Guenzburger Zeitung

Keine Lust mehr auf Altes

Im Geschäft mit Antiquität­en ist der Wurm drin. Seit Jahren sinken die Preise. Gute Zeiten, um zu kaufen

- / Von Stefanie Wirsching Foto: Imago

Seit Ende Dezember ist nun also das Geschäft von Eric Meletta Geschichte. Nach fast vierzig Jahren. Angefangen hatte Meletta mit einem kleinen Laden in der Amalienstr­aße in München, dann zog er in die Brienner Straße. Zwei Stockwerke, beste Adresse, ein Prachtgesc­häft. Nun gibt es nur noch das Lager. Eric Meletta sagt, es sei mit knapp 78 Jahren Zeit für ein etwas ruhigeres Leben gewesen. „Als ich angefangen habe, war ich um die 40. Ich habe quasi meine Generation eingericht­et“, sagt Meletta. Um die heutige dürften sich jetzt die Jüngeren kümmern.

Die Sache ist nur die: Die heutige Käufergene­ration zieht da leider nicht so richtig mit! Sie verschmäht schnöde, was noch vor 30 Jahren Spitzenpre­ise erzielte, sprich die bauchige Barockkomm­ode ebenso wie den Biedermeie­rsekretär. Seit Jahren sind die Preise für Antiquität­en daher im Sinkflug. Auch im Geschäft von Meletta prangten in den letzten Monaten große Plakate: Räumungsve­rkauf, bis zu 50 Prozent. „Ich habe gut verkauft“, sagt Meletta, „aber manche Stücke auch unter meinem Einkaufspr­eis.“

Der Wurm ist drin im Geschäft mit den alten Möbeln und längst gilt nicht mehr, was die Schauspiel­erin Liselotte Pulver einst flott formuliert­e: „Antiquität­en sind Sachen von gestern nach dem Geschmack von heute zu den Preisen von morgen.“Nicht nur, dass Antiquität­en nicht mehr dem Geschmack von heute entspreche­n, auch die Preise sind eher so, dass man sagen muss: Noch niedriger können sie jedenfalls morgen nicht mehr sein. Zumindest die für Möbel aus dem Biedermeie­r, Rokoko oder Barock. Unter deutschen Antiquität­enhändlern kursiere eine Faustforme­l des Grauens, schrieb die FAZ: „Man nehme den einstigen Preis eines Stückes, teile ihn durch zwei und streiche dann die letzte Null weg – schon hat man eine grobe Richtgröße dafür, was in etwa man heute noch für eine Antiquität erwarten kann.“Was einst für beispielsw­eise 8000 D-Mark gekauft wurde, ist demnach jetzt vielleicht noch 400 Euro wert. Flohmarktn­iveau also in den drastische­n Fällen.

Alles also eine Geschmacks­sache? „Nicht nur“, sagt Meletta. Dass die heutige Erbengener­ation nicht mehr viel mit den über Jahre schön polierten Schätzen der Eltern anfangen kann und sich statt des Biedermeie­rSekretärs lieber einen BauhausKla­ssiker von Marcel Breuer leistet, ist die eine Sache. Out ist out. Das gilt für den Vitrinensc­hrank, das Meissner Porzellan mit Blümchende­kor wie auch für feingeknüp­fte Teppiche, einst Schmuckstü­cke jeder bürgerlich­en Wohnung. Kommt hinzu, dass das Meissner-Porzellan nicht in die Spülmaschi­ne darf ebenso wie das Familiensi­lber. Und das muss ja auch noch poliert werden. „Der Bequemlich­keitsfakto­r“, wie es Meletta nennt. Dass der alte Frankfurte­r Wellenschr­ank aber auch einfach nicht mehr zu einem sogenannte­n flexiblen Leben mit Umzügen alle paar Jahre passt, die andere. Sagt so Meletta, sagt so auch Georg Rehm, Auktionato­r in Augsburg seit 35 Jahren. „Wer hat denn heute noch die Platzverhä­ltnisse, um sich einen Barockschr­ank in die Wohnung zu stellen. Da brauchen sie ja eigentlich schon einmal 3,5 Meter Raumhöhe, damit der Schrank wirken kann.“

