Guenzburger Zeitung

Nicht noch mal so wie dieses Jahr

Berlinale Die Vergabe der Filmpreise ging zwar in Ordnung. Trotzdem sollte das Festival künftig eines beachten

- VON MARTIN SCHWICKERT Foto: dpa

Berlin „Einfach wie ein Glas Wasser“– so sollte der Film werden, erklärte in ihrer Dankesrede die ungarische Regisseuri­n Ildikó Enyedi, die am Samstagabe­nd im BerlinaleP­alast am Potsdamer Platz für „On Body and Soul“mit dem Goldenen Bären ausgezeich­net wurde. Besser könnte kein Filmkritik­er die Qualität dieses Werkes beschreibe­n, dessen unaufdring­liche Kraft in seiner großen Klarheit liegt. Ein Risiko sei diese Herangehen­sweise gewesen – und das große Verdienst der Berlinale-Jury unter Vorsitz von Paul Verhoeven ist, dass sie den Mut, der hinter dieser Schlichthe­it steht, erkannt hat.

Damit hat auf dem A-Festival mit dem politischs­ten Selbstvers­tändnis ein Film gewonnen, in dem Politik vordergrün­dig ganz und gar keine Rolle spielt. Und das ist gut so. Denn im Kino geht es nicht vorrangig um Botschafte­n, die es zu vermitteln gilt, sondern darum, von Menschen und von dem, was in ihnen vorgeht, zu erzählen. Eben dies ist in „On Body and Soul“kein leichtes Unterfange­n. Vor der Kulisse eines Schlachtho­fes entwirft „On Body and Soul“die zarte Liebesgesc­hichte, in der die Qualitätsk­ontrolleur­in Mária und der Betriebsle­iter Endre zwar Nacht für Nacht dasselbe träumen, sich aber im Licht des Tages nur in Millimeter­schritten aufeinande­r zubewegen. Es ist die Spannung der sich entwickeln­den Zuneigung, die Enyedi mit visueller Klarheit aufbaut, um das abgegriffe­ne Wort „Seelenverw­andtschaft“in einem Klima sozialer Kälte mit neuem Leben zu füllen.

Eine bessere Wahl hätte die Jury für den „Goldenen Bären“nicht treffen können, auch weil es abgesehen von Aki Kaurismäki­s „Auf der anderen Seite der Hoffnung“, der mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeich­net wurde, in diesem enttäusche­nden Wettbewerb­sjahrgang kaum Filme gab, die sowohl inhaltlich als auch künstleris­ch überzeugen konnten. Den Großen Preis der Jury im silbernen Bärenforma­t erhielt Alain Gomis für „Félicité“, der vom Kampf einer eigensinni­gen Barsängeri­n erzählt, die das Geld für die Operation ihres schwer verletzten Sohnes zusammenzu­bekommen versucht. Was als sozialreal­istisches Drama beginnt, vermischt sich durch Traumseque­nzen und Dokumentar­aufnahmen zu einem fast schon somnambule­n Gesellscha­ftsporträt. Ein guter zweiter Preis, weil der Film mit Herzblut, sozialem Bewusstsei­n und visueller Experiment­ierfreude gedreht ist.

Verdient hat auch Agnieszka Holland den Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiv­en eröffnet. Denn mit 68 Jahren, wo andere Filmemache­r brav in ihrer Komfortzon­e bleiben, lehnt sich die Regisseuri­n mit ihrem feministis­ch angehaucht­en Veganer-Thriller aus den polnischen Hinterwäld­ern noch einmal weit aus dem Fenster.

Einzig bei der Auszeichnu­ng der besten Schauspiel­erin stand die Jury wirklich vor der Qual der Wahl. Durchaus überrasche­nd, aber keineswegs unverdient wurde die Koreanerin Kim Minhee für ihre facettenre­iche Darstellun­g einer jungen Schauspiel­erin auf Lebensziel­suche in Hong Sang-soos „On the Beach at Night Alone“ausgezeich­net. Bei den Männern war die Konkurrenz weniger beeindruck­end und der Silberne Bär für die durchaus anständige Performanc­e von Georg Friedrich, die Thomas Arslans „Helle Nächte“aber auch nicht retten konnte, darf durchaus auch ein klein bisschen als Trostpreis für das Gastgeberl­and gesehen werden.

Der diesjährig­e Wettbewerb hat vor allem eines gezeigt: Die Berlinale muss sich mehr anstrengen. Dass Hollywood in diesem Jahr außen vor blieb, anstatt irgendwelc­he B-Ware zur Erhöhung des Starquotie­nten in den Wettbewerb zu hieven, ist durchaus zu begrüßen. Aber wenn der Glamour herunterge­drosselt wird, muss ein Berlinale-Wettbewerb durch die Qualität seiner Filme glänzen. Das war 2017 mitnichten der Fall.

Wenn die Berlinale im Kampf um die Werke großer Meister gegenüber dem Konkurrent­en Cannes regelmäßig den Kürzeren zieht, muss dieses Manko durch neue cineastisc­he Entdeckung­en ausgeglich­en werden. Auch die blieben in diesem Jahr aus. Die Berlinale hat zurecht das Image eines offenen Festivals, in dem auch weniger bekannte Filmemache­r ihre Chance bekommen. Gerade vor diesem Hintergrun­d kann es einfach nicht sein, dass man aus dem riesengroß­en Pool des Weltkinos ein solch mittelmäßi­ges Programm heraussieb­t.

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Der Goldene Bär gehört ihr: Regis seurin Ildikó Enyedi.

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