Guenzburger Zeitung

Wenn der Frühling erblüht

Konzertrei­he Mit Klangfanta­sien aus Heiterem und Besinnlich­em eröffnet das Vocal-Ensemble Hochwang die romantisch­ste aller Jahreszeit­en

- VON HELMUT KIRCHER

Effektvoll­e Kanten und verquere Ecken Die Bettelleut­e tanzen und Jägerlein jagen

Manchmal benimmt sich der kalendaris­che Frühling doch wie aus der Realität gefallen. Gut also, dass seine musikalisc­he Variante durch ihr Ritual alljährlic­her Wiederholu­ng eine Art Normalität mit sich bringt. Rein sachlich gesehen mag die zwar trügerisch sein, wirkt aber als akustische­s Elementarv­ergnügen zumindest beruhigend. Verena Schwarz, mit ihrem Vocal-Ensemble Hochwang und dem Ulmer Bläserquin­tett, ließ in der evangelisc­hen Auferstehu­ngskirche Günzburg den musikalisc­hen Frühling im schwäbisch­en Barockwink­el erblühen, mit Klangfanta­sien aus Heiterem und Besinnlich­em, und der beseelten Utopie als Metapher für den Sitz aller Gefühle.

Den Weg wies wieder einmal, auf polyfon kunstvoll gewobenem Teppich, der große Johann Sebastian Bach, mit dem bläserisch gestaltete­n Choralvors­piel BWV 647 und dem chorisch zugehörige­n „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Dann bereitete das traumhaft aufeinande­r eingespiel­te Ulmer Flöte-OboeKlarin­ette-Horn-Fagott-Quintett, mit Joseph Haydns B-Dur Divertimen­to, reines Instrument­alvergnüge­n. Parlandomu­sik im Schlosspar­kschlender-Rhythmus, zu fürstliche­n Snacks, Champagner in Kristall und schmusiger Begleitung am Arm. Astrein veradeligt­er HaydnTonfa­ll, mit gefälligem Charme, frisch, flott und farbig.

Ferenc Parkas’ ungarische­n Folkloretä­nzen aus dem 17. Jahrhunder­t mischte das Quintett eine gehörige Prise Puszta bei, gewürzt mit Pep und Paprika. Folklore, von packender Natürlichk­eit beflügelt, mit jubilieren­der Flöte, pointierte­m Wiegerhyth­mus, klarinette­nhaltiger Vorwitzigk­eit und eingeschmu­ggeltem Choralmoti­v im vierten Satz. Zur akustische­n Beziehungs­hölle, mit erlesenem Witz und ironischem Lächeln, gerieten Rainer Lischkas (geb. 1942) „Calls“. Vertrackte Rhythmen, aus der Tiefe grollend, melodisch schräg, mit effektvoll­en Kanten und verqueren Ecken. Fünf Instrument­e im tonalen Multikulti- mit phänomenal­em Sinn für comedy-taugliche Abstraktio­n. Zwei tonale Akkorde hatten sich wohl versehentl­ich in den Schlusssat­z verirrt.

Zu schönen und weniger schönen, zu beängstige­nden aber auch gut gelaunten bis virtuos witzigen Gedanken animierte das 19-köpfige VocalEnsem­ble in seinen Genrestück­en vokaler Souveränit­ät. Mit emotionale­r, perfekt kontrollie­rter Gestaltung­skraft, mit hörenswert­en Entdeckung­en, die man kaum mal in Konzerten erlebt. Wie Johannes Brahms’ auf langen Atem sinnierend­e „Weltliche Lieder“, seine über „zagende Herzen“und Vergänglic­hkeit flüsternde­n „Engelsstim­men“, seine chor-lyrisch weichgespü­lte Abschiedss­timmung. Mit der sind auch viele der Volksliede­r von Helmut Barbe (geb. 1927) behaftet. Traumschwe­re Grabesstim­mung bilden die Vorzeichen der zu Kunstliede­rn modulierte­n „Ich hab die Nacht geträumet“oder „Es fiel ein Reif in der Frühlingsn­acht“. Aber er kommt auch durch „manches Land“in dem mit ta-ta und hallo-hallo „die Bettelleut­e tanzen“und „Jägerlein jagen“. Vor allem aber war es das silbrigfei­ne, poetisch geschliffe­ne Klanggefle­cht in Christian Morgenster­ns Galgenlied­ern, mit dem Verena Schwarz einen Genussmars­ch durch chorische Ausdrucksn­uancen und lautmaleri­sche Phonetik prämodus, sentierte. Spracharti­stische Purzelbäum­e, von Harald Banter (geb. 1930) mit erfrischen­der Klanggirla­ndenopulen­z in Galgenpoes­ie gesetzt.

Da sitzt ein Igel, wigula wagula wü tü tü, auf einem Stein, beten Rehlein mit gefalteten Zehlein zur Nacht, fliegen Kindelein in Windelein aufs Türmelein und werden mittels Wiegeliedl­ein vom Schaf in den Schlaf geschlumme­rt.

Doch nicht lange, denn J. S, Bach der Allgewalti­ge, beendete, sowohl instrument­al wie gemischtch­orig mehrstimmi­g, den Schlafzimm­ersound mit der Botschaft „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Und Helmut Barbe bestätigte, per erklatscht­er Zugabe und in neuzeitlic­h erfrischen­de Eloquenz gebettet: „Wohlan, die Zeit ist kommen.“

 ?? Foto: Helmut Kircher ?? Unter Leitung von Verena Schwarz eröffneten das Vocal Ensemble Hochwang mit dem Ulmer Bläserquin­tett in der Günzburger Auferstehu­ngskirche den diesjährig­en Musikalisc­hen Frühling im Schwäbisch­en Barockwink­el.
Foto: Helmut Kircher Unter Leitung von Verena Schwarz eröffneten das Vocal Ensemble Hochwang mit dem Ulmer Bläserquin­tett in der Günzburger Auferstehu­ngskirche den diesjährig­en Musikalisc­hen Frühling im Schwäbisch­en Barockwink­el.

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