Wenn der Frühling erblüht
Konzertreihe Mit Klangfantasien aus Heiterem und Besinnlichem eröffnet das Vocal-Ensemble Hochwang die romantischste aller Jahreszeiten
Effektvolle Kanten und verquere Ecken Die Bettelleute tanzen und Jägerlein jagen
Manchmal benimmt sich der kalendarische Frühling doch wie aus der Realität gefallen. Gut also, dass seine musikalische Variante durch ihr Ritual alljährlicher Wiederholung eine Art Normalität mit sich bringt. Rein sachlich gesehen mag die zwar trügerisch sein, wirkt aber als akustisches Elementarvergnügen zumindest beruhigend. Verena Schwarz, mit ihrem Vocal-Ensemble Hochwang und dem Ulmer Bläserquintett, ließ in der evangelischen Auferstehungskirche Günzburg den musikalischen Frühling im schwäbischen Barockwinkel erblühen, mit Klangfantasien aus Heiterem und Besinnlichem, und der beseelten Utopie als Metapher für den Sitz aller Gefühle.
Den Weg wies wieder einmal, auf polyfon kunstvoll gewobenem Teppich, der große Johann Sebastian Bach, mit dem bläserisch gestalteten Choralvorspiel BWV 647 und dem chorisch zugehörigen „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Dann bereitete das traumhaft aufeinander eingespielte Ulmer Flöte-OboeKlarinette-Horn-Fagott-Quintett, mit Joseph Haydns B-Dur Divertimento, reines Instrumentalvergnügen. Parlandomusik im Schlossparkschlender-Rhythmus, zu fürstlichen Snacks, Champagner in Kristall und schmusiger Begleitung am Arm. Astrein veradeligter HaydnTonfall, mit gefälligem Charme, frisch, flott und farbig.
Ferenc Parkas’ ungarischen Folkloretänzen aus dem 17. Jahrhundert mischte das Quintett eine gehörige Prise Puszta bei, gewürzt mit Pep und Paprika. Folklore, von packender Natürlichkeit beflügelt, mit jubilierender Flöte, pointiertem Wiegerhythmus, klarinettenhaltiger Vorwitzigkeit und eingeschmuggeltem Choralmotiv im vierten Satz. Zur akustischen Beziehungshölle, mit erlesenem Witz und ironischem Lächeln, gerieten Rainer Lischkas (geb. 1942) „Calls“. Vertrackte Rhythmen, aus der Tiefe grollend, melodisch schräg, mit effektvollen Kanten und verqueren Ecken. Fünf Instrumente im tonalen Multikulti- mit phänomenalem Sinn für comedy-taugliche Abstraktion. Zwei tonale Akkorde hatten sich wohl versehentlich in den Schlusssatz verirrt.
Zu schönen und weniger schönen, zu beängstigenden aber auch gut gelaunten bis virtuos witzigen Gedanken animierte das 19-köpfige VocalEnsemble in seinen Genrestücken vokaler Souveränität. Mit emotionaler, perfekt kontrollierter Gestaltungskraft, mit hörenswerten Entdeckungen, die man kaum mal in Konzerten erlebt. Wie Johannes Brahms’ auf langen Atem sinnierende „Weltliche Lieder“, seine über „zagende Herzen“und Vergänglichkeit flüsternden „Engelsstimmen“, seine chor-lyrisch weichgespülte Abschiedsstimmung. Mit der sind auch viele der Volkslieder von Helmut Barbe (geb. 1927) behaftet. Traumschwere Grabesstimmung bilden die Vorzeichen der zu Kunstliedern modulierten „Ich hab die Nacht geträumet“oder „Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht“. Aber er kommt auch durch „manches Land“in dem mit ta-ta und hallo-hallo „die Bettelleute tanzen“und „Jägerlein jagen“. Vor allem aber war es das silbrigfeine, poetisch geschliffene Klanggeflecht in Christian Morgensterns Galgenliedern, mit dem Verena Schwarz einen Genussmarsch durch chorische Ausdrucksnuancen und lautmalerische Phonetik prämodus, sentierte. Sprachartistische Purzelbäume, von Harald Banter (geb. 1930) mit erfrischender Klanggirlandenopulenz in Galgenpoesie gesetzt.
Da sitzt ein Igel, wigula wagula wü tü tü, auf einem Stein, beten Rehlein mit gefalteten Zehlein zur Nacht, fliegen Kindelein in Windelein aufs Türmelein und werden mittels Wiegeliedlein vom Schaf in den Schlaf geschlummert.
Doch nicht lange, denn J. S, Bach der Allgewaltige, beendete, sowohl instrumental wie gemischtchorig mehrstimmig, den Schlafzimmersound mit der Botschaft „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Und Helmut Barbe bestätigte, per erklatschter Zugabe und in neuzeitlich erfrischende Eloquenz gebettet: „Wohlan, die Zeit ist kommen.“