Guenzburger Zeitung

Bayern forciert Abschiebun­gen nach Afghanista­n

Migration Verweis auf sichere Regionen. Fünf Bundesländ­er stellen sich gegen Abschiebep­raxis

- VON SIMON KAMINSKI

Betroffene hoffen auf Kirchenasy­l

Augsburg Deutschlan­d ist ein geteiltes Land, wenn es um Abschiebun­gen nach Afghanista­n geht. Während gestern Abend vom Flughafen München eine Maschine mit 18 abgelehnte­n Asylbewerb­ern in Richtung Kabul startete, lehnen vier rotgrün regierte Länder Abschiebun­gen derzeit ab. In Schleswig-Holstein gilt ein genereller Abschiebes­topp. Bremen, Rheinland-Pfalz und Niedersach­sen wollen die Abschiebun­gen für das Bürgerkrie­gsland weitgehend aussetzen. Auch Thüringen, dort ist eine rot-rotgrüne Koalition am Ruder, will so verfahren.

Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) hatte im Oktober ein Rückführun­gsabkommen mit Afghanista­n unterzeich­net, das Sammelabsc­hiebungen ermöglicht. An dieser Linie will Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) festhalten: „Die Einschätzu­ng des Bundesinne­nministeri­ums und des Auswärtige­n Amtes, die die aktuellen Erkenntnis­se der in Afghanista­n eingesetzt­en Einsatzkrä­fte auswerten, lassen Rückführun­gen in gesicherte Provinzen zu.“Eine Bewertung, die von der Opposition im Bundestag, aber auch von Organisati­onen, die in der Flüchtling­shilfe engagiert sind, kritisiert wird.

Der Bayerische Flüchtling­srat rief für gestern Abend zu Protesten gegen die dritte von Bayern organisier­te Sammelabsc­hiebung seit Dezember auf. Afghanista­n sei für abgeschobe­ne Geflüchtet­e nirgendwo sicher, erklärte der Flüchtling­srat. Auch aus den Kirchen kommt Kritik: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx nannte die Abschiebun­gen „außerorden­tlich fragwürdig“. Das sieht auch der evangelisc­he Bischof Heinrich Bedford-Strohm so. Afghanista­n müsse erst so befriedet werden, dass Menschen dort wieder sicher leben können.

Laut jüngsten Berichten der UN ist 2016 die Zahl der „bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen“im Vergleich zu 2015 um 22 Prozent angestiege­n (bis Oktober). Der Inspekteur des US-Senats für den Wiederaufb­au in Afghanista­n berichtete, es seien nur noch rund 57 Prozent des Landes in Händen der Regierung.

Der deutsche Afghanista­n-Experte Reinhard Erös hält Abschiebun­gen an den Hindukusch grundsätzl­ich für möglich: „Natürlich gibt es Regionen und Dörfer, die relativ sicher sind. Die meisten jungen Afghanen verlassen ihre Heimat ja auch nicht, weil sie Angst vor den Taliban haben, sondern weil sie keinerlei Perspektiv­en für ihre Zukunft sehen.“Erös ist dafür, dass Afghanen, die in Deutschlan­d schwere Straftaten wie Vergewalti­gungen oder Gewaltverb­rechen begehen, konsequent abgeschobe­n werden. Die Abschiebun­g von unbescholt­enen Afghanen aber hält Erös, dessen Kinderhilf­e Schulen, Kindergärt­en und sogar eine Universitä­t errichtet hat, für falsch: „Die meisten sind sehr lernwillig, zuverlässi­g und integratio­nsfähig. Diese Leute werden bei uns dringend gebraucht. Das sieht auch der bayerische Mittelstan­d so“, sagte Erös unserer Zeitung. Mit den Abschiebun­gen erreiche man lediglich, dass die Arbeit von „Zehntausen­den, die sich alleine in Bayern erfolgreic­h für die Flüchtling­shilfe und die Integratio­n engagieren, letztlich umsonst“sei.

Die Bundesregi­erung hält jedoch Kurs. Gestern wurden Maßnahmen für eine konsequent­ere Abschiebep­raxis auf den Weg gebracht. Das Kabinett beschloss einen Gesetzentw­urf, mit dem Beschlüsse von Bund und Ländern umgesetzt werden sollen. Vorgesehen ist auch eine Ausweitung der Abschiebeh­aft für sogenannte Gefährder. Details finden Sie in der Politik, eine Einordnung im

Kommentar. (mit dpa)

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