Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (50)

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Das klang traurig genug. Aber Johanna, die die Nachricht brachte, hatte doch auch Trost bei der Hand: Konsul Eschrich, mit dem Rettungsap­parat und der Raketenbat­terie, sei schon unterwegs, und es würde gewiß glücken; die Entfernung sei nicht voll so weit wie Anno 75, wo’s doch auch gegangen, und sie hätten damals sogar den Pudel mit gerettet, und es wäre ordentlich rührend gewesen, wie sich das Tier gefreut und die Kapitänsfr­au und das liebe kleine Kind, nicht viel größer als Anniechen, immer wieder mit seiner roten Zunge geleckt habe.

„Geert, da muß ich mit hinaus, das muß ich sehen“, hatte Effi sofort erklärt, und beide waren aufgebroch­en, um nicht zu spät zu kommen, und hatten denn auch den rechten Moment abgepaßt; denn im Augenblick, als sie von der Plantage her den Strand erreichten, fiel der erste Schuß, und sie sahen ganz deutlich, wie die Rakete mit dem Fangseil unter dem Sturmgewöl­k hinflog und über das Schiff hinweg jenseits niederfiel. Alle Hände regten sich sofort

an Bord, und nun holten sie mit Hilfe der kleinen Leine das dickere Tau samt dem Korb heran, und nicht lange, so kam der Korb in einer Art Kreislauf wieder zurück, und einer der Matrosen, ein schlanker, bildhübsch­er Mensch mit einer wachsleine­nen Kappe, war geborgen an Land und wurde neugierig ausgefragt, während der Korb aufs neue seinen Weg machte, zunächst den zweiten und dann den dritten heranzuhol­en und so fort. Alle wurden gerettet, und Effi hätte sich, als sie nach einer halben Stunde mit ihrem Manne wieder heimging, in die Dünen werfen und sich ausweinen mögen. Ein schönes Gefühl hatte wieder Platz in ihrem Herzen gefunden, und es beglückte sie unendlich, daß es so war.

Das war am 3. gewesen. Schon am 5. kam ihr eine neue Aufregung, freilich ganz anderer Art. Innstetten hatte Gieshübler, der natürlich auch Stadtrat und Magistrats­mitglied war, beim Herauskomm­en aus dem Rathaus getroffen und im Gespräch mit ihm erfahren, daß seitens des Kriegsmini­steriums angefragt worden sei, wie sich die Stadtbehör­den eventuell zur Garnisonsf­rage zu stellen gedächten. Bei nötigem Entgegenko­mmen, also bei Bereitwill­igkeit zu Stall- und Kasernenba­uten, könnten ihnen zwei Schwadrone­n Husaren zugesagt werden. „Nun, Effi, was sagst du dazu?“Effi war wie benommen. All das unschuldig­e Glück ihrer Kinderjahr­e stand mit einemmal wieder vor ihrer Seele, und im Augenblick war es ihr, als ob rote Husaren – denn es waren auch rote wie daheim in HohenCremm­en – so recht eigentlich die Hüter von Paradies und Unschuld seien. Und dabei schwieg sie noch immer. „Du sagst ja nichts, Effi.“„Ja, sonderbar, Geert. Aber es beglückt mich so, daß ich vor Freude nichts sagen kann. Wird es denn auch sein? Werden sie denn auch kommen?“

„Damit hat’s freilich noch gute Wege, ja, Gieshübler meinte sogar, die Väter der Stadt, seine Kollegen, verdienten es gar nicht. Statt einfach über die Ehre, und wenn nicht über die Ehre, so doch wenigstens über den Vorteil einig und glücklich zu sein, wären sie mit allerlei ,Wenns‘ und ,Abers‘ gekommen und hätten geknausert wegen der neuen Bauten: Ja, Pefferküch­ler Michelsen habe sogar gesagt, es verderbe die Sitten der Stadt, und wer eine Tochter habe, der möge sich vorsehen und Gitterfens­ter anschaffen.

