Paul sagt zum Abschied leise Servus
Karriere Nach 41 Jahren geht der dienstälteste Mitarbeiter des Dominikus-Ringeisen-Werks in den Ruhestand
Ganz spurlos sind die vergangenen 41 Jahre an Paul Steghöfer nicht vorübergegangen. Wenn man das Foto aus seiner Anfangszeit im Dominikus-Ringeisen-Werk zur Hand nimmt, erkennt man den schlanken jungen Mann mit dem wallenden Haar nicht auf Anhieb. Die Haare sind inzwischen etwas kürzer, grauer und weniger geworden, der Bart zivilisierter aber Paul Steghöfer ist sich als unabhängiger Kopf stets treu geblieben. Steghöfer – inzwischen der dienstälteste Mitarbeiter im Werk – erinnert sich noch gut an den Tag, an dem alles begann. An der Klosterpforte bewarb er sich als Zivildienstleistender. Die „würdige Mutter“würde über seine Aufnahme entscheiden, hieß es dort. Gemeint war Generaloberin Eduardine Rost, die diese Gespräche recht pragmatisch anging. Als ihr Steghöfer im Bewerbungsgespräch offenbarte, dass er „sehr evangelisch“sei, entgegnete ihm die Generaloberin: „Es ist mir lieber, Sie sind sehr evangelisch als ein bisschen katholisch.“
Wie die anderen Zivis musste Steghöfer zunächst einen Teil seiner Arbeitszeit in der neu gegründeten Fachschule für Heilerziehungspflege absolvieren. Die „würdige Mutter“Eduardine Rost war als Gründerin der Fachschule überzeugt davon, dass es besser sei, die Zivis arbeiteten nur einen Teil der Zeit in den Wohngruppen, wüssten dafür aber, was sie dort zu tun hätten. Was Steghöfer aus seinem Leben machen sollte, war ihm auch nach dem Zivildienst noch nicht ganz klar. „Ich bin immer irgendwo reingepurzelt“, beschreibt er seinen Weg. Die Strategie ging auf, beruflich und privat. Weil er nicht studieren wollte, absolvierte er später eine berufsbegleitende Ausbildung zum Kommunikationsberater. Dabei lernte er seine Ehefrau Hiltrud kennen, mit der er drei Kinder hat.
Um jedoch über die momentane Unentschlossenheit nach dem Zivildienst hinwegzukommen, hängte er eine Ausbildung an der Fachschule für Heilerziehungspflege an. Er startete in „einer unglaublich netten Kindergruppe“. Die Buben mit Down-Syndrom hatten eine Riesenfreude, wenn sie zusammen mit dem „Baul“zum Kicken auf den Bolzplatz gehen konnten. Wichtige Impulse für sein Leben hätten ihm die Erfahrungen mit Menschen mit Behinderung gegeben, sagt er. Die gab es in seinem Job zuhauf. „Irgendwann musste dann aber auch ich mal eine Prüfung machen“, sagt er lachend. Dem Werk blieb er danach noch treu. Auf einer Sozialpädagogenstelle startete er ganz allein in der neu gegründeten Abteilung „mit einem Schreibtisch und einem Bleistift“, erinnert sich Steghöfer. Die Stelle war geschaffen worden, um Freizeitangebote außerhalb der Wohngruppen zu entwickeln. Dabei ging es Ende der 1970er Jahre noch sehr spartanisch zu. Ohne jede Ahnung von der Gebärdensprache fuhr Steghöfer und drei Mitarbeiter, mit 25 erwachsenen Gehörlosen, in die erste Ferienmaßnahme. In der Nähe von Schrobenhausen bezog die Gruppe für zwei Wochen ein leer stehendes Pfarrhaus. Versorgen mussten sie sich dort selbst. Im damaligen Pflegebüro drückte Schwester Alma Steghöfer noch 100 Mark in die Hand und wünschte ihm eine gute Fahrt. Für die erste Woche wurde die Gruppe noch mit Verpflegung ausgestattet, für die zweite Woche brachte ein Fahrzeug des Ringeisenwerks den Nachschub – in der Regel vor allem Gemüse, das es in der werkseigenen Gärtnerei gerade im Überfluss gab. Kochen und backen mussten sie selbst.
