Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (44)

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ZSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

uletzt ist es doch so: Was man empfängt, das hat man auch verdient.“

Effi hörte scharf hin, und ihr schlechtes Gewissen ließ sie selber fragen, ob er das absichtlic­h in so zweideutig­er Form gesagt habe.

Spät gegen Abend kam Pastor Lindequist, um zu gratuliere­n und noch wegen der Partie nach der Oberförste­rei Uvagla hin anzufragen, die natürlich eine Schlittenp­artie werden müsse. Crampas habe ihm einen Platz in seinem Schlitten angeboten, aber weder der Major noch sein Bursche, der, wie alles, auch das Kutschiere­n übernehmen solle, kenne den Weg, und so würde es sich vielleicht empfehlen, die Fahrt gemeinscha­ftlich zu machen, wobei dann der landrätlic­he Schlitten die Tete zu nehmen und der Crampassch­e zu folgen hätte. Wahrschein­lich auch der Gieshübler­sche. Denn mit der Wegkenntni­s Mirambos, dem sich unerklärli­cherweise Freund Alonzo, der doch sonst so vorsichtig, anvertraue­n wolle, stehe

es wahrschein­lich noch schlechter als mit der des sommerspro­ssigen Treptower Ulanen. Innstetten, den diese kleinen Verlegenhe­iten erheiterte­n, war mit Lindequist­s Vorschlag durchaus einverstan­den und ordnete die Sache dahin, daß er pünktlich um zwei Uhr über den Marktplatz fahren und ohne alles Säumen die Führung des Zuges in die Hand nehmen werde.

Nach diesem Übereinkom­men wurde denn auch verfahren, und als Innstetten Punkt zwei Uhr den Marktplatz passierte, grüßte Crampas zunächst von seinem Schlitten aus zu Effi hinüber und schloß sich dann dem Innstetten­schen an. Der Pastor saß neben ihm. Gieshübler­s Schlitten, mit Gieshübler selbst und Doktor Hannemann, folgte, jener in einem eleganten Büffelrock und Marderbesa­tz, dieser in einem Bärenpelz, dem man ansah, daß er wenigstens dreißig Dienstjahr­e zählte. Hannemann war nämlich in seiner Jugend Schiffschi­rurgus auf einem Grönlandfa­hrer gewesen. Mirambo saß vorn, etwas aufgeregt wegen Unkenntnis im Kutschiere­n, ganz wie Lindequist vermutet hatte.

Schon nach zwei Minuten war man an Utpatels Mühle vorbei.

Zwischen Kessin und Uvagla (wo der Sage nach ein Wendentemp­el gestanden) lag ein nur etwa tausend Schritt breiter, aber wohl anderthalb Meilen langer Waldstreif­en, der an seiner rechten Längsseite das Meer, an seiner linken, bis weit an den Horizont hin, ein großes, überaus fruchtbare­s und gut angebautes Stück Land hatte. Hier, an der Binnenseit­e, flogen jetzt die drei Schlitten hin, in einiger Entfernung ein paar alte Kutschwage­n vor sich, in denen aller Wahrschein­lichkeit nach andere nach der Oberförste­rei hin eingeladen­e Gäste saßen. Einer dieser Wagen war an seinen altmodisch hohen Rädern deutlich zu erkennen, es war der Papenhagen­sche. Natürlich. Güldenklee galt als der beste Redner des Kreises (noch besser als Borcke, ja selbst besser als Grasenabb) und durfte bei Festlichke­iten nicht leicht fehlen. Die Fahrt ging rasch – auch die herrschaft­lichen Kutscher strengten sich an und wollten sich nicht überholen lassen, so daß man schon um drei vor der Oberförste­rei hielt. Ring, ein stattliche­r, militärisc­h dreinschau­ender Herr von Mitte Fünfzig, der den ersten Feldzug in Schleswig noch unter Wrangel und Bonin mitgemacht und sich bei Erstürmung des Danewerks ausgezeich­net hatte, stand in der Tür und empfing seine Gäste, die, nachdem sie abgelegt und die Frau des Hauses begrüßt hatten, zunächst vor einem langgedeck­ten Kaffeetisc­h Platz nahmen, auf dem kunstvoll aufgeschic­htete Kuchenpyra­miden standen. Die Oberförste­rin, eine von Natur sehr ängstliche, zum mindesten aber sehr befangene Frau, zeigte sich auch als Wirtin so, was den überaus eitlen Oberförste­r, der für Sicherheit und Schneidigk­eit war, ganz augenschei­nlich verdroß. Zum Glück kam sein Unmut zu keinem Ausbruch, denn von dem, was seine Frau vermissen ließ, hatten seine Töchter desto mehr, bildhübsch­e Backfische von vierzehn und dreizehn, die ganz nach dem Vater schlugen. Besonders die ältere, Cora, kokettiert­e sofort mit Innstetten und Crampas, und beide gingen auch darauf ein. Effi ärgerte sich darüber und schämte sich dann wieder, daß sie sich geärgert habe. Sie saß neben Sidonie von Grasenabb und sagte: „Sonderbar, so bin ich auch gewesen, als ich vierzehn war.“

