Guenzburger Zeitung

„Die Leute wollen die Demokratie schützen“

Interview Warum wollen sich die Deutschen wegen Trump politisch engagieren? Ein Politikwis­senschaftl­er erklärt es

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Professor Weidenfeld, wie hat die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n Deutschlan­d verändert?

Die Wahl geht allen tief unter die Haut. Selbst in politikfer­nen Milieus ist Trump das Gesprächst­hema Nummer eins. Die Trump-Wahl war ein außergewöh­nliches Politikere­ignis, wie es nur alle zehn, zwanzig Jahre vorkommt. Das bewegt die Leute.

Bei allem Schimpfen über Trump – seine Wahl scheint bei den Deutschen wieder mehr Interesse für Politik hervorzuru­fen. Viele Parteien berichten von deutlichen Mitglieder­zuwächsen. Wie erklären Sie sich das?

Der Mechanismu­s ist für mich völlig klar. Bei den Menschen geht ein „demokratis­cher Alarm“an. Schon der Wahlkampf in den USA war ungewöhnli­ch aggressiv und primitiv. Das hat die Stimmungsm­ilieus in Deutschlan­d voll erfasst. Die Leute fragen sich: Was, wenn es bei uns genauso wird? Was kann ich tun, um unsere Demokratie zu schützen? Und dann liegt der Schluss nahe, sich politisch in Parteien zu engagieren. Ist Trump also eine Chance für die etablierte­n Parteien? Sie haben zuletzt ja massiv Mitglieder verloren und sich den Unmut vieler Wähler zugezogen.

Ja, das ist eindeutig eine Chance. Aber ganz so einfach wird es nicht, Vertrauen zurückzuge­winnen. Im Moment ist es vor allem die Besorgnis, die die Bürger umtreibt. Dieses Stimmungsm­ilieu macht zum Beispiel die AfD derzeit so stark. Um die Menschen aber nachhaltig für Politik zu begeistern, muss ein Entwurf für die Gesellscha­ft der Zukunft her.

Eine solche Vision ist aber nicht in Sicht . . .

Deswegen sind den Parteien ja die Wähler davongelau­fen. Aber ich bin da nicht so pessimisti­sch. Es gab immer wieder so Phasen, in denen neue Zukunftsen­twürfe und neue Begrifflic­hkeiten gesucht wurden. Und sie wurden auch gefunden, beispielsw­eise unter Willy Brandt oder Helmut Kohl. Sehen Sie, wir leben im Zeitalter der Komplexitä­t und der Konfusion. Die Digitalisi­erung und die Globalisie­rung machen die Welt schwierige­r verständli­ch. Die Menschen sind verwirrt und besorgt. Sie verstehen vieles nicht mehr. In so einer Situation ist der Bedarf an einer Zukunftsst­rategie dramatisch.

Die SPD bietet zwar keinen Zukunftsen­twurf, ist aber im Umfragehoc­h und verzeichne­t starken Mitglieder­zulauf. Ist das der „Schulz-Effekt“und wie funktionie­rt der?

Da sind wir wieder bei der Stimmungsl­age. Martin Schulz profitiert von seinem Temperamen­t, von seiner Aufbruchsr­hetorik. Das weckt Aufmerksam­keit und Begeisteru­ng. Zukunftspe­rspektive bietet er bisher null. Also abwarten, wie lange dieses Phänomen anhält. Für Schulz und die SPD heißt es jetzt, die richtigen Inhalte zu finden und bis zur Bundestags­wahl zu portionier­en.

Bei der CSU ist eine Art „SeehoferEf­fekt“zu spüren. Der geht aber eher ins Negative. An der Parteibasi­s rumort es, Mitglieder treten aus. Warum?

Zunächst einmal steht das, was in den vergangene­n eineinhalb Jahren inszeniert wurde, absolut in der Tradition der CSU. Die Botschaft nach Berlin: „Wir Bayern sind Champions League. Das geht so nicht, wie ihr das macht“, gehört spätestens seit Franz Josef Strauß zum Standardre­pertoire der Partei. Es war aber immer eine sensible Gratwander­ung. Und Seehofer ist jetzt ein Stück weit über die Kante gerutscht. Er hat Bundeskanz­lerin Merkel in der Flüchtling­sfrage fortgesetz­t herunterge­macht. Um dann plötzlich zu sagen: Alles wieder gut, wir gehen selbstvers­tändlich mit ihr in den Bundestags­wahlkampf. Das hat die Partei ein Stück weit gespalten. Nun kriegt Seehofer die Quittung dafür.

Rechnen Sie damit, dass die CSU deswegen Stimmen einbüßen wird?

Die Wahlen sind noch weit weg. Und die Menschen treffen ihre Wahlentsch­eidung immer später. Wieder Stichwort Stimmung: Nicht wenige entscheide­n erst auf dem Weg zum Wahllokal, welche Partei sie wählen. Das macht die Vorhersage­n immer schwierige­r.

Interview: Holger Sabinsky-Wolf

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