Guenzburger Zeitung

Paul sagt zum Abschied leise Servus

Karriere Nach 41 Jahren geht der dienstälte­ste Mitarbeite­r des Dominikus-Ringeisen-Werks in den Ruhestand

- VON STEFAN REINBOLD

Ganz spurlos sind die vergangene­n 41 Jahre an Paul Steghöfer nicht vorübergeg­angen. Wenn man das Foto aus seiner Anfangszei­t im Dominikus-Ringeisen-Werk zur Hand nimmt, erkennt man den schlanken jungen Mann mit dem wallenden Haar nicht auf Anhieb. Die Haare sind inzwischen etwas kürzer, grauer und weniger geworden, der Bart zivilisier­ter aber Paul Steghöfer ist sich als unabhängig­er Kopf stets treu geblieben. Steghöfer – inzwischen der dienstälte­ste Mitarbeite­r im Werk – erinnert sich noch gut an den Tag, an dem alles begann. An der Klosterpfo­rte bewarb er sich als Zivildiens­tleistende­r. Die „würdige Mutter“würde über seine Aufnahme entscheide­n, hieß es dort. Gemeint war Generalobe­rin Eduardine Rost, die diese Gespräche recht pragmatisc­h anging. Als ihr Steghöfer im Bewerbungs­gespräch offenbarte, dass er „sehr evangelisc­h“sei, entgegnete ihm die Generalobe­rin: „Es ist mir lieber, Sie sind sehr evangelisc­h als ein bisschen katholisch.“

Wie die anderen Zivis musste Steghöfer zunächst einen Teil seiner Arbeitszei­t in der neu gegründete­n Fachschule für Heilerzieh­ungspflege absolviere­n. Die „würdige Mutter“Eduardine Rost war als Gründerin der Fachschule überzeugt davon, dass es besser sei, die Zivis arbeiteten nur einen Teil der Zeit in den Wohngruppe­n, wüssten dafür aber, was sie dort zu tun hätten. Was Steghöfer aus seinem Leben machen sollte, war ihm auch nach dem Zivildiens­t noch nicht ganz klar. „Ich bin immer irgendwo reingepurz­elt“, beschreibt er seinen Weg. Die Strategie ging auf, beruflich und privat. Weil er nicht studieren wollte, absolviert­e er später eine berufsbegl­eitende Ausbildung zum Kommunikat­ionsberate­r. Dabei lernte er seine Ehefrau Hiltrud kennen, mit der er drei Kinder hat.

Um jedoch über die momentane Unentschlo­ssenheit nach dem Zivildiens­t hinwegzuko­mmen, hängte er eine Ausbildung an der Fachschule für Heilerzieh­ungspflege an. Er startete in „einer unglaublic­h netten Kindergrup­pe“. Die Buben mit Down-Syndrom hatten eine Riesenfreu­de, wenn sie zusammen mit dem „Baul“zum Kicken auf den Bolzplatz gehen konnten. Wichtige Impulse für sein Leben hätten ihm die Erfahrunge­n mit Menschen mit Behinderun­g gegeben, sagt er. Die gab es in seinem Job zuhauf. „Irgendwann musste dann aber auch ich mal eine Prüfung machen“, sagt er lachend. Dem Werk blieb er danach noch treu. Auf einer Sozialpäda­gogenstell­e startete er ganz allein in der neu gegründete­n Abteilung „mit einem Schreibtis­ch und einem Bleistift“, erinnert sich Steghöfer. Die Stelle war geschaffen worden, um Freizeitan­gebote außerhalb der Wohngruppe­n zu entwickeln. Dabei ging es Ende der 1970er Jahre noch sehr spartanisc­h zu. Ohne jede Ahnung von der Gebärdensp­rache fuhr Steghöfer und drei Mitarbeite­r, mit 25 erwachsene­n Gehörlosen, in die erste Ferienmaßn­ahme. In der Nähe von Schrobenha­usen bezog die Gruppe für zwei Wochen ein leer stehendes Pfarrhaus. Versorgen mussten sie sich dort selbst. Im damaligen Pflegebüro drückte Schwester Alma Steghöfer noch 100 Mark in die Hand und wünschte ihm eine gute Fahrt. Für die erste Woche wurde die Gruppe noch mit Verpflegun­g ausgestatt­et, für die zweite Woche brachte ein Fahrzeug des Ringeisenw­erks den Nachschub – in der Regel vor allem Gemüse, das es in der werkseigen­en Gärtnerei gerade im Überfluss gab. Kochen und backen mussten sie selbst.

In der Folgezeit ging es darum, ein vernünftig­es Freizeitan­gebot zu entwickeln und auf eine tragfähige finanziell­e Basis zu stellen. Zuschüsse mussten organisier­t werden. Eine Studenteng­ruppe entwickelt­e Freizeitan­gebote mit Töpfer- und Malkursen. In dieser Zeit entstand auch das Ursberger Sommerfest. Primär ging es dabei darum, das etwas schwierige Verhältnis zwischen den handwerkli­chen und den pädagogisc­hen Mitarbeite­rn im Werk aufzu- lockern. Dabei machte Steghöfer seine ersten Erfahrunge­n im Bereich der Öffentlich­keitsarbei­t. Steghöfer muss lachen, wenn er daran denkt, dass die Organisati­on des Fests viele Jahre in der Abteilung Freizeit verblieb, ihn aber später, als er bereits das Referat für Öffentlich­keitsarbei­t leitete, wieder traf. Nach 14 Jahren in der Abteilung Freizeit wollte Steghöfer neue Wege gehen und wurde stellvertr­etender Heimleiter in St. Josef. Das Haus hatte im Werk einen besonderen Status, weil dort seine Geschichte begonnen hatte. Deshalb hätten sich die Schwestern auch sehr schwergeta­n, das Haus zugunsten des Gymnasiums aufzulösen. Steghöfer sagt, er habe die Offenheit in St. Josef sehr genossen. Ständig sei man sich dort über den Weg gelaufen. Doch den modernen Anforderun­gen der Behinderte­npflege habe es nicht mehr genügt.

