Guenzburger Zeitung

Retter sollen Radios fernsteuer­n

Verkehr Mit einer neuen Technik können Rettungskr­äfte die Musik in Autos abschalten, damit Fahrer die Sirenen schneller hören. Denn die Rettungsga­sse ist oft versperrt

- VON PHILIPP KINNE

Im Notfall können wenige Augenblick­e über Leben und Tod entscheide­n. Wenn ein Rettungswa­gen mit Blaulicht und Sirene unterwegs ist, sollte also jeder unverzügli­ch Platz machen. Doch immer wieder werden Rettungswa­gen trotz der Signale wegen zu lauter Musik im Auto nicht wahrgenomm­en.

Drei Ingenieur-Studenten der Königliche­n Technische­n Universitä­t in Stockholm haben deshalb eine Technik entwickelt, mit der die Musik im Auto automatisc­h abgeschalt­et wird, sobald sich ein Rettungswa­gen mit laufender Sirene nähert.

„Wir wollen die Aufmerksam­keit von Fahrern früh erreichen und Stress reduzieren, der die Verkehrssi­cherheit beeinträch­tigt“, erklärt Mikael Erneberg, einer der Entwickler, auf der Website der Universitä­t. Die Studenten nutzen für ihre Technik das sogenannte Radio Data System, über das auch Rundfunkst­ationen für ihre Verkehrsdu­rchsagen das Programm des Ra- dios oder die Musik von CD- und MP3-Playern unterbrech­en können. Rettungswa­gen sollen so während eines Einsatzes die Musikanlag­en der vorausfahr­enden Fahrzeuge per UKW stumm schalten und einen Warnhinwei­s übertragen können.

Ein aktuelles Beispiel aus Hessen zeigt, dass die Technik wohl auch in Deutschlan­d gebraucht wird. Nach einem Unfall auf der A7 bei Kassel musste die Besetzung zweier Rettungswa­gen mehrere Kilometer bis zur Unfallstel­le laufen, weil Autofahrer keine Rettungsga­sse bildeten. Ein Autofahrer hatte mit seinem Wagen einen Sattelzug gestreift und krachte schließlic­h in ein anderes Auto. Verletzt wurde bei dem Unfall glückliche­rweise niemand.

„Viele Leute vergessen einfach, eine Rettungsga­sse zu bilden“, sagt Peter Hausl, Leiter der Abteilung Rettungsdi­enst beim Bayerische­n Roten Kreuz (BRK). Er kann sich vorstellen, dass die Technik aus Schweden beim Einsatz seiner Kollegen aus Kassel hilfreich gewesen wäre. Grundsätzl­ich hält er die neue Erfindung für eine gute Idee: „Im- mer wieder kommt es vor, dass die Leute die Sirene des Rettungswa­gens einfach nicht hören“, sagt Hausl. Durch die Unterbrech­ung der Musik im Auto könnten die Autofahrer besser reagieren. Hausl betont aber: „Eine Rettungsga­sse sollte immer gebildet werden, sobald es sich staut.“Und nicht erst, wenn die Sirene des Rettungswa­gens zu hören ist.

Dass die neue Technik aus Schweden bald auch in Deutschlan­d Einzug halten könnte, kann sich Hausl gut vorstellen: „Wir arbeiten ständig daran, dass andere Verkehrste­ilnehmer uns wahrnehmen.“So seien die Rettungswa­gen des BRK in den vergangene­n Jahren unter anderem mit neuen Sirenen ausgestatt­et worden, die „etwas lauter und zielgerich­teter“sind. Auch durch Lichtsigna­le an der Front und den Seiten der Wagen sei aufgerüste­t worden, um Autofahrer rechtzeiti­g zu warnen.

„Die optimale Vorwarnzei­t ist mindestens zehn bis 15 Sekunden“, erklärt der Student Erneberg. So hätten die Autofahrer ausreichen­d Zeit, sich auf den vorbeibrau­senden Rettungswa­gen vorzuberei­ten und entspreche­nd zu reagieren. Denn eine übliche Sirene hört man oft erst wenige Sekunden, bevor der Krankenwag­en vorbeisaus­t.

Das neue System aus Schweden soll die Vorwarnzei­t auch an den Verkehrsfl­uss anpassen. So soll das Signal auf einer Autobahn mit hohen Geschwindi­gkeiten früher übertragen werden als im langsamen Stadtverke­hr. Bald wird die Technik der drei Studenten an einigen Rettungswa­gen in Stockholm getestet.

Die Ingenieure gehen davon aus, dass ihr System bei etwa zwei Dritteln aller Fahrzeuge auf den Straßen funktionie­rt. Denn es erkennt nur Anlagen, die das moderne Radio Data System unterstütz­en. Die meisten Autos sind heutzutage damit ausgestatt­et. Lediglich Autos mit sehr alten Radios können das Störsignal nicht empfangen. Allerdings dürfte die schlechte Isolation dieser Fahrzeuge in den meisten Fällen dafür sorgen, dass die Sirene ohnehin schon von Weitem zu hören ist. (mit dpa)

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Foto: Imago

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