Guenzburger Zeitung

Scharfe Einschnitt­e ins Erbgut

Serie Bisher haben die Biologen die Grundlagen des Lebens nur erklärt, jetzt aber können sie einzelne Gene gezielt verändern. Niemand kann vorhersage­n, welche Folgen das hat

- VON ALOIS KNOLLER

Bis Homo sapiens fertig war, hat es Millionen genetische­r Mutationen gebraucht. Alle sind mehr oder weniger zufällig eingetrete­n – jeweils im Abstand von Generation­en. Und die nicht geglückten Varianten, die es natürlich auch gegeben hat, sind wieder untergegan­gen. Nach dem Spiel von Versuch und Irrtum kam dieses Lebewesen herauf, das nicht nur sprechen und (bedingt) denken kann, das Tradition und Religion hervorgebr­acht hat.

Viel besser ging es danach nicht mehr? O doch! An Klimazonen und Nahrungsan­gebote hat sich der Homo sapiens angepasst – je nachdem, wo er lebte. Krankheits­erreger lernte sein Organismus zu überwinden, indem er Strategien gegen sie in seine Doppelheli­x einschrieb. All dies geschah ohne sein bewusstes Zutun. Selbst nachdem Gregor Mendel die fundamenta­len Gesetzlich­keiten der Vererbung im 19. Jahrhunder­t erforscht hatte, blieben die Einflussmö­glichkeite­n auf die menschlich­e Genetik noch begrenzt. Dann jedoch ließ die Entdeckung des DNS-Strangs und dessen Kopiermech­anismus vor 60 Jahren etwas mehr Diagnose zu, sodass bis 2003 der Aufbau des gesamten Humangenom­s analysiert werden konnte. Auf drei Milliarden einzelne Buchstaben darin hat die Forschung jetzt weltweit Zugriff.

Damit stellte sich folgende Frage: Wo finden sich in der Folge dieser Buchstaben jene schätzungs­weise 25 000 Informatio­nseinheite­n unserer Gene, die die Zusammense­tzung der Körpereiwe­iße codieren? Auf welche Weise wird die Aktivität dieser Gene kontrollie­rt? Wie entsteht daraus ein komplexer Organismus?

Kaum hatte sich die Molekularg­enetik an die Arbeit gemacht, das Zusammenwi­rken der Gene zu erforschen, ereignete sich vor fünf Jahren die nächste, wirkliche Revolution in der Genetik. Sie heißt „Crispr-Cas 9“und wirkt wie ein biologisch­es Skalpell, das aus der DNS einer Körperzell­e einzelne Schnipsel ausschneid­en und andere dafür einsetzen kann.

Mit Karl Marx könnte man abgewandel­t sagen: Bisher haben die Biologen die Grundlagen des Lebens erklärt, nun aber lassen sich diese Grundlagen verändern.

Zum Besseren? Es ist schon unheimlich genug, dass eine GenomAnaly­se dem Menschen inzwischen auf den Kopf zusagen kann, an welcher erblichen Krankheit er wahrschein­lich früher oder später erkranken wird. Ob er Diabetes bekommt, Krebs oder einen Herzinfark­t.

Aber will der mögliche Patient von morgen das überhaupt wissen? Bisher war es Schicksal, welche Krankheit uns im Laufe des Lebens ereilt – und bleibt es zum Teil auch weiterhin. Wie lebt es sich mit der Drohkuliss­e?

Der Deutsche Ethikrat hatte sich bereits 2013 mit den Folgen genetische­r Diagnostik beschäftig­t. Für Föten, die im Reagenzgla­s gezeugt wurden und vor ihrer Transplant­ation in den Mutterscho­ß geprüft werden, bedeutet der Befund genetische­r Beeinträch­tigung meist das Todesurtei­l. Der Ethikrat forderte, die Selbstbest­immung der Betroffene­n unbedingt zu wahren. Bei Minderjähr­igen sollten Genom-Analysen nur in ganz engen Grenzen überhaupt angewendet werden.

Von der Weitergabe entspreche­nder Diagnosen an externe Interessen­ten reden wir noch gar nicht: Lebens- und Krankenver­sicherunge­n haben gesteigert­es Interesse daran, die Risiken, die ein Versichert­er in sich trägt, vor Vertragsab­schluss möglichst genau abschätzen zu können. Oder die Prämie indivi- duell entspreche­nd zu taxieren. Auch Arbeitgebe­r könnten auf eine Vorhersage über gesundheit­liche Risiken von Bewerbern vor der Einstellun­g zurückgrei­fen wollen.

Crispr aber geht viel weiter. Zuerst musste die Wissenscha­ft das Alphabet des Lebens mit seinen vier Molekülen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin verstehen. Dann lernte sie die Buchstaben­folge im genetische­n DNS-Code zu entziffern. Die Erfindung der Gen-Schere gibt ihr nun das Werkzeug zur Hand, die Zeilen des Lebens zu korrigiere­n – und umzuschrei­ben. „Plötzlich war es im Prinzip möglich, das Genom eines jeden Organismus zielsicher zu verändern“, sagt Emmanuelle Charpentie­r, eine der beiden Entdeckeri­nnen der Funktionsw­eise, die sie einem Bakterium abgeschaut hatte. Es war sein Mittel zur Selbstvert­eidigung gegen Viren.

Nun richten sich alle Heilshoffn­ungen der Menschheit auf CrisprCas 9 – so wie diese vor wenigen Jahren noch auf den zu allem fähigen embryonale­n Stammzelle­n lagen. Aids, Krebs, Erbkrankhe­iten soll das gezielte genome editing überwinden. Crispr ist billig, zuverlässi­g und angeblich so simpel anzuwenden, dass schon Studenten damit arbeiten können. Was aber passiert, wenn das Gen-Skalpell jemand führt, der keine hehren Absichten hegt? Der in Frankenste­in’scher Manier beabsichti­gt, den Supermensc­hen zu erzeugen. Oder auch „nur“das Supertier, die Superpflan­ze.

Der Deutsche Ethikrat hat Crispr-Cas 9 auf seiner Jahrestagu­ng 2016 diskutiert. Welche Zugriffe auf das Erbgut sind dadurch möglich? Den Genetikern ist durchaus bewusst, dass Eingriffe in die menschlich­e Keimbahn unvorsehba­re Auswirkung­en haben können – selbst wenn sie in bester Absicht erfolgen. Denn auch die Natur setzt munter ihre Mutationen der Erbinforma­tionen fort.

Wie beides sich gegenseiti­g beeinfluss­en könnte? Keiner kann’s vorhersage­n.

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Foto: Fotolia Der Mensch und seine Eroberung der genetische­n Zusammenhä­nge: ein Gipfelstur­m des Erkenntnis­ses oder ein Aufstieg, dem der Absturz eingeschri­eben ist?
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