Guenzburger Zeitung

Trump treibt Menschen in die Politik

Statistik Viele Parteien verzeichne­n einen kräftigen Zuwachs an Mitglieder­n. Ausgerechn­et der umstritten­e neue US-Präsident löst diesen Effekt aus. Die SPD profitiert zusätzlich von einem Schulz-Schwung. Doch ist diese Entwicklun­g von Dauer?

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Es gab eine Zeit, da hatte die Sozialdemo­kratische Partei Deutschlan­ds mehr als eine Million Mitglieder. Das war 1976 und 1977. Seither hat die SPD weit über die Hälfte ihrer Basis verloren. Ende 2016 hatten die Sozialdemo­kraten noch 432 706 Mitglieder. Den anderen Parteien ging es ähnlich, wenngleich nicht ganz so dramatisch. Doch ausgerechn­et der Mann, den in Deutschlan­d so viele als das beginnende Ende der Demokratie betrachten, scheint diese Entwicklun­g aufzuhalte­n: Donald Trump.

Seit der Polit-Provokateu­r Anfang November zum US-Präsidente­n gewählt worden ist, verzeichne­n Parteien einen kräftigen Zuwachs an Mitglieder­n. Und während die Rechtspopu­listen in Europa wegen Trump Rückenwind zu spüren glauben, sind es vor allem die Parteien im linken Spektrum, denen neue Mitglieder zulaufen. Der Parteienfo­rscher und Politikwis­senschaftl­er Werner Weidenfeld vom Münchner Centrum für angewandte Politikfor­schung spricht von einem „demokratis­chen Alarm“. Die Menschen wollten etwas tun, um die Demokratie zu schützen (siehe Interview unten).

Den Parteien ist die Zahl der Mitglieder nicht nur deshalb wichtig, desvorsitz­ende Petr Bystron. Einen speziellen „Trump-Effekt“sieht er nicht: „Wir haben im Schnitt zehn Eintritte pro Tag, ohne nennenswer­te Ausschläge.“

Keinen Effekt durch die TrumpWahl verzeichne­n CSU und Freie Wähler. Seit dem 8. November seien 740 Personen der CSU beigetrete­n, das entspreche dem Durchschni­tt, sagt eine Sprecherin. Insider berichten sogar, dass wegen des Schlingerk­urses von Parteichef Horst Seehofer gegenüber Bundeskanz­lerin Angela Merkel in der Flüchtling­spolitik zuletzt auch Parteiaust­ritte zu beklagen waren. Dennoch bleibt die CSU mit rund 142 000 Mitglieder­n die mit Abstand stärkste Partei im Freistaat.

Bei den Freien Wählern heißt es, man halte sich nicht für „die erste Anlaufstel­le für Personen, die durch die Trump-Wahl aufgeschre­ckt oder motiviert wurden“. Die Freien Wähler sprächen tendenziel­l eher Menschen an, denen Parteiunab­hängigkeit und eine eher sach- und konsensori­entierte Politik wichtig sei.

Polit-Anfänger Donald Trump als Retter der deutschen Parteien? So weit ist es noch nicht. Denn die Gesamtbila­nz bleibt immer noch wenig erfreulich. Weder bei der SPD noch bei den Linken konnte die hohe Zahl der Neueintrit­te den Rückgang bei den Altmitglie­dern ausgleiche­n. So fiel die Linke im vergangene­n Jahr leicht auf knapp 2500 Mitglieder. Bei der SPD steht ein Minus von fast 1600 auf 58 300 Mitglieder.

Doch bei den Sozialdemo­kraten gibt es noch ein anderes Phänomen: den „Schulz-Effekt“, der sich nicht nur in den Wahlumfrag­en niederschl­ägt. In den drei Wochen nach Bekanntwer­den der Kanzlerkan­didatur am 24. Januar zählt die Bayern-SPD noch einmal 700 neue Mitglieder. Der Landesvors­itzende Florian Pronold jubelt: „In politisch aufgewühlt­en Zeiten spüren die Leute: Auf die SPD kommt es an.“

Der „Schulz-Effekt“ist auch bundesweit deutlich stärker als der „Trump-Effekt“. Wie ein SPDSpreche­r in Berlin unserer Zeitung berichtet, verzeichne­te die Partei zwischen 24. Januar und 14. Februar 6135 Online-Parteieint­ritte. Der Parteispre­cher betont noch, dass die SPD seit Ende des Jahres 2016 wieder mitglieder­stärkste Partei in Deutschlan­d ist – mit 789 Mitglieder­n Vorsprung vor der CDU.

Doch erfahrene Parteimana­ger sehen die Entwicklun­g mit einer gewissen Vorsicht. Sie wissen aus Erfahrung: Menschen, die spontan einer Partei beitreten, verlassen diese oft noch im selben Jahr wieder, weil sie sich in den Ortsverbän­den nicht wie gewünscht einbringen können.

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Foto: dpa

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