Aller Anfang war schwer
Jubiläum Ein Urgestein blickt auf die ersten Jahre der Uni Ulm zurück
Ulm Improvisieren gehörte vor einem halben Jahrhundert, als die Uni Ulm gegründet wurde, dazu: Die Medizinstudenten mikroskopierten in den Anfangsjahren im Obergeschoss der Parkstraße und Biologen forschten in einer Etagenwohnung der Olgastraße. „Das brachte uns eine Anzeige ein. Wegen der vielen Tiere“, erinnert sich Professor Detlef Bückmann. Und der muss es wissen: Der Zoologe war 1969 auf den ersten Lehrstuhl für Biologie berufen worden.
Als einer der letzten Zeitzeugen der Gründerjahre wurde Bückmann jüngst von Unipräsident Michael Weber vorgestellt, als er vor einem illustren Publikum früherer und aktueller Akteure der Ulmer Uni seine Erinnerungen vortrug. Bückmann studierte in Mainz Zoologie, Botanik und Chemie, gilt als führender Experte für wirbellose Tiere. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1996 forschte er unter anderem über das Hormonsystem von Insekten. Noch heute hat der Biologe ein kleines Büro auf dem Campus.
Bückmann ist ein Uni-Urgestein: Sein Einsatz für die Grundordnung, in der das Ulmer Reformkonzept umgesetzt werden sollte, war es wohl auch, der ihm 1979 das Rektoramt einbrachte. Nun galoppierte der quickfidele Fast-Neunziger im Parforceritt durch 50 Jahre Unigeschichte und erinnerte an Gegebenheiten, die nicht in jeder Festschrift stehen. Einer der Hauptgründe für die Neugründung einer Universität ausgerechnet in Ulm lag seiner Einschätzungen nach in den riesigen brachliegenden Flächen auf dem Eselsberg. Mal davon abgesehen, dass die Uni Ulm „aus der Bürgerschaft“erstritten wurde, wie es Bückmann ausdrückte.
Eine Vorreiterrolle im Kampf für die Uni hatte der „Arbeitskreis Universität Ulm“inne, eine Art Ulmer Bürgerinitiative, der sich bereits Ende der 50er-Jahre etabliert hatte. Nach jahrelangem Ringen gelang es der Initiative mithilfe breiter öffentlicher Unterstützung, der Landesregierung eine zweite Neugründung nach der Uni Konstanz abzutrotzen.
Ein Triumph für die Münsterstadt: „Nie und nimmer wird Ulm Universitätsstadt“, behauptete Kurt Georg Kiesinger, seinerzeit Ministerpräsident Baden-Württembergs, 1961 im Stuttgarter Landtagsgebäude. Über die Schilder „Universitätsstadt Ulm“, die hastig nach der Gründungsfeier montiert wurden, sei vor allem in Tübingen, der Stadt mit einer langen Universitätstradition, gelacht worden. Der damalige Präsident der Uni Tübingen habe sich darin gefallen, Ulm als Provinz zu bezeichnen.
Die Gründung der Ulmer Uni fiel mitten in die Studentenproteste der 68er-Bewegung. In einer Zeit, in der „unter Talaren der Muff von 1000 Jahren“vermutet wurde, sei „sakrales Getue“unpopulär gewesen. Und so gebe es auch kaum Fotos von Festakten aus dieser Zeit.
Und Dekan, also Vorsteher einer Fakultät, habe zu dieser Zeit auch keiner werden wollen. „So wurde der entschuldigt Abwesende gewählt.“Der konnte dem ungeliebten Amt dann nur durch ein ärztliches Attest entgehen. In Ulm sollte alles besser gemacht werden als in der Vergangenheit: Das fing mit einem Verzicht auf große, hierarchisch und diktatorisch geleitete Institute, die Befehle erteilten, zugunsten eines Abteilungssystems an. Und hörte mit einem ungewöhnlichen Bau auf. Bückmann lobte die gut gemeinte Idee der Gebäudekreuze zwar, doch der Orientierung dienlich sei das System nicht. „Niemand kann das behalten.“
Jeder, der schon mal an der Uni Ulm war, weiß, was Bückmann meint: Gebäude sind hier mit Kürzeln wie M23 beschrieben, denen eine Logik zugrunde liegt, die kaum jemand im Alltag verstehe.
Beliebt war die Uni seit der Gründerzeit. „Ein Studienplatz für Medizin galt als das höchste erreichbare Gut“, wie es Bückmann ausdrückt. Die Folge: Das Ausleseverfahren passte nicht jedem, sodass etliche Klagen auf Kapazitätserweiterung die Hochschulleitung in Atem hielten. Die Erweiterung um Studienfächer folgte so einer recht einfachen Frage: Was kann man für möglichst wenig Geld möglichst vielen Studenten anbieten? Gegen das angedachte Fach „Kriminalwissenschaft“setzte sich so einst die Wirtschaftsmathematik durch.
Nicht durchgesetzt hat sich hingegen der Promenadenmischling „Willi Wacker“, den Studenten 1979 aus Protest gegen ein umstrittenes Landeshochschulgesetz in den Senat wählen lassen wollten, wie Bückmann noch weiß. Mehrere Hundert Stimmen konnte der Vierbeiner als Kandidat der linken Studentengruppe auf sich vereinen, die allerdings sämtlich als ungültig gewertet wurden.