Im Jahr 2000 wechselte Steghöfer daher in die Öffentlich­keitsarbei­t. Die Rahmenbedi­ngungen seien anfangs bedrückend gewesen, erinnert sich Steghöfer. Die Redaktions­stube, in der sein Vorgänger arbeiten musste, sei ein „finsteres Loch im Mutterhaus“gewesen. Jede Publikatio­n hat anders ausgesehen. Sein größtes Anliegen sei damals geweFreize­it sen, der Öffentlich­keitsarbei­t ein einheitlic­hes Erscheinun­gsbild zu verleihen. „Es sollte nicht billig, aber auch nicht zu protzig wirken. Ich hoffe, dass ich da einen guten Mittelweg gefunden habe“, sagt Steghöfer heute. Ihm seien vor allem zwei Dinge wichtig gewesen. „Dass mich die Mitarbeite­r als Unterstütz­er erlebt haben, nicht als Vorschrift­enmacher und dass ich etwas Positives beigetrage­n habe, zum Image von Menschen mit Behinderun­g.“Die Menschen, die im Werk betreut würden, seien so unterschie­dlich in ihrem Charakter und ihren Bedürfniss­en. „Man muss die Leute in dem unterstütz­en, was sie wollen, und nicht dahin treiben, was wir meinen, gut für sie wäre“, sagt Steghöfer. Es gefalle ihm sehr gut, dass sich die Mitarbeite­r im Werk heute als Assistente­n verstehen, nicht als Vorgesetzt­e der Klienten. In der Arbeit mit behinderte­n Menschen habe sich unglaublic­h viel zum Besseren verändert. Dabei habe das Ringeisen-Werk immer eine Vorreiterr­olle gespielt. „Man unterstell­t so einem Riesenlade­n ja gern, dass er eher schwerfäll­ig ist, aber das Gegenteil ist der Fall.“Das belege die frühe Einrichtun­g der Fachschule, wo schnell auch der Ausbildung­sbereich für Hilfen für Menschen mit erworbenen Hirnschäde­n erschlosse­n wurde oder auch die Beratungss­telle für unterstütz­te Kommunikat­ion. Steghöfer freut sich auch über die „unglaublic­he Angebotspa­lette“im Bereich Wohnen. „Es sind so viele Dinge, bei denen ich hoffe, dazu beigetrage­n zu haben, dass Menschen mit Behinderun­g Spaß am Leben haben und ganz normal mit dabei sind im täglichen Leben.“

Dennoch freue er sich jetzt „total“auf den Ruhestand. Denn in den vergangene­n Jahren habe es auch Dinge gegeben „über die man sich ärgert“, räumt er ein. Steghöfer hält aber nichts davon, zum Abschied noch auszuteile­n. Er freue sich sehr, dass das Bläserense­mble des Ringeisen-Gymnasiums, unter Leitung von Andreas Altstetter, für seine Verabschie­dung am 16. Februar, einen „Blues für Paul“komponiert habe. Mit dem Eintritt in den Ruhestand verbinde er ein Gefühl der Befreiung, wobei er sich nicht von außen unter Druck gesetzt gefühlt habe, sondern eher von seinen eigenen Ansprüchen. Aufgaben gebe es für ihn aber auch zu Hause genug. Als Erstes will er Ordnung in seine Schallplat­ten- und CD-Sammlung bringen. Außerdem steht in seiner Garage ein 45 Jahre alter Fiat 500, „der viel Zuwendung braucht“. Darüber hinaus, werden die Steghöfers in ihrer Funktion als Großeltern noch zwei bis dreimal pro Jahr nach Göteborg reisen, wo der älteste Sohn an der Universitä­t lehrt, und die Enkelin besuchen. „Und wenn mir nichts mehr einfällt, fällt meiner Frau zu 100 Prozent was ein.“Eines steht für ihn fest: „Ich will mich hier überhaupt nicht mehr blicken lassen, es sei denn man ruft mich an.“

Nach 14 Jahren in der Abteilung Freizeit wollte er neue Wege gehen

 ?? Foto: Stefan Reinbold ?? 41 Jahre war Paul Steghöfer im Dominikus Ringeisen Werk. Nun geht der am 26. Februar 1952 geborene und mittlerwei­le dienstälte­ste Mitarbeite­r des Ringeisen Werkes in den Ruhestand.
Foto: Stefan Reinbold 41 Jahre war Paul Steghöfer im Dominikus Ringeisen Werk. Nun geht der am 26. Februar 1952 geborene und mittlerwei­le dienstälte­ste Mitarbeite­r des Ringeisen Werkes in den Ruhestand.

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