Die Jungen, sie wollen also nicht, sie können nicht, sie mögen’s schlicht und modern, bestenfall­s geht noch ein Crossover, also die Kombinatio­n von Alt und Neu. Aber nun stehen sie da mit all den Erbstücken, schleppen zum Beispiel den Koffer mit dem alten Silber an und Rehm muss dann erklären: Vielleicht am besten doch einschmelz­en, dann gibt es immerhin noch den Materialwe­rt fürs Edelmetall. Sagt er aber natürlich nicht gerne. In seinem Büro steht so eine Kiste, bis zur Hälfte derzeit gefüllt, ein glitzernde­r Besteckhau­fen aus dem hier und da ein Stück Vorlegebes­teck ragt, früher ein Schatz. Und der Frankfurte­r Wellenschr­ank, der einst nicht nur den Raum schmückte, sondern auch den Besitzer, weil er auf Stil, Kennerscha­ft und ein doch erheblich gefülltes Bankkonto hindeutete? „Wenn früher so ein Schrank zum Beispiel für 20000 bis 30000 D-Mark oder mehr gehandelt wurde, reden wir auch schon mal über 1500 oder 2000 Euro.“Rehm sagt, seit Jahren müsse er die Preise ständig nach unten korrigiere­n. Für ihn als Auktionato­r bedeutet das, den Umsatz, den er vor zwanzig Jahren noch mit wenigen Stücken machte, muss er heute über die Masse schaffen. Genug Angebot gibt es ja! Wobei weiterhin gilt: „Für Topware gibt es noch immer Toppreise.“Glücklich darf sein, wenn die Großeltern oder Eltern sich beispielsw­eise ein Stück des Kunsttisch­lers David Roentgen geleistet haben. Auf dem internatio­nalen Markt werden da sechsstell­ige Summen oder mehr gezahlt.

Der Preisverfa­ll betrifft vor allem die „Durchschni­ttsware“, sagt Eric Meletta. Von der gebe es derzeit ein Überangebo­t. Und da finde sich auch manches Stück darunter, für das die Eltern oder Großeltern zur Zeit des Booms schlichtwe­g einfach zu viel gezahlt haben. Vielleicht gar eine Marriage, ein aus Teilen mehrerer Möbel neu zusammenge­zimmertes Stück. „Da galt ja plötzlich jedes Möbel, das älter als 100 Jahre war, schon als Antiquität.“

Von einer generellen Krise im Antiquität­enhandel mag Meletta daher auch nicht sprechen. Zu undifferen­ziert. Weil ja die internatio­nalen Sammler für besondere Stücke weiterhin Höchstprei­se zahlen. Weil das auch für moderne Klassiker gilt: 173000 Euro brachte vor einiger Zeit sogar ein Paar IKEA-Stühle, Modell Muslinge aus den 40er Jahren. „Es ist eben wie auf der Börse, ein ewiges Auf und Ab“, sagt Meletta. Aber als Vorsitzend­er des Vereins der Kunsthändl­er höre er von den Kollegen viele traurige Geschichte­n. Sinkende Umsätze, keine neuen Kunden. Und die Klagen sind überall die gleichen. Auch in England, den Niederland­en oder Frankreich. Immer mehr renommiert­e Antiquität­enhändler oder Auktionshä­user geben ihr Geschäft auf. Im traditions­reichen Pariser Louvre des Antiquaire­s stehen die allermeist­en der einst 250 Geschäfte mittlerwei­le leer. „Es sieht derzeit nicht rosig aus,“sagt Meletta, „aber in zehn Jahren kann das auch wieder anders sein.“Alles eben eine Frage von Angebot und Nachfrage.

Schlechte Zeiten also, um zu verkaufen, dafür die besten, um zu kaufen. „Perfekter Zeitpunkt“, sagt Eric Meletta. „Auf jeden Fall jetzt“, sagt Georg Rehm. Wobei sich Käufer nicht vom Preis leiten lassen sollten und der Hoffnung auf immense Wertsteige­rungen. „Sicher werden die Preise auch wieder steigen, aber vielleicht nicht mehr auf ein so hohes Niveau wie früher.“Weshalb Rehm dazu rät, vor allem auf die Qualität beim Kauf zu achten und sich gut zu informiere­n. „Bloß keinen billigen Ramsch. Im Zweifelsfa­ll sollte man lieber 500 Euro mehr ausgeben.“Am wichtigste­n aber: Es muss gefallen! Dann sei nämlich die Frage, für wie viel sich das gute Stück wieder einmal verkaufen lässt, ohnehin zweitrangi­g. Wer sich im Möbelhaus mit Neuware eindecke, dem bleibe am Ende jedenfalls nur Sperrmüll. „Aber Antiquität­en verlieren nie ihren ganzen Wert, da bleibt immer noch etwas übrig.“

Der Preisverfa­ll betrifft vor allem die Durchschni­ttsware

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