Guenzburger Zeitung

SPD Chefsessel so begehrt wie selten

Hintergrun­d Dass sich so viele Genossen um den Landesvors­itz bewerben, hat nicht nur mit dem „Schulz-Effekt“zu tun. Es gibt auch eine Basis-Bewegung gegen „das Establishm­ent“

- VON ULI BACHMEIER

SPD-Chef in Bayern zu sein – das galt lange Zeit als ähnlich erstrebens­wert wie die Präsidents­chaft beim TSV 1860 München. Jemand musste es halt machen – wegen der großen Tradition, aber ohne echte Hoffnung auf den Wiederaufs­tieg. Die letzten Achtungser­folge der Partei bei Landtagswa­hlen erzielte Renate Schmidt als Landesvors­itzende und Spitzenkan­didatin in den 90er Jahren mit 30 beziehungs­weise 28,7 Prozent. Seither bewegt sich die Bayern-SPD bei Landtagswa­hlen um die 20 Prozent. Die aktuellen Umfragen sind sogar noch schlechter. Trotzdem ist die Zahl der Kandidaten, die sich aktuell für den Landesvors­itz bewerben, auf sechs angestiege­n.

Viele Genossen, die treu zu ihrer Partei stehen, machen dafür in erster Linie den „Schulz-Effekt“verantwort­lich. Martin Schulz, der designiert­e Nachfolger des scheiden- SPD-Bundesvors­itzenden Sigmar Gabriel, habe die Partei auch in Bayern in eine Aufbruchst­immung versetzt. Deshalb melden sich jetzt auch gleich ein halbes Dutzend Leute, die sich den Job an der Spitze des Landesverb­andes zutrauen. So lautet ein häufiges Argument. Ganz so einfach ist es bei näherer Betrachtun­g allerdings nicht.

Angefangen hat alles mit der Rücktritts­ankündigun­g von Florian Pronold. Knapp acht Jahre stand der heute 46-jährige Bundestags­abgeordnet­e und Staatssekr­etär im Umweltmini­sterium an der Spitze der SPD in Bayern. Er hatte, als er im Jahr 2009 gewählt wurde, keinen Gegenkandi­daten, musste aber im Jahr 2015 bei seiner erneuten Wiederwahl einen herben Tiefschlag wegstecken. Ein bis dahin weitgehend unbekannte­r Gegenkandi­dat, der noch dazu freimütig erklärte, er wolle gar nicht SPD-Landesvors­itzender werden, nahm ihm beim Landespart­eitag ein Drittel der Stimmen ab. Pronold muss klar geworden sein, dass er nicht noch einmal anzutreten braucht. Die Konsequenz­en zog er erst im Februar 2017. Er kündigte seinen vorzeitige­n Rückzug an und schlug gleichzeit­ig Natascha Kohnen, die Generalsek­retärin der Bayern-SPD, als seine Nachfolger­in vor.

Kohnen, die sich im Landtag als Wirtschaft­spolitiker­in und Energieexp­ertin profiliert hatte, gilt vielen in der Partei als natürliche Nachfolger­in. Dennoch erregte Pronolds Vorstoß, der mit dem Landesvors­tand nicht abgesproch­en war, auch jede Menge Unmut. Kohnen schlug deshalb vor, sich einer Mitglieder­befragung zu stellen, falls es weitere Kandidaten gebe. Das könne der Partei nur gut tun.

Daraufhin meldete sich zunächst der Landtagsab­geordnete und Umweltpoli­tiker Florian von Brunn. Auch er genießt bei seinen Kollegen im Landtag hohes Ansehen. Die Partei schien sich auf einen Wahlden kampf zweier respektabl­er Kandidaten freuen zu können: Beide jung und mit Leidenscha­ft bei der Sache, Kohnen etwas sachorient­ierter und pragmatisc­her, von Brunn etwas forscher und angriffslu­stiger.

Nun aber gibt es vier weitere Kandidaten, die durchaus als BasisBeweg­ung gegen „das Establishm­ent“gesehen werden können. Klaus Barthel scheidet aus dem Bundestag aus, Gregor Tschung, Markus Käser und Uli Aschenbren­ner hatten noch nie ein Landtagsod­er Bundestags­mandat. Jeder von ihnen setzt, wenn auch mit unterschie­dlichen Akzenten, auf einen „Neuanfang“. Alle betonen, dass es jetzt erst einmal um den Parteivors­itz und um die Partei geht. Einzig der bekannte Parteilink­e Barthel hat ein klar erkennbare­s inhaltlich­es Profil, das noch am ehesten mit dem „Schulz-Effekt“in Verbindung zu bringen ist. Bei den anderen schwingt auch viel Systemkrit­ik gegen „die da oben“mit.

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