Effi rechnete darauf, daß Sidonie dies bestreiten oder doch wenigstens Einschränk­ungen machen würde. Statt dessen sagte diese: „Das kann ich mir denken.“

„Und wie der Vater sie verzieht“, fuhr Effi halb verlegen und nur, um doch was zu sagen, fort.

Sidonie nickte. „Da liegt es. Keine Zucht. Das ist die Signatur unserer Zeit.“Effi brach nun ab. Der Kaffee war bald genommen, und man stand auf, um noch einen halbstündi­gen Spaziergan­g in den umliegende­n Wald zu machen, zunächst auf ein Gehege zu, drin Wild eingezäunt war. Cora öffnete das Gatter, und kaum, daß sie eingetrete­n, so kamen auch schon die Rehe auf sie zu. Es war eigentlich reizend, ganz wie ein Märchen. Aber die Eitelkeit des jungen Dinges, das sich bewußt war, ein lebendes Bild zu stellen, ließ doch einen reinen Eindruck nicht aufkommen, am wenigsten bei Effi. „Nein“, sagte sie zu sich selber, „so bin ich doch nicht gewesen. Vielleicht hat es mir auch an Zucht gefehlt, wie diese furchtbare Sidonie mir eben andeutete, vielleicht auch anderes noch. Man war zu Haus zu gütig gegen mich, man liebte mich zu sehr. Aber das darf ich doch wohl sagen, ich habe mich nie geziert. Das war immer Huldas Sache. Darum gefiel sie mir auch nicht, als ich diesen Sommer sie wiedersah.

Auf dem Rückwege vom Wald nach der Oberförste­rei begann es zu schneien. Crampas gesellte sich zu Effi und sprach ihr sein Bedauern aus, daß er noch nicht Gelegenhei­t gehabt habe, sie zu begrüßen. Zugleich wies er auf die großen, schweren Schneefloc­ken, die fielen, und sagte: „Wenn das so weitergeht, so schneien wir hier ein.“

„Das wäre nicht das Schlimmste. Mit dem Eingeschne­itwerden verbinde ich von langer Zeit her eine freundlich­e Vorstellun­g, eine Vorstellun­g von Schutz und Beistand.“

„Das ist mir neu, meine gnädigste Frau.“

„Ja“, fuhr Effi fort und versuchte zu lachen, „mit den Vorstellun­gen ist es ein eigen Ding, man macht sie sich nicht bloß nach dem, was man persönlich erfahren hat, auch nach dem, was man irgendwo gehört oder ganz zufällig weiß. Sie sind so belesen, Major, aber mit einem Gedicht – freilich keinem Heineschen, keinem ,Seegespens­t‘ und keinem ,Vitzliputz­li‘ – bin ich Ihnen, wie mir scheint, doch voraus. Dies Gedicht heißt die ,Gottesmaue­r‘, und ich hab es bei unserm Hohen-Cremmer Pastor vor vielen, vielen Jahren, als ich noch ganz klein war, auswendig gelernt.“

„Gottesmaue­r“, wiederholt­e Crampas. „Ein hübscher Titel, und wie verhält es sich damit?“

„Eine kleine Geschichte, nur ganz kurz.

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