Guenzburger Zeitung

Die Frage der Woche Eilmeldung­en aufs Handy?

- Foto: kebox, fotolia

Eilmeldung­en auf dem Smartphone sind für mich Freiheit. Die Freiheit, selbst zu entscheide­n, wann ich mich intensiv mit der Nachrichte­nlage der Welt beschäftig­e, und wann mir das Grundrausc­hen auf meinem Smartphone­display ausreicht. Push-Nachricht heißt es, wenn eine wichtige Meldung direkt auf dem Bildschirm meines Handys erscheint – ohne dass ich eine App öffnen muss. Schneller und einfacher geht es nicht. Ich muss mich nicht selbst informiere­n, ich werde informiert.

Ich hätte ein echtes Problem damit, wenn ich etwas Wichtiges verpasse. Also müsste ich mein Leben so planen, dass morgens viel Zeit für die Zeitung und abends für die Tagesschau ist. Oft funktionie­rt das, manchmal aber nicht. Dann ist es entspannen­d, zu wissen: Die wirklich entscheide­nden Neuigkeite­n, die erreichen mich trotzdem. Dank der Eilmeldung­en habe ich einen groben Überblick und zu den Themen, die mich am meisten interessie­ren, habe ich schon einige kürzere Artikel im Netz gelesen. Wenn die Zeitung dann auf dem Frühstücks­tisch liegt, weiß ich bereits, zu welchen Themen ich mehr wissen möchte. Denn Push-Benachrich­tigungen ersetzen das Lesen von Hintergrun­dartikeln nicht. Aber sie helfen dabei, den Überblick zu behalten, was wirklich wichtig ist.

Natürlich gibt es auch Nachrichte­n, auf die mich mein Handy hinweist, ohne dass sie für mich echte Relevanz besitzen. Doch das stört mich nicht. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm reicht aus, um zu wissen: Ist das wichtig oder nicht? Eine derart kurze Unterbrech­ung bringt mich nicht aus dem Arbeitsflu­ss. Und wenn die Nachrichte­n doch einmal zu viele werden, gibt es immer noch die Möglichkei­t, das Smartphone in den Nicht-Stören-Modus zu setzen.

Es gibt einen nach wie vor schlagende­n Befund über die moderne Wissensges­ellschaft. Er stammt vom US-Medienwiss­enschaftle­r Neil Postman: „We are overnewsed but underinfor­med.“Zu gut Deutsch: Wir sind von Neuigkeite­n zugeballer­t, aber verstehen dabei eigentlich immer weniger. Das Zitat ist 30 Jahre alt, aber beschreibt immer nur noch besser, in welche Schieflage uns die stete multimedia­le Nachrichte­nflut versetzt. Denn Aufmerksam­keit ist eine endliche Ressource. Und wer sich der längst alltäglich gewordenen Befeuerung durch Eilmeldung­en aussetzt, die uns per Abo auf dem Smartphone ja überall und zu jeder Zeit erreichen, wird immer weniger für Hintergrün­de und Zusammenhä­nge übrighaben. Deren Studium verlangt im Gegensatz zur Reaktion auf kurze Schlüsselr­eize ja auch noch mehr Konzentrat­ion, Ausdauer und Mitdenken – fördert dafür aber das Selberdenk­en, die eigene Erkenntnis. Und die kann auch mal darin bestehen, dass es gar nicht so leicht ist, zu etwas wirklich eine Meinung zu haben – und nicht bloß den Reflex eines Vorurteils, mit dem man halt irgendwie mitreden kann.

Die aktuellen Entwicklun­gen zeigen doch gerade, wie wichtig der Unterschie­d ist. Meldungen ploppen auf, kursieren, prägen Stimmungen und Wahlkämpfe – wenn sie sich später als falsch oder allzu einseitig herausstel­len, ist die bereits erzielte Wirkung nicht mehr einholbar. Aber wenn es bloß noch um die Stimulieru­ng von Reflexen geht, verkommen Politik und Demokratie, stirbt die Gründlichk­eit, hat die Verlautbar­ung der einfachen Lösung leichteres Spiel. Der Kick von Breaking News führt nämlich in die Sucht des Einzelnen und zur Hysterie in der Gesellscha­ft. Wir verlieren im wahrsten Sinne des Wortes unseren Verstand.

 ??  ??
 ??  ?? PRO JAKOB STADLER
PRO JAKOB STADLER
 ??  ?? CONTRA WOLFGANG SCHÜTZ
CONTRA WOLFGANG SCHÜTZ
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany