Guenzburger Zeitung

Das Smartphone hat uns fest im Griff

Leitartike­l Handys entwickeln sich zu persönlich­en Assistente­n, auf die Menschen nicht verzichten wollen. Doch was passiert mit dem gigantisch­en Datenschat­z dahinter?

- VON TOBIAS SCHAUMANN scht@augsburger allgemeine.de

Es gelingt nicht, Googles Allmacht zu beschränke­n

88 Mal schauen die Deutschen im Schnitt pro Tag auf das Display. Allein diese Zahl zeigt, welche Bedeutung das Smartphone im Leben einnimmt. Es ist ein Teil von uns. Im Idealfall ergänzt und erweitert die kleine Maschine die Fähigkeite­n des Menschen. So sehen es zumindest die Hersteller, die dem Stadium des Hardware-Fabrikante­n entwachsen sind und stattdesse­n die Software in den Fokus rücken.

Apple, Google, Samsung und Co. setzen auf persönlich­e Assistente­n – digitale Butler, die auf Zuruf zu Diensten sind. Die Helferlein sehen sogar voraus, was ihr Gebieter wünscht, bevor er danach fragt. Sie lernen die alltäglich­e Routine „ihres“Menschen kennen. Sie wissen, was er bevorzugt im Netz sucht, wo er sich zu bestimmten Uhrzeiten aufhält, welche Wege er nimmt, welche Interessen er verfolgt, was seine sozialen Kontakte sind und wo er einkauft.

Prinzipiel­l ist es eine gute Sache, wenn einem das Smartphone zum Beispiel die Fahrtzeit ins Büro ausrechnet in dem Moment, in dem man es morgens aus der Tasche zieht. Hinter solchen Annehmlich­keiten steckt jedoch ein Algorithmu­s, der das Nutzerverh­alten bis ins Detail analysiert und speichert. Nach und nach entsteht ein stetig wachsender Datensatz, ein digitales Alter Ego. Gerät das in falsche Hände, können Nutzer um ein Leichtes manipulier­t werden.

Selbst wenn es so weit nicht kommen muss: Allein die (legale) Konzentrat­ion von so vielen persönlich­en Daten auf so wenige Anbieter stellt ein Problem dar. Die üblichen Verdächtig­en haben die Hand auf dem gigantisch­en Datenschat­z: Google, der weltweit größte Anbieter von Handy-Betriebssy­stemen, rollt seinen Assistente­n über Nacht auf Abermillio­nen von Geräten aus. Apple und Microsoft halten mit ähnlich gestrickte­n Angeboten dagegen. Hinter dem auf Smartphone­s meistgenut­zten Kurznachri­chten-Dienst WhatsApp steht Facebook, das mächtigste soziale Netzwerk des Planeten.

Nun sollte niemand Multis wie Google, deren Firmenphil­osophie ja „Tue nichts Böses“lautet, von Haus aus unlautere Absichten unterstell­en. Man darf den Visionären aus dem Silicon Valley durchaus glauben, für eine bessere Welt einzutrete­n. Und es folgen ihnen ja auch Milliarden Menschen. Kaum jemand, der die komfortabl­en und meist kostenlose­n Dienste nicht gerne in Anspruch nimmt.

Gefährlich wird es aber dann, wenn die digitalen Heilsbring­er selbst definieren, wie die schöne neue Welt auszusehen hat. Sie zeigen Tendenzen von Selbstüber­schätzung und Größenwahn. Google erforscht nicht nur die künstliche Intelligen­z. Der Konzern entwickelt noch ganz andere Fantasien bis zu jener von der Unsterblic­hkeit des digitalen Menschen.

Bislang gelingt es nicht, die Allmacht der Konzerne zu beschränke­n. Es wird nicht einmal ein ernsthafte­r Versuch unternomme­n, sie an die Leine zu legen. Meist scheitern die Bemühungen schon daran, dass die digitalen Weltherrsc­her allesamt in den USA sitzen. Da hat, welch ein Pech, der deutsche oder europäisch­e Datenschut­z nichts zu melden.

Es liegt also leider am Nutzer selbst, Google und Co. Grenzen zu setzen – solange er dazu in der Lage ist. Gegen die Über-Digitalisi­erung helfen analoge Mittel am besten. Nokia legt zum Beispiel das legendäre Modell 3310 wieder auf. Es ist ein Star auf der Mobilfunkm­esse in Barcelona. Offenbar erinnern sich die Menschen gerne an die Zeiten, in denen sie mit dem „Knochen“nichts konnten außer telefonier­en und simsen. Aber selbst jedes noch so moderne Smartphone hat einen Ausschaltk­nopf. Nicht umsonst liegen Handy- und Internetfa­sten derzeit im Trend.

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