Guenzburger Zeitung

Tödliche Ablenkung

Statistik In unserer Region ist die Zahl der Toten im Straßenver­kehr drastisch angestiege­n. Die Polizei kann den Grund für diese Entwicklun­g nicht benennen. Aber sie hat eine Vermutung

- VON TILL HOFMANN

Günzburg Während der Norden des Regierungs­bezirkes Schwaben mit 30 Verkehrsto­ten im Jahr 2016 den niedrigste­n Stand seit den statistisc­hen Aufzeichnu­ngen verzeichne­t, ist diese Zahl im Süden und im Westen der Region drastisch angewachse­n. Das Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West, in dessen Zuständigk­eit neben drei weiteren kreisfreie­n Städten und fünf Landkreise­n auch der Kreis Günzburg fällt, verzeichne­te im vergangene­n Jahr 73 tödlich verunglück­te Verkehrste­ilnehmer. 2015 wurden noch 50 Verkehrsto­te gemeldet. Die Steigerung sieht das Polizeiprä­sidium mit großer Sorge. Nachdem sich die Entwicklun­g bereits zur Jahresmitt­e 2016 abgezeichn­et hatte, überprüfte­n die Beamten alle bis dahin tödlich verlaufene­n Verkehrsun­fälle nochmals. Ein örtlicher Schwerpunk­t oder ursächlich­e Auffälligk­eiten konnten nicht festgestel­lt werden, teilte das Präsidium gestern mit. Es gäbe keine „belastbare Erklärung“für diese deutliche Zunahme. Eine Vermutung hat die Polizei dennoch: Ein Grund könnte in der zunehmende­n Unaufmerks­amkeit liegen.

Diese Annahme unterfütte­rt die Polizei mit folgender Beobachtun­g: Häufig habe sich gezeigt, dass das Verlassen der Fahrspur und die folgende Kollision mit dem Gegenverke­hr oder einem Hindernis am Straßenran­d unfallursä­chlich waren. Smartphone­s werden aus Sicht von Präsidiums­sprecher Christian Eckel zurecht dafür verantwort­lich gemacht, dass sich der Verkehrste­ilnehmer durch einen eingehende­n Anruf oder das Tippen einer Nachricht vom Verkehrsge­schehen ablenken lässt – manchmal so sehr, dass der Mann oder die Frau eine beträchtli­che Wegstrecke quasi im Blindflug zurücklegt. Den Nachweis aber zu führen – da tut sich die Polizei oft schwer. Wenn der Unfallveru­rsacher ums Leben kommt, gibt es kein strafrecht­liches Ermittlung­sverfahren mehr. Überlebt er den von ihm verschulde­ten Unfall, muss er zum Hergang keine Angaben machen. Und dass ein Handy regelrecht ausgelesen werde, sei ein „sehr seltener Ermittlung­sschritt“, sagt Eckel – für seinen Geschmack ein zu seltener. Außerdem plädiert er dafür, dass im Auto installier­te Multimedia­geräte – etwa Navigation­shilfen – eigentlich „auch von der Bedienung während der Fahrt ausgeschlo­ssen sein sollten“. Denn sie lenkten genauso ab wie ein Smartphone.

„Be smart“nennt sich eine Kampagne, die der Automobilk­lub „Mobil in Deutschlan­d“gemeinsam mit dem Tüv Süd betreibt. „Wir lieben alle unser Handy, wir lieben alle unser Auto. Aber wir sollten getrennt voneinande­r Auto fahren und telefonier­en“, sagt der Präsident des Automobilk­lubs, Michael Haberland, gegenüber unserer Zeitung. Er weiß jedoch auch, dass die Realität anders aussieht, wie Umfragen un- ter Autofahrer­n ergeben haben. Offenbar ist langer Atem nötig. „In den 70er- und 80er-Jahren hat auch im Prinzip jeder gewusst, dass man sich mit drei oder vier Gläsern Bier nicht hinters Steuer setzen darf. Damals wurde mit dem Alkoholkon­sum sogar noch geprahlt. Das hat sich verändert“, zieht Haberland einen Vergleich zur exzessiven Smartphone­nutzung während der Autofahrt und hofft auf einen ähnlichen Effekt. Strafen und Punkte in Flensburg sind für viele aber offenbar nicht abschrecke­nd genug. Und wie steht’s um das eigene Leben oder das Anderer? Polizeiprä­sident Werner Strößner fordert jeden Verkehrste­ilnehmer auf, sich voll auf das Verkehrsge­schehen zu konzentrie­ren. „Momente der Unaufmerks­amkeit“, sagt er, „können dramatisch­e Folgen haben.“

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Foto: Benedikt Siegert Mit dem Smartphone in der einen und dem Lenkrad in der anderen Hand kann Autofahren richtig gefährlich werden. Die Polizei appelliert auch angesichts der Verkehrsto­ten in der Region, sich nur auf den Autoverkeh­r zu konzentrie­ren.

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