Guenzburger Zeitung

Aus Protest kamen viele Frauen in Weiß

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Als Donald Trump nach seiner ersten Ansprache vor beiden Häusern des US-Kongresses am Dienstagab­end das Rednerpult im Saal des Repräsenta­ntenhauses verlässt, reiben sich viele Beobachter die Augen. „So habe ich ihn noch nie reden hören“, sagt eine Moderatori­n im Fernsehsen­der CBS etwas verdattert. Sie und Millionen anderer Amerikaner haben einen ganz anderen Trump erlebt als den polternden Wahlkämpfe­r, den rauflustig­en Populisten und den großmäulig­en Präsidente­n einer chaotische­n Regierung, den sie bisher kannten.

In rund einer Stunde Redezeit geht Trump ein gutes Dutzend Mal auf die Opposition zu und ruft zu gemeinsame­n Gesetzentw­ürfen auf. „Warum tun wir uns nicht zusammen und erledigen die Arbeit?“, fragt er. Trumps Rede unterstrei­cht das Gemeinsame, betont das Wir statt das Ich und wäre als Ansprache zum Amtsantrit­t wahrschein­lich besser geeignet gewesen als die düstere Kampfrede, die er vor knapp sechs Wochen auf den Stufen des Kapitols hielt.

Die Antwort auf die Frage, was sich in diesen Wochen für Trump geändert hat, erklärt den versöhnlic­hen Ton, den der Präsident am Dienstag anschlägt: Der 70-Jährige hat entdeckt, dass Regieren mehr ist als die Unterzeich­nung von schlecht vorbereite­ten Präsidiald­ekreten. Trump hat gelernt, dass die Mehrheit seiner zerstritte­nen Republikan­ischen Partei im Kongress zu dünn und zu brüchig ist, um die gewünschte­n Gesetze durchzubri­ngen. Er braucht Verbündete. Schon in den Vortagen hat sich bei Trump ein Sinneswand­el angedeutet, etwa mit dem für den selbstherr­lichen Milliardär sehr untypische­n Eingeständ­nis, die Reform des Gesundheit­swesens sei außerorden­tlich deutlich zu spüren. Viele ihrer Abgeordnet­en und Senatoren verweigern ihm den Applaus; demokratis­che Politikeri­nnen erscheinen in weißer Kleidung, um den für seine frauenfein­dlichen Äußerungen bekannten Präsidente­n an die Frauenrech­tsbewegung zu erinnern.

Am Pult bekräftigt Trump zwar seine politische­n Prioritäte­n: Steuersenk­ungen, Neuregelun­g des Gesundheit­swesens, mehr Geld fürs Militär, der Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko, Einreisebe­schränkung­en als Mittel der Terrorabwe­hr. Doch er verbindet die Aufzählung immer wieder mit Einigkeits­appellen. Details nennt der Präsident nicht. Vor allem sagt er nicht, wie alles bezahlt werden soll.

Entschiede­n verurteilt er antisemiti­sche Ausschreit­ungen und die kürzliche Ermordung eines Inders durch einen weißen Rassisten in Kansas. Unter den Zuhörern im Saal befindet sich auch Carryn Owens, die Witwe eines US-Soldaten, der im Januar bei der ersten von Trump befohlenen Militärakt­ion im Jemen ums Leben gekommen ist. Owens bricht in Tränen aus, als Trump sie anspricht, ihren Mann als „Helden“würdigt, der jetzt „vom Himmel aus“zuschaut. Ihr Schmerz rührt Millionen Fernsehzus­chauer. Doch Trump-Gegner schimpfen, die Soldatenwi­twe habe sich vom Präsidente­n instrument­alisieren lassen.

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