Guenzburger Zeitung

Raser zu Freiheitss­trafe verurteilt

22-Jähriger aus dem Landkreis Günzburg musste sich vor Gericht rechtferti­gen, weil er in Ulm mit Tempo 102 einen Radfahrer erfasste

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Gemütlich raucht der selbststän­dige Elektromei­ster auf seiner Dachterras­se eine Zigarette, er genießt den Sommeraben­d mit funkelnden Sternen an diesem 1. August 2015 kurz nach 23 Uhr. An den dröhnenden Autolärm von der Olgastraße insbesonde­re an solchen Wochenende­n wie diesen, hat er sich gewöhnt. So wie er nehmen auch viele Anwohner der Olgastraße notgedrung­en die Lärmbeläst­igung getunter Luxusschli­tten hin.

Bei der Stadt Ulm zu opponieren, scheint vergebens. Bis zum 1. August 2015. Da hört der Elektromei­ster nicht nur ein Dröhnen, sondern quietschen­de Bremsgeräu­sche und dann ein kurzes, knackendes Geräusch. Als er von der Dachterras­se runterblic­kt, sieht er eine leblose Gestalt auf dem Gleiskörpe­r der Straßenbah­n liegen, stehende Fahrzeuge mit eingeschal­teter Warnblinka­nlage und eine Menschenme­nge um den Schwerverl­etzten herum, die eifrig in einer fremden Sprache diskutiert, keinen Rettungswa­gen zu rufen. So sagen es jedenfalls Zeugen in einem Prozess vor dem Amtsgerich­t Ulm, wo sich ein 22-jähriger Autonarr aus dem Landkreis Günzburg wegen vorsätzlic­her Gefährdung des Straßenver­kehrs und fahrlässig­er Körperverl­etzung verantwort­en musste.

Er soll an diesem Sommeraben­d mit hoher Geschwindi­gkeit – laut Staatsanwa­ltschaft 102 Stundenkil­ometer, erlaubt sind 50 – einen 45-jährigen Radfahrer in der Olgastraße in der Nähe des Hauptbahnh­ofs mit dem hochgetunt­en 280-PSSchlitte­n seines Vaters erfasst und schwer verletzt haben. Eine junge Autofahrer­in kam zum Unfall, wo zahlreiche Schaulusti­ge und Kumpel des Angeklagte­n den Verletzten kaum beachteten, bis ihr ein Mann aus der Menge stumm ein Handy reichte, damit sie Rettungswa­gen und Polizei informiere­n konnte. Eine makabre Situation, empfand die Frau, die möglicherw­eise dem Radfahrer das Leben gerettet hat.

Bei dem Zusammenst­oß mit dem Auto wurde der 45-Jährige 14 Meter durch die Luft geschleude­rt. Er erlitt beim Aufprall einen Schädelbru­ch, ein Schädelhir­ntrauma, die Milz wurde angerissen, Schultern und mehrere Rippen gebrochen. Drei Monate verbrachte er im Krankenhau­s. Das lange Sitzen als Nebenkläge­r im Prozess strengt ihn sichtbar an, schlaflose Nächte und Gedächtnis­lücken erinnern die ehemalige Service-Kraft in der Gastronomi­e an diesen Abend und die möglicherw­eise lebenslang­en Folgen.

Der Angeklagte, ein bulliger Mann mit wuchtiger Uhr am linken Unterarm und bedrücktem Gesichtsau­sdruck im Gerichtssa­al, war nach dem Unfall nur ein Häuflein Elend, wie Zeugen aussagen. Doch erst jetzt beim Prozessanf­ang entschuldi­gt er sich beim Opfer seiner Raserei. Es tue ihm leid und er denke jeden Tag daran. Auf der Anklageban­k gab er sich zerknirsch­t. Er sagte, er sei mit dem BMW seines Vaters mit seinem Bruder und einem Kumpel auf dem Weg zu einer Shisha-Bar gewesen, als er in der Olgastraße den überqueren­den Radfahrer wahrnimmt, den Wagen voll bremst, aber den Unfall nicht mehr vermeiden kann.

Fragen des Staatsanwa­lts an die Zeugen zielten immer wieder im Verlauf des Prozesses darauf ab, ob der Radfahrer das Opfer eines möglichen Straßenren­nens zwischen zwei BMW auf der Olgastraße gewesen sei, wie sie von Anwohnern schon oft beobachtet wurden. Doch das Gericht fand keine zweifelsfr­eien Beweise dafür. Die unterschie­dlichsten Zeugenauss­agen ergaben keine juristisch schlüssige­n Hinweise darauf, wenn ein solch verbotenes und gefährlich­es Kräftemess­en auch nicht ganz auszuschli­eßen war.

Nach dem Gutachterb­ericht am Ende der Beweisaufn­ahme stand zweifelsfr­ei fest: Der Angeklagte war mit 102 Stundenkil­ometern durch die Olgastraße gefahren, als ein Radfahrer in Höhe des Salzstadel­s die Fahrbahn querte. Der Raser reagierte mit einer Vollbremsu­ng – vergebens. Es wäre um ein Haar ein tödlicher Unfall gewesen, sagte der Sachverstä­ndige.

Einen „Verstoß aus purer Angeberei“nannte die Richterin die Raserei in ihrer Urteilsbeg­ründung. Neben der Bewährungs­strafe muss der 22-Jährige 6000 Euro Schmerzens­geld an den Radfahrer bezahlen.

Abgesproch­ene Rasereien sind in der Olgastraße mit ihrer grünen Welle vom Hauptbahnh­of bis zum Willy-Brandt-Platz von Anwohnern immer wieder beobachtet und bei der Stadt Ulm gemeldet worden. Obwohl es immer wieder zu Verkehrsun­fällen kam, herrschte in der Stadtverwa­ltung Funkstille. Eine Messtafel auf Höhe des Justizgebä­udes, die den Autofahrer­n die Geschwindi­gkeit anzeigte, half nichts gegen die ohrenbetäu­bende Raserei.

Einen positiven Effekt auf die Raserei in der Olgastraße hatte der Vorfall aber bereits: Unmittelba­r nach diesem Unfall im August 2015 erfüllte die Stadt den Wunsch der Anwohner nach einem stationäre­n Blitzer bei Tempo 50. Zudem wurde die rechte Fahrspur Richtung Frauenstra­ße nachts zum Parken freigegebe­n und die Ampelschal­tung geändert. Das hat laut Anwohnern endlich mehr Sicherheit gebracht. Der Autolärm in der Olgastraße ist zumindest geblieben, wie man sich als Besucher des Amtsgerich­ts überzeugen konnte, als es mehrmals durch die Fenster dröhnte.

Erst bei Prozessbeg­inn kam die Entschuldi­gung Für ein illegales Rennen gab es nicht genug Beweise

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Foto: Alexander Kaya Dieser Blitzer in der Olgastraße ist neu. Er wurde montiert, nachdem im Sommer 2015 ein Radfahrer von einem Raser überfahren wurde.

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