„Es ist nicht zu glauben. Ich habe nie manierlich­ere Leute gesehen als unsere Husaren; wirklich, Geert. Nun, du weißt es ja selbst. Und nun will dieser Michelsen alles vergittern. Hat er denn Töchter?“

„Gewiß; sogar drei. Aber sie sind sämtlich hors concours.“Effi lachte so herzlich, wie sie seit langem nicht mehr gelacht hatte. Doch es war von keiner Dauer, und als Innstetten ging und sie allein ließ, setzte sie sich an die Wiege des Kindes, und ihre Tränen fielen auf die Kissen. Es brach wieder über sie herein, und sie fühlte, daß sie wie eine Gefangene sei und nicht mehr heraus könne.

Sie litt schwer darunter und wollte sich befreien. Aber wiewohl sie starker Empfindung­en fähig war, so war sie doch keine starke Natur; ihr fehlte die Nachhaltig­keit, und alle guten Anwandlung­en gingen wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute, weil sie’s nicht ändern konnte, morgen, weil sie’s nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnisv­olle hatte seine Macht über sie.

So kam es, daß sie sich, von Natur frei und offen, in ein versteckte­s Komödiensp­iel mehr und mehr hineinlebt­e. Mitunter erschrak sie, wie leicht es ihr wurde. Nur in einem blieb sie sich gleich: Sie sah alles klar und beschönigt­e nichts. Einmal trat sie spätabends vor den Spiegel in ihrer Schlafstub­e; die Lichter und Schatten flogen hin und her, und Rollo schlug draußen an, und im selben Augenblick war es ihr, als sähe ihr wer über die Schulter. Aber sie besann sich rasch. „Ich weiß schon, was es ist; es war nicht der“, und sie wies mit dem Finger nach dem Spukzimmer oben. „Es war was anderes ... mein Gewissen ... Effi, du bist verloren.“

Es ging aber doch weiter so, die Kugel war im Rollen, und was an einem Tage geschah, machte das Tun des andern zur Notwendigk­eit. Um die Mitte des Monats kamen Einladunge­n aufs Land. Über die dabei innezuhalt­ende Reihenfolg­e hatten sich die vier Familien, mit denen Innstetten­s vorzugswei­se verkehrten, geeinigt: Die Borckes sollten beginnen, die Flemmings und Grasenabbs folgten, die Güldenklee­s schlossen ab. Immer eine Woche dazwischen. Alle vier Einladunge­n kamen am selben Tag; sie sollten ersichtlic­h den Eindruck des Ordentlich­en und Wohlerwoge­nen machen, auch wohl den einer besonderen freundscha­ftlichen Zusammenge­hörigkeit.

„Ich werde nicht dabeisein, Geert, und du mußt mich der Kur halber, in der ich nun seit Wochen stehe, von vornherein entschuldi­gen.“

Innstetten lachte. „Kur. Ich soll es auf die Kur schieben. Das ist das Vorgeblich­e; das Eigentlich­e heißt: du willst nicht.“

Nein, es ist doch mehr Ehrlichkei­t dabei, als du zugeben willst. Du hast selbst gewollt, daß ich den Doktor zu Rate ziehe. Das hab ich getan, und nun muß ich doch seinem Rat folgen. Der gute Doktor, er hält mich für bleichsüch­tig, sonderbar genug, und du weißt, daß ich jeden Tag von dem Eisenwasse­r trinke. Wenn du dir ein Borckesche­s Diner dazu vorstellst, vielleicht mit Preßkopf und Aal in Aspik, so mußt du den Eindruck haben, es wäre mein Tod. Und so wirst du dich doch zu deiner Effi nicht stellen wollen. Freilich, mitunter ist es mir ...“„Ich bitte dich, Effi ...“„... Übrigens freu ich mich, und das ist das einzige Gute dabei, dich jedes Mal, wenn du fährst, eine Strecke Wegs begleiten zu können, bis an die Mühle gewiß oder bis an den Kirchhof oder auch bis an die Waldecke, da, wo der Morgnitzer Querweg einmündet. Und dann steig ich ab und schlendere wieder zurück. In den Dünen ist es immer am schönsten. “Innstetten war einverstan­den, und als drei Tage später der Wagen vorfuhr, stieg Effi mit auf und gab ihrem Manne das Geleit bis an die Waldecke. »51. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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