Die Angst des Freizeitkapitäns
Kreuzfahrt spezial Mit dem Hausboot kommt man direkt an den Markusplatz. In der Lagune von Venedig ist es ruhiger
Vor Venedig geht es bisweilen zu wie auf einer vielspurigen Autobahn. Wassertaxis, Müllschiffe, Postboote, Transportschiffe und Vaporetti fahren kreuz und quer, überholen rechts und links, und an Geschwindigkeitsbegrenzungen hält sich ohnehin niemand. Und wenn sich dann auch noch ein Ozeanriese auf dem Weg zum Kreuzfahrtterminal durch den Canale di San Marco schiebt, kann dem Freizeitkapitän in seiner Jolle schon angst und bange werden.
Da ist es von Vorteil, dass der Hausboot-Törn im beschaulichen Chioggia beginnt. In dem 50 000 Einwohner zählenden Städtchen am Südrand der Lagune kann man sich in Ruhe mit dem Boot und den Verkehrsregeln in der Lagune vertraut machen. Ebenso wie Venedig wurde Chioggia auf Holzpfählen gebaut, hat Kanäle und Brücken, Palazzi und Kirchen und sogar einen in Stein gehauenen Markuslöwen als Wahrzeichen. Allerdings ist das Tier weitaus mickriger als sein venezianisches Vorbild.
In Chioggia wird das Geld vor allem mit Fisch verdient, der hier am größten Fischereihafen Norditaliens angelandet wird. Dass die Altstadt mit ihren abzweigenden Gassen von Hauptstraße und Vena-Kanal auf dem Stadtplan wie eine Gräte aussieht, ist jedoch reiner Zufall. An der Hausboot-Basis liegen überwiegend Pénichettes, die das Unternehmen Locaboat eigens für die führerscheinfreien Bootsferien konstruiert hat. Pate dafür stand das französische Binnenschiff, die Péniche. Die Hausboot-Variante ist eleganter und natürlich viel kürzer. Die 10,20 Meter lange „Aquileia“flößt dem Skipper dennoch Respekt ein. Sie hat einen doppelten Steuerstand innen und außen, ein Bugstrahlruder und eine gut ausgestattete Küche einschließlich Espressokocher, wie es sich für Italien gehört.
Nach der Einweisung und einer Probefahrt geht’s am nächsten Morgen in die „Laguna veneta“, eine von den Gezeiten modellierte Landschaft mit zahlreichen Inseln, Sandbänken, Schilfteppichen und schwimmenden Salzwiesen. Vor Urzeiten geschaffen im Zusammenspiel der hier mündenden Flüsse, die Schwemmland aus den Alpen mitbrachten, und der Gezeitenströmung der Adria, die dagegenhielt. Gut 40 Kilometer Länge und bis zu 13 Kilometer Breite misst der von Landzungen und Nehrungsinseln weitgehend abgetrennte Meerbu- Reichlich Platz also zum Hinund Herkreuzen, sollte man meinen. Der Blick auf die Seekarte belehrt eines Besseren. Das 550 Quadratkilometer große Gewässer an sich ist flach. Bei Ebbe oft kaum mehr achtzig Zentimeter tief und somit weniger als die „Aquileia“Tiefgang hat. Nur in den ausgebaggerten Kanälen, die von gebündelten Holzpfählen, den sogenannten Bricole, flankiert werden, ist die Lagune schiffbar.
Ebenso wie der Lido di Venezia ist Pellestrina eine lange Sandbank, die sich wie ein Bollwerk gegen die Brandung der Adria stemmt. Schon oben vom Steuerstand sieht man die Brandungswellen an die Flutmauer der handtuchschmalen Nehrungsinsel klatschen. Das Binnen-Fahrwas- entlang der elf Kilometer langen Insel hingegen ist ruhig. Kleine Orte, gesäumt von pastellfarbenen Häusern und wuchtigen Kirchen, ziehen vorbei sowie bunte Muschelfischereischiffe, die an den Kaimauern vertäut sind. Die in den Grund gerammten Bricole wachen darüber, dass das Boot nicht aus der Reihe tanzt und in der Fahrrinne bleibt. Gleich hinter den Markierungen haben Lagunenfischer Pfahlhütten auf den Grund des seichten Wassers gesetzt. Dass die Lagune nicht nur Idylle ist, erkennt man schon an den qualmenden Schloten von Porto Marghera, der drittgrößten Industriestadt Italiens. Je näher Venedig rückt, desto mehr Verkehr in den Kanälen.
Ziel des heutigen Tages ist die Insen. sel Le Vignole, wo für die „Aquileia“kostenlose Anlegeplätze reserviert sind und Wasser gebunkert werden kann. Ein Seidenreiher mit schwarzen Beinen und gelben Füßen fliegt vorneweg und geleitet das Schiff zu dem geschützten Übernachtungsplatz. Ein freundlicher Nachbar, der gerade die Hecke vor seinem Haus schneidet, hilft beim Festmachen.
Nach dem Frühstück auf dem sonnigen Oberdeck geht’s rüber zur Insel Sant’Erasmo. Ein Refugium für Reiher, Enten und Tauchhühner, die in den Salzwiesenteppichen Futter suchen. Und für Landwirte, denn der Boden ist fruchtbar. Am Morgen schippern Bauern mit ihrem Gemüse nach Venedig zum städtischen Rialtomarkt. Die Artiser schocken von Sant’Erasmo sind dort besonders begehrt.
Wie zauberhaft die Lagune ist, erkennt man am besten von oben – vom Glockenturm der Basilika Santa Maria Assunta auf der Insel Torcello. Silbrige Wasserläufe, grüne Wiesen, Schilfgürtel und Ackerflächen umschlingen einander zu einem abstrakten Gesamtkunstwerk. In der Ferne blitzen Schneeflecken auf Alpengipfeln. Und ganz nah leuchten himbeerrot, violett, quietschgrün und kürbisgelb die Häuser der Fischerinsel Burano. Mittendrin der bedrohlich schief stehende Kirchturm der Chiesa San Martino. Die Besiedlung der Lagune nahm im siebten Jahrhundert auf Torcello ihren Anfang und erreichte 400 Jahre später ihren Höhepunkt mit etwa 25000 Einwohnern. Aus der Zeit stammt auch die prächtige dreischiffige Basilika mit den byzantinischen Goldmosaiken und dem wandfüllenden Weltgerichtsmosaik. Heute leben auf Torcello gerade noch 25 Menschen.
Über Burano und Murano geht der Bootstörn wieder südwärts Richtung Venedig. Die Türme der berühmten Lagunenstadt rücken näher. Und der Verkehr wird immer dichter. Gerade düst ein schmales Lieferboot mit zwei hochkant gestellten Konzertflügeln den Canale de San Marco hoch. Kurz darauf – oh Schreck! – nähert sich ein Kreuzfahrtschiff. Mit elf Passagierdecks überragt es alle umliegenden Kirchenkuppeln und Paläste. Vor dieser gewaltigen Übermacht heißt es Reißaus nehmen. Zum Glück bietet der schmale Canale Lazzaretto, der zur Isola di San Servolo abzweigt, Schutz. Auf dieser kleinen Insel wurden einst Nervenkranke aus dem Adel untergebracht.
Endlich! Der Ozeanriese ist am Haken eines Schleppers vorbeigezogen und außer Sicht. Bahn frei also für den Markusplatz! Schon ein erhebendes Gefühl, vor der weltberühmten Kulisse mit Dogenpalast und Markusbasilika zu dümpeln. Aber wie es schwankt. Auch andere Hausboote, Ausflugsschiffe und Gