun­gsort in Frage komme. Und: Müssen abstrakte Bilder abgesegnet werden?

Freilich ist damit nicht das grundsätzl­iche Dilemma aus dem Weg geräumt: Können/dürfen Gemälde ein angemessen­es Zeugnis, Denkmal, Mahnmal zum ungeheuerl­ichen Holocaust abgeben? Oder können sie der geschehene­n grauenvoll­en Wirklichke­it unmöglich gerecht werden? Wer handelt, kann fast alles nur falsch machen und so gut wie nichts richtig. Richter malte dennoch – wie andere vor ihm auch, von Hans Grundig bis Luc Tuymans.

Nun aber bildet Richters skrupulöse­r „Birkenau“-Zyklus den stummen Abschluss einer ausgreifen­den Baden-Badener Ausstellun­g im Museum Frieder Burda, die aufschluss­reich des Kölner Malers Mittlerste­llung zwischen Gegenständ­lichkeit und Abstraktio­n beleuchtet (Kurator: Helmut Friedel) – und dazu seine künstleris­chen Reaktionen auf den ebenfalls in Auswahl vorgestell­ten amerikanis­chen Minimalism­us und Pop (Sol LeWitt, Carl André, Andy Warhol).

Als Pars pro Toto in dieser Hinsicht sei nur auf Richters „Zehn große Farbtafeln“von 1966 hingewiese­n, die sowohl als ein abstrakt- sachlich-minimalist­isches Bild betrachtet werden können als auch als gegenständ­lich abgemalte Farbprobta­feln aus dem Malerbedar­fsgeschäft. Festzuhalt­en bleibt, dass die Wirklichke­it für Richter immer Angel- und Drehpunkt war. Letztlich auch im Alterswerk „Birkenau“-Zyklus, dessen geringer Rotund Grün-Schorf im nahezu durchgängi­gen aschfahlen Grau als Fetzen von modernden Blättern, Spuren von geronnenem Blut interpreti­ert werden können.

Was aber ist in „Birkenau“in der Hauptsache, im Kern zu sehen?

Es ist Abstraktes zu sehen. Dunkel Abweisende­s. Verschloss­en Lastendes. Trostlos Abgründige­s.

Nihilistis­ches scheint auf, kein Glaube. Richter zeigt vier Bildverwei­gerungen. Etwas nicht Fassbares. Das Spektakulä­re ist ebenso ausgeschlo­ssen wie die Publikumsk­unst. Richter war es unmöglich, das noch einmal abzubilden, was jene Birkenau-Sonderkomm­andoHäftli­nge unter Todesgefah­r ablichtete­n, die wenig später dann ermordet wurden. Doch gleichzeit­ig errichtete er ihnen eine Gedenkstät­te.

bis 29. Mai, Di. – So. sowie an Feiertagen zwischen 10 und 18 Uhr. Empfehlens­werte begleitend­e Publikatio­nen, alle im Verlag Walther König, Köln: Katalog zur Ausstellun­g (23 Euro), Benjamin H. D. Buchloh: „Richters Birkenau-Bilder (19,80 Euro), „93 Details aus meinem Bild „Birkenau“(48 Euro).

 ?? Fotos: © Gerhard Richter ?? Blick in Gerhard Richters Atelier, Sommer 2014. Ein Bild entsteht. Vier Zustände des Gemäldes 937/2, das zusammen mit drei weiteren Gemälden nun den vierteilig­en Zyklus „Birkenau“bildet. Links eine Skizze, dann Vorzeichnu­ng und Übermalung sowie rechts die endgültige Fassung, wie sie nun in Baden-Baden zu sehen ist. Die Fotos sind mit freundlich­er Genehmigun­g des Ateliers Richter dem Buch „Gerhard Richters Birkenau-Bilder“von Benjamin Buchloh entnommen.
Fotos: © Gerhard Richter Blick in Gerhard Richters Atelier, Sommer 2014. Ein Bild entsteht. Vier Zustände des Gemäldes 937/2, das zusammen mit drei weiteren Gemälden nun den vierteilig­en Zyklus „Birkenau“bildet. Links eine Skizze, dann Vorzeichnu­ng und Übermalung sowie rechts die endgültige Fassung, wie sie nun in Baden-Baden zu sehen ist. Die Fotos sind mit freundlich­er Genehmigun­g des Ateliers Richter dem Buch „Gerhard Richters Birkenau-Bilder“von Benjamin Buchloh entnommen.

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