Raser zu Freiheitsstrafe verurteilt
22-Jähriger aus dem Landkreis Günzburg musste sich vor Gericht rechtfertigen, weil er in Ulm mit Tempo 102 einen Radfahrer erfasste
Gemütlich raucht der selbstständige Elektromeister auf seiner Dachterrasse eine Zigarette, er genießt den Sommerabend mit funkelnden Sternen an diesem 1. August 2015 kurz nach 23 Uhr. An den dröhnenden Autolärm von der Olgastraße insbesondere an solchen Wochenenden wie diesen, hat er sich gewöhnt. So wie er nehmen auch viele Anwohner der Olgastraße notgedrungen die Lärmbelästigung getunter Luxusschlitten hin.
Bei der Stadt Ulm zu opponieren, scheint vergebens. Bis zum 1. August 2015. Da hört der Elektromeister nicht nur ein Dröhnen, sondern quietschende Bremsgeräusche und dann ein kurzes, knackendes Geräusch. Als er von der Dachterrasse runterblickt, sieht er eine leblose Gestalt auf dem Gleiskörper der Straßenbahn liegen, stehende Fahrzeuge mit eingeschalteter Warnblinkanlage und eine Menschenmenge um den Schwerverletzten herum, die eifrig in einer fremden Sprache diskutiert, keinen Rettungswagen zu rufen. So sagen es jedenfalls Zeugen in einem Prozess vor dem Amtsgericht Ulm, wo sich ein 22-jähriger Autonarr aus dem Landkreis Günzburg wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung verantworten musste.
Er soll an diesem Sommerabend mit hoher Geschwindigkeit – laut Staatsanwaltschaft 102 Stundenkilometer, erlaubt sind 50 – einen 45-jährigen Radfahrer in der Olgastraße in der Nähe des Hauptbahnhofs mit dem hochgetunten 280-PSSchlitten seines Vaters erfasst und schwer verletzt haben. Eine junge Autofahrerin kam zum Unfall, wo zahlreiche Schaulustige und Kumpel des Angeklagten den Verletzten kaum beachteten, bis ihr ein Mann aus der Menge stumm ein Handy reichte, damit sie Rettungswagen und Polizei informieren konnte. Eine makabre Situation, empfand die Frau, die möglicherweise dem Radfahrer das Leben gerettet hat.
Bei dem Zusammenstoß mit dem Auto wurde der 45-Jährige 14 Meter durch die Luft geschleudert. Er erlitt beim Aufprall einen Schädelbruch, ein Schädelhirntrauma, die Milz wurde angerissen, Schultern und mehrere Rippen gebrochen. Drei Monate verbrachte er im Krankenhaus. Das lange Sitzen als Nebenkläger im Prozess strengt ihn sichtbar an, schlaflose Nächte und Gedächtnislücken erinnern die ehemalige Service-Kraft in der Gastronomie an diesen Abend und die möglicherweise lebenslangen Folgen.
Der Angeklagte, ein bulliger Mann mit wuchtiger Uhr am linken Unterarm und bedrücktem Gesichtsausdruck im Gerichtssaal, war nach dem Unfall nur ein Häuflein Elend, wie Zeugen aussagen. Doch erst jetzt beim Prozessanfang entschuldigt er sich beim Opfer seiner Raserei. Es tue ihm leid und er denke jeden Tag daran. Auf der Anklagebank gab er sich zerknirscht. Er sagte, er sei mit dem BMW seines Vaters mit seinem Bruder und einem Kumpel auf dem Weg zu einer Shisha-Bar gewesen, als er in der Olgastraße den überquerenden Radfahrer wahrnimmt, den Wagen voll bremst, aber den Unfall nicht mehr vermeiden kann.
Fragen des Staatsanwalts an die Zeugen zielten immer wieder im Verlauf des Prozesses darauf ab, ob der Radfahrer das Opfer eines möglichen Straßenrennens zwischen zwei BMW auf der Olgastraße gewesen sei, wie sie von Anwohnern schon oft beobachtet wurden. Doch das Gericht fand keine zweifelsfreien Beweise dafür. Die unterschiedlichsten Zeugenaussagen ergaben keine juristisch schlüssigen Hinweise darauf, wenn ein solch verbotenes und gefährliches Kräftemessen auch nicht ganz auszuschließen war.
Nach dem Gutachterbericht am Ende der Beweisaufnahme stand zweifelsfrei fest: Der Angeklagte war mit 102 Stundenkilometern durch die Olgastraße gefahren, als ein Radfahrer in Höhe des Salzstadels die Fahrbahn querte. Der Raser reagierte mit einer Vollbremsung – vergebens. Es wäre um ein Haar ein tödlicher Unfall gewesen, sagte der Sachverständige.
Einen „Verstoß aus purer Angeberei“nannte die Richterin die Raserei in ihrer Urteilsbegründung. Neben der Bewährungsstrafe muss der 22-Jährige 6000 Euro Schmerzensgeld an den Radfahrer bezahlen.
Abgesprochene Rasereien sind in der Olgastraße mit ihrer grünen Welle vom Hauptbahnhof bis zum Willy-Brandt-Platz von Anwohnern immer wieder beobachtet und bei der Stadt Ulm gemeldet worden. Obwohl es immer wieder zu Verkehrsunfällen kam, herrschte in der Stadtverwaltung Funkstille. Eine Messtafel auf Höhe des Justizgebäudes, die den Autofahrern die Geschwindigkeit anzeigte, half nichts gegen die ohrenbetäubende Raserei.
Einen positiven Effekt auf die Raserei in der Olgastraße hatte der Vorfall aber bereits: Unmittelbar nach diesem Unfall im August 2015 erfüllte die Stadt den Wunsch der Anwohner nach einem stationären Blitzer bei Tempo 50. Zudem wurde die rechte Fahrspur Richtung Frauenstraße nachts zum Parken freigegeben und die Ampelschaltung geändert. Das hat laut Anwohnern endlich mehr Sicherheit gebracht. Der Autolärm in der Olgastraße ist zumindest geblieben, wie man sich als Besucher des Amtsgerichts überzeugen konnte, als es mehrmals durch die Fenster dröhnte.
Erst bei Prozessbeginn kam die Entschuldigung Für ein illegales Rennen gab es nicht genug Beweise