In der Folgezeit ging es darum, ein vernünftiges Freizeitangebot zu entwickeln und auf eine tragfähige finanzielle Basis zu stellen. Zuschüsse mussten organisiert werden. Eine Studentengruppe entwickelte Freizeitangebote mit Töpfer- und Malkursen. In dieser Zeit entstand auch das Ursberger Sommerfest. Primär ging es dabei darum, das etwas schwierige Verhältnis zwischen den handwerklichen und den pädagogischen Mitarbeitern im Werk aufzu- lockern. Dabei machte Steghöfer seine ersten Erfahrungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Steghöfer muss lachen, wenn er daran denkt, dass die Organisation des Fests viele Jahre in der Abteilung Freizeit verblieb, ihn aber später, als er bereits das Referat für Öffentlichkeitsarbeit leitete, wieder traf. Nach 14 Jahren in der Abteilung Freizeit wollte Steghöfer neue Wege gehen und wurde stellvertretender Heimleiter in St. Josef. Das Haus hatte im Werk einen besonderen Status, weil dort seine Geschichte begonnen hatte. Deshalb hätten sich die Schwestern auch sehr schwergetan, das Haus zugunsten des Gymnasiums aufzulösen. Steghöfer sagt, er habe die Offenheit in St. Josef sehr genossen. Ständig sei man sich dort über den Weg gelaufen. Doch den modernen Anforderungen der Behindertenpflege habe es nicht mehr genügt.
Im Jahr 2000 wechselte Steghöfer daher in die Öffentlichkeitsarbeit. Die Rahmenbedingungen seien anfangs bedrückend gewesen, erinnert sich Steghöfer. Die Redaktionsstube, in der sein Vorgänger arbeiten musste, sei ein „finsteres Loch im Mutterhaus“gewesen. Jede Publikation hat anders ausgesehen. Sein größtes Anliegen sei damals geweFreizeit sen, der Öffentlichkeitsarbeit ein einheitliches Erscheinungsbild zu verleihen. „Es sollte nicht billig, aber auch nicht zu protzig wirken. Ich hoffe, dass ich da einen guten Mittelweg gefunden habe“, sagt Steghöfer heute. Ihm seien vor allem zwei Dinge wichtig gewesen. „Dass mich die Mitarbeiter als Unterstützer erlebt haben, nicht als Vorschriftenmacher und dass ich etwas Positives beigetragen habe, zum Image von Menschen mit Behinderung.“Die Menschen, die im Werk betreut würden, seien so unterschiedlich in ihrem Charakter und ihren Bedürfnissen. „Man muss die Leute in dem unterstützen, was sie wollen, und nicht dahin treiben, was wir meinen, gut für sie wäre“, sagt Steghöfer. Es gefalle ihm sehr gut, dass sich die Mitarbeiter im Werk heute als Assistenten verstehen, nicht als Vorgesetzte der Klienten. In der Arbeit mit behinderten Menschen habe sich unglaublich viel zum Besseren verändert. Dabei habe das Ringeisen-Werk immer eine Vorreiterrolle gespielt. „Man unterstellt so einem Riesenladen ja gern, dass er eher schwerfällig ist, aber das Gegenteil ist der Fall.“Das belege die frühe Einrichtung der Fachschule, wo schnell auch der Ausbildungsbereich für Hilfen für Menschen mit erworbenen Hirnschäden erschlossen wurde oder auch die Beratungsstelle für unterstützte Kommunikation. Steghöfer freut sich auch über die „unglaubliche Angebotspalette“im Bereich Wohnen. „Es sind so viele Dinge, bei denen ich hoffe, dazu beigetragen zu haben, dass Menschen mit Behinderung Spaß am Leben haben und ganz normal mit dabei sind im täglichen Leben.“
Dennoch freue er sich jetzt „total“auf den Ruhestand. Denn in den vergangenen Jahren habe es auch Dinge gegeben „über die man sich ärgert“, räumt er ein. Steghöfer hält aber nichts davon, zum Abschied noch auszuteilen. Er freue sich sehr, dass das Bläserensemble des Ringeisen-Gymnasiums, unter Leitung von Andreas Altstetter, für seine Verabschiedung am 16. Februar, einen „Blues für Paul“komponiert habe. Mit dem Eintritt in den Ruhestand verbinde er ein Gefühl der Befreiung, wobei er sich nicht von außen unter Druck gesetzt gefühlt habe, sondern eher von seinen eigenen Ansprüchen. Aufgaben gebe es für ihn aber auch zu Hause genug. Als Erstes will er Ordnung in seine Schallplatten- und CD-Sammlung bringen. Außerdem steht in seiner Garage ein 45 Jahre alter Fiat 500, „der viel Zuwendung braucht“. Darüber hinaus, werden die Steghöfers in ihrer Funktion als Großeltern noch zwei bis dreimal pro Jahr nach Göteborg reisen, wo der älteste Sohn an der Universität lehrt, und die Enkelin besuchen. „Und wenn mir nichts mehr einfällt, fällt meiner Frau zu 100 Prozent was ein.“Eines steht für ihn fest: „Ich will mich hier überhaupt nicht mehr blicken lassen, es sei denn man ruft mich an.“
Nach 14 Jahren in der Abteilung Freizeit wollte er neue Wege gehen