Guenzburger Zeitung

Reporter Yücel drohen mehr als sieben Jahre Haft

Medien Wie der Fall des Deutsch-Türken die Krise zwischen Berlin und Ankara verschärfe­n könnte

- VON SUSANNE GÜSTEN UND SIMON KAMINSKI

Von seiner Zelle in der Untersuchu­ngshaft im Metris-Gefängnis von Istanbul aus kann Deniz Yücel möglicherw­eise das Rauschen der nahen Autobahn hören, die aus der türkischen Metropole hinaus Richtung Westeuropa führt. Doch auf die Freiheit wird der 43-jährige Korrespond­ent der Welt nach Einschätzu­ng seiner türkischen Unterstütz­er trotz aller Proteste in Deutschlan­d wohl noch lange warten müssen. Dem erwarteten Einspruch von Yücels Anwälten gegen die Untersuchu­ngshaft werden kaum Chancen eingeräumt. So dürfte das ohnehin schon stark getrübte Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei einer neuerliche­n Belastungs­probe ausgesetzt sein.

Am Ende der vier Stunden dauernden Vernehmung sei Yücel sehr niedergesc­hlagen gewesen, sagt der Opposition­spolitiker Sezgin Tanrikulu, der dem Journalist­en den ganzen Tag beigestand­en hatte. „So schnell kommt er wohl nicht wieder raus“, sagte Tanrikulu am Dienstag unserer Zeitung. „Seine Inhaftieru­ng ist eine Botschaft an alle ausländisc­hen Journalist­en in der Türkei.“Yücel gilt der Justiz als mutmaßlich­er Terrorhelf­er.

Der so Beschuldig­te wies vor dem Richter alle Vorwürfe zurück und betonte, er liebe die Türkei „trotz all ihrer Fehler und Mängel“. Er habe keinerlei Anweisunge­n von irgendeine­r Gruppe erhalten. Sollte Yücel aufgrund der Vorwürfe verurteilt werden, drohen ihm nach dem Antiterror-Gesetz bis zu siebeneinh­alb Jahre Gefängnis. Viele der mehr als 150 inhaftiert­en Journalist­en in der Türkei sind seit über 100 Tagen ohne Prozess und sogar ohne Anklage hinter Gittern.

Selbst in Reihen der Regierungs­partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan macht sich allerdings Unbehagen breit. Der deutsch-türkische Abgeordnet­e Mustafa Yeneroglu, Vorsitzend­er des Menschenre­chtsaussch­usses im türkischen Parlament, kritisiert­e die Entscheidu­ng des Haftrichte­rs. Allerdings warf er Yücel auch vor, verzerrend negativ über die Türkei zu berichten.

Die Vize-Präsidenti­n des Bundestage­s, Claudia Roth, verknüpfte die Forderunge­n nach einer scharfen Reaktion der Bundesregi­erung mit Kritik an dem deutsch-türkischen Flüchtling­sabkommen. „Ich beklage schon lange das laute Schweigen der Bundesregi­erung und die ständigen Besuche der Kanzlerin in Ankara – gerade zu Wahlkampfz­eiten“, sagte die Augsburger Bundestags­abgeordnet­e unserer Zeitung. Man müsse schon fast von einer „staatlich organisier­ten Geiselnahm­e“sprechen. So perfide es sei, Yücel könne für Erdogan „zur Verhandlun­gsmasse gegenüber der EU“werden. Das liege daran, dass sich die Bundesregi­erung erpressbar gemacht habe. „Es kann keinen Deal mit Erdogan geben, der die Türkei in atemberaub­endem Tempo in eine Diktatur verwandelt.“Für Claudia Roth heißt das in der Konsequenz, dass die EU „endlich eine faire eigene Flüchtling­spolitik“brauche. Und nicht einen Wettlauf, wie man Flüchtling­e fernhalte. Denn das sei ein „Wettlauf der Schäbigkei­t“.

In Deutschlan­d organisier­en zahlreiche Journalist­en und Künstler den öffentlich­en Widerstand: „Deniz’e Özgürlük! Freiheit für Deniz!“, fordern sie in einer Kampagne. In einer Erklärung heißt es: „Für die Freiheit von Informatio­n, Meinung, Wort und Kunst. Gemeinsam für und mit Deniz Yücel und allen zurzeit in der Türkei inhaftiert­en Kolleginne­n und Kollegen.“Für die nächsten Tage sind Demonstrat­ionen in mehreren Städten geplant.

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Foto: Nietfeld, dpa

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