Nicht noch mal so wie dieses Jahr
Berlinale Die Vergabe der Filmpreise ging zwar in Ordnung. Trotzdem sollte das Festival künftig eines beachten
Berlin „Einfach wie ein Glas Wasser“– so sollte der Film werden, erklärte in ihrer Dankesrede die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi, die am Samstagabend im BerlinalePalast am Potsdamer Platz für „On Body and Soul“mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Besser könnte kein Filmkritiker die Qualität dieses Werkes beschreiben, dessen unaufdringliche Kraft in seiner großen Klarheit liegt. Ein Risiko sei diese Herangehensweise gewesen – und das große Verdienst der Berlinale-Jury unter Vorsitz von Paul Verhoeven ist, dass sie den Mut, der hinter dieser Schlichtheit steht, erkannt hat.
Damit hat auf dem A-Festival mit dem politischsten Selbstverständnis ein Film gewonnen, in dem Politik vordergründig ganz und gar keine Rolle spielt. Und das ist gut so. Denn im Kino geht es nicht vorrangig um Botschaften, die es zu vermitteln gilt, sondern darum, von Menschen und von dem, was in ihnen vorgeht, zu erzählen. Eben dies ist in „On Body and Soul“kein leichtes Unterfangen. Vor der Kulisse eines Schlachthofes entwirft „On Body and Soul“die zarte Liebesgeschichte, in der die Qualitätskontrolleurin Mária und der Betriebsleiter Endre zwar Nacht für Nacht dasselbe träumen, sich aber im Licht des Tages nur in Millimeterschritten aufeinander zubewegen. Es ist die Spannung der sich entwickelnden Zuneigung, die Enyedi mit visueller Klarheit aufbaut, um das abgegriffene Wort „Seelenverwandtschaft“in einem Klima sozialer Kälte mit neuem Leben zu füllen.
Eine bessere Wahl hätte die Jury für den „Goldenen Bären“nicht treffen können, auch weil es abgesehen von Aki Kaurismäkis „Auf der anderen Seite der Hoffnung“, der mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet wurde, in diesem enttäuschenden Wettbewerbsjahrgang kaum Filme gab, die sowohl inhaltlich als auch künstlerisch überzeugen konnten. Den Großen Preis der Jury im silbernen Bärenformat erhielt Alain Gomis für „Félicité“, der vom Kampf einer eigensinnigen Barsängerin erzählt, die das Geld für die Operation ihres schwer verletzten Sohnes zusammenzubekommen versucht. Was als sozialrealistisches Drama beginnt, vermischt sich durch Traumsequenzen und Dokumentaraufnahmen zu einem fast schon somnambulen Gesellschaftsporträt. Ein guter zweiter Preis, weil der Film mit Herzblut, sozialem Bewusstsein und visueller Experimentierfreude gedreht ist.
Verdient hat auch Agnieszka Holland den Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet. Denn mit 68 Jahren, wo andere Filmemacher brav in ihrer Komfortzone bleiben, lehnt sich die Regisseurin mit ihrem feministisch angehauchten Veganer-Thriller aus den polnischen Hinterwäldern noch einmal weit aus dem Fenster.
Einzig bei der Auszeichnung der besten Schauspielerin stand die Jury wirklich vor der Qual der Wahl. Durchaus überraschend, aber keineswegs unverdient wurde die Koreanerin Kim Minhee für ihre facettenreiche Darstellung einer jungen Schauspielerin auf Lebenszielsuche in Hong Sang-soos „On the Beach at Night Alone“ausgezeichnet. Bei den Männern war die Konkurrenz weniger beeindruckend und der Silberne Bär für die durchaus anständige Performance von Georg Friedrich, die Thomas Arslans „Helle Nächte“aber auch nicht retten konnte, darf durchaus auch ein klein bisschen als Trostpreis für das Gastgeberland gesehen werden.
Der diesjährige Wettbewerb hat vor allem eines gezeigt: Die Berlinale muss sich mehr anstrengen. Dass Hollywood in diesem Jahr außen vor blieb, anstatt irgendwelche B-Ware zur Erhöhung des Starquotienten in den Wettbewerb zu hieven, ist durchaus zu begrüßen. Aber wenn der Glamour heruntergedrosselt wird, muss ein Berlinale-Wettbewerb durch die Qualität seiner Filme glänzen. Das war 2017 mitnichten der Fall.
Wenn die Berlinale im Kampf um die Werke großer Meister gegenüber dem Konkurrenten Cannes regelmäßig den Kürzeren zieht, muss dieses Manko durch neue cineastische Entdeckungen ausgeglichen werden. Auch die blieben in diesem Jahr aus. Die Berlinale hat zurecht das Image eines offenen Festivals, in dem auch weniger bekannte Filmemacher ihre Chance bekommen. Gerade vor diesem Hintergrund kann es einfach nicht sein, dass man aus dem riesengroßen Pool des Weltkinos ein solch mittelmäßiges Programm heraussiebt.