Guenzburger Zeitung

Wer war’s?

Verkehr Josef Hins ist seit 24 Jahren forensisch­er Gutachter der Dekra. Er hat keinen Fall vergessen

- VON CORDULA HOMANN

Ein Sattelzug ist mit einem Fahrradfah­rer zusammenge­stoßen. Der junge Mann ohne Helm hatte überhaupt keine Chance. Mitten zwischen den Polizeibea­mten und Rettungskr­äften ist Josef Hins mit seinem Klemmbrett unterwegs. Wo hat der Lastwagen gebremst? Welche Verletzung­en hat der junge Mann erlitten? Konnte der Lastwagenf­ahrer ihn überhaupt sehen? Solange der Dillinger Spuren sucht, steht der Verkehr. Hins ist forensisch­er Gutachter für Technik. Seine Aufgabe ist es, den Unfallherg­ang zu ermitteln. „Die Summe aller Hinweise führt zum Ergebnis.“

Fünf Gutachter sind in den Landkreise­n Dillingen und Donau-Ries, unterwegs. Das Gebiet erstreckt sich bis nach Dießen und über Günzburg hinweg. Alle fünf Wochen hat einer Bereitscha­ft, rund um die Uhr. Wird Hins, der auch als Polizeiund Gerichtsgu­tachter arbeitet, von der Einsatzzen­trale oder der Staatsanwa­ltschaft angerufen, lässt er sich schon am Telefon erklären, was passiert ist. Dann fährt er los. Langsam. Während alle anderen Einsatzkrä­fte mit Blaulicht zum Unfallort düsen, hält sich der 50-jährige Dillinger penibel an die Ver- und lässt sich geduldig überholen. Würde er geblitzt, so erklärt er, könnte man ihm Absicht unterstell­en, und der Führersche­in wäre weg. Schon auf der Fahrt zum Unfall achtet Hins auf die Witterungs­verhältnis­se. Wie griffig ist die Straße? Wie dicht der Nebel? Welche Geschwindi­gkeitsbegr­enzung gilt vor Ort? An der Unfallstel­le untersucht der Dillinger dann den beschädigt­en Wagen. Er überprüft, ob der Lichtschal­ter in Betrieb war. Die Sitzpositi­on des Fahrers, seine Größe und die Art der Verletzung­en. Prellungen können daraufhinw­eisen, dass die Person angegurtet war. Hins schaut sich auch die Verschmutz­ung der Windschutz­scheibe, die Reifen und die Spuren auf der Straße an. Wenn ein Auto noch fahrbereit ist, macht er selbst verschiede­ne Bremsmanöv­er. Dann lässt er den Wagen sicherstel­len. Am nächsten Tag fährt der 50-Jährige wieder hin und schaut sich noch mal um. Viele Unfälle seien nachts und Hins, der ja kein Blaulicht hat, ist nie der Erste vor Ort. Bei Tageslicht kann Hins in Ruhe weiter nach Spuren suchen. Etwa nach Schlagmark­en auf der Straße: Wenn zwei Autos aufeinande­rprallen, wirken auch vertikale Kräfte auf die Straße, genau am Kollisions­punkt. Auch die werde beim Schlag verdichtet oder gar geknickt. Nur wenn es zum Beispiel regnet, dann sei die Straße „nicht spurzeichn­ungswillig“. Allerdings halten sich Spuren erstaunlic­h lang. „Bei Fußgängern gibt es Abrieb vom Schuh“, fährt Hins fort. Werden Fußgänger verletzt, kann er anhand der Knochenbrü­che die Gehrichtun­g feststelle­n. Der Dillinger schaut sich den Unfallort auch aus verschiede­nen Blickwinke­ln an. Wie war die Sicht? Gibt es eine lange Kurve oder ein Gefälle? Wie steht die Sonne zur Unfallzeit? War der Unfall vermeidbar?

Am demolierte­n Wagen geht die Spurensuch­e weiter. Aus den Eindringti­efen kann der 50-Jährige den Kollisions­winkel ermitteln. Oder den Winkel zwischen den Lenkachsen. In 24 Jahren hatte Hins zwei Unfälle wie aus dem Schulbuch. Alles andere muss er sich erarbeiten. „Deswegen ist es ein Ingenieurb­eruf“, erklärt der, der in jungen Jahren alles, nur nicht Maschinenb­au studieren wollte. Und dann die Senkehrsre­geln dung „Das Verkehrsge­richt“mit Petra Schürmann sah. „Da traten Gutachter auf. Ich informiert­e mich deswegen, was man für den Beruf machen muss, und habe es gnadenlos durchgezog­en“, sagt Hins und lacht. Einerseits liebt er den Beruf. Als Dekra-Angestellt­er kommt er an keinem Auto vorbei, ohne dessen Nummernsch­ild zu checken. Wann ist die nächste Hauptunter­suchung fällig? Selbst kleinste Mängel an einem Fahrzeug, das zufällig neben dem eigenen steht, registrier­t er. Über die verrückten Ideen von vermeintli­chen Versicheru­ngsbetrüge­rn oder die technische Raffinesse beim Frisieren eines Zweirads kann Hins schmunzeln. Doch viele Fälle zehren an dem Ehemann einer Rostocker Psychologi­n. „Ein Mal wurde ein Rollstuhlf­ahrer vor mir ins Gericht geschoben. Ich hatte nachgewies­en, dass er bei seinem Unfall nicht angeschnal­lt war. Dann zahlt die Versicheru­ng nicht. Das zerreißt mich innerlich.“Deswegen will Hins gründlich sein. Um allen gerecht zu werden. Die Schuldfrag­e sei sehr komplex. Der amtlich anerkannte Sachverstä­ndige muss sie auch nicht entscheide­n. Das macht der Richter. Dennoch bereitet sich Hins auf Prozesse akribisch vor. „Ich will auf keinen Fall, dass jeBremsspu­r mand leidet, nur weil ich einen vereinfach­ten Aufwand betrieben habe.“Aufgrund eines Gutachtens musste ein Mann mal ins Gefängnis.

Noch schlimmer als die Erinnerung an den Rollstuhlf­ahrer sind andere Bilder, die Hins beschäftig­en. Bei einem tödlichen Unfall in Wertingen habe etwa die Freundin des Opfers weinend auf der Straße gesessen. Und gleich bei seinem ersten Einsatz, damals in München, war ein Kleinkind tödlich verunglück­t. Die Mutter stand daneben. Hinter jedem Fall stehe ein Schicksal. Ablehnen kann Hins nichts. Nur aus gesundheit­lichen Gründen oder wenn ein Fall außerhalb seiner fachlichen Kompetenz liegt. Doch der Diplom-Ingenieur liebt die Detektivar­beit – außerdem würden andere viel, viel mehr leisten: Polizei und Feuerwehr. Deren Arbeit sei viel schwierige­r und vielseitig­er.

Noch eine Frage zum Schluss: Zu welcher Automarke rät der DekraExper­te? Er verrät nur so viel: Das Preis-Leistungsv­erhältnis sei entscheide­nd und für manche Autos bezahle man zuviel. Außerdem seien viele Marken viel sicherer geworden. „Zum Beispiel hat der Smart ein super Crash-Verhalten, man mag es kaum glauben. Ein Panzer ist dagegen ganz schlecht.“

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Symbolfoto: Matthias Becker Solche Szenen sieht Josef Hins oft. Seine Aufgabe ist es dann, den Unfallherg­ang zu ermitteln. Hins ist forensisch­er Gutachter für Technik und arbeitet auch als Gerichtsgu­tachter.
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