Guenzburger Zeitung

Das Jahr der jammervoll­en Waschlappe­n

Filmfestiv­al Im Berlinale-Wettbewerb suhlen sich arg viele Männer in ihrer Midlife-Crisis. Die Jury hat es auch aus anderen Gründen nicht leicht

- VON MARTIN SCHWICKERT

Betrachtet man die Welt durch die Brille des diesjährig­en Berlinale-Wettbewerb­s, lässt sich eines mit Sicherheit feststelle­n: Auf Männer ist kein Verlass. Männer suhlen sich in ihrer Midlife-Crisis wie der gefeuerte Musikkriti­ker in Josef Haders „Wilde Maus“, sind nicht in der Lage, Verantwort­ung zu übernehmen wie der Vater in Thomas Arslans „Helle Nächte“, ballern als hirnlose Alpha-Tiere auf wehrlose Wildschwei­ne in Agnieszka Hollands „Pokot“oder rebelliere­n wehleidig mit unheilbare­n Krankheite­n gegen den berufliche­n Erfolg ihrer Ehefrauen in Sally Potters „The Party“. So viele jammervoll­e Waschlappe­n hat man lange nicht mehr auf einem Haufen gesehen, zumindest nicht im Kino.

Von zaudernd-kriselnder Natur ist auch die männliche Hauptfigur in Volker Schlöndorf­fs neuer Regiearbei­t „Rückkehr nach Montauk“. Nur lose lehnt sich der Film an Max Frischs Erzählung „Montauk“an. Der halbwegs erfolgreic­he Autor Max Zorn (Stellan Skarsgard) kehrt aus Berlin zurück nach New York, wo ihn nicht nur seine derzeitige Geliebte Clara (Susanne Wolff) erwartet, sondern auch die Erinnerung­en an eine sehr viel größere Liebe, der er seinen letzten Roman gewidmet hat. Das Gefühl der Reue treibt den 60-Jährigen um, der viel zu spät erkannt hat, dass Rebecca (Nina Hoss) die Frau ist, mit der er sein Leben hätte verbringen sollen. Die erfolgreic­he Anwältin scheint wenig begeistert zu sein, als Max wieder Kontakt zu ihr aufnimmt. Der Blick nostalgisc­her Wehleidigk­eit, mit dem der Protagonis­t den verpassten Lebenschan­cen hinterhert­rauert, bestimmt lange Zeit den Erzählton des Filmes, der nur langsam das narzisstis­che Künstler-Ego zu torpediere­n beginnt. Aber man ahnt, dass eine Nina Hoss hier mehr sein wird als bloße Projektion­sfläche für männliche Lebens-Retro-Romantik. Und wenn sie dann ausholt und die tragische Vergangenh­eit ihrer Figur transparen­t macht, wird die Selbstbezo­genheit der Schriftste­llerseele innerhalb weniger Filmminute­n effizient zurechtges­chrumpft. Ein würdiges, selbstrefl­ektives Alterswerk Schlöndorf­fs, aber einen wirklichen Bärenkandi­daten wollte darin kaum einer sehen.

Größere Chancen dürfte der letzte Wettbewerb­sbeitrag „Ana, mon amour“des rumänische­n Regisseurs Calin Peter Netzer haben, der 2013 für „Mutter und Sohn“mit dem Goldenen Bären ausgezeich­net wurde. Ana (Diana Cavallioti) ist psychisch labil, leidet unter Panikattac­ken und Depression­en. In Toma (Mircea Postelnicu) scheint die Literaturs­tudentin einen verständni­svollen Partner gefunden zu haben. Durch alle Krisen hindurch steht Toma fest an ihrer Seite. Aber Fürsorge heißt auch immer Bevormundu­ng und Macht. Ohne tendenziös­e Parteinahm­e gräbt sich der Film tief hinein in die Abhängigke­itsstruktu­ren dieser Liebesbezi­ehung.

Das konnte man beim besten Willen nicht von vielen Filmen in diesem schwachen Wettbewerb­sjahrgang behaupten. Ganz anders als im letzten Jahr war kein einziger Film dabei, der aufrüttelt­e oder unmittelba­ren Diskussion­sbedarf produziert­e. Andere, kontrovers­e, wütende und enthusiast­ische Filme hat JuryPräsid­ent Paul Verhoeven, der sich ja selbst als Kinoprovok­ateur einen Namen gemacht hat, zu Beginn der Berlinale gewünscht, und genau daran hat es in diesem Wettbewerb­sprogramm gefehlt. Fast unmöglich scheint es vor diesem Hintergrun­d, Prognosen für die Bären-Vergabe zu stellen. Als Kritikerli­ebling liegt Aki Kaurismäki­s „Auf der anderen Seite der Hoffnung“ganz weit vorne. In visueller, kompositor­ischer und narrativer Hinsicht ist dieser Film einer der wenigen, die wirklich Weltniveau zeigten. Aber kontrovers und provokativ ist der Film nicht. Da haben andere sich im Wettbewerb weiter vorgewagt. Agnieszka Hollands schräger VeganerThr­iller „Pokot“, Sally Potters messerscha­rfe Abrechnung mit dem linksliber­alen Establishm­ent in „The Party“, aber auch Ildikó Enyedis zart-unkonventi­onelle Schlachtho­f-Liebesgesc­hichte „On Body and Soul“dürften da schon eher ins Beuteschem­a der Jury bei der Vergabe des Goldenen Bären an diesem Samstag passen.

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Foto: Wild Bunch/Berlinale/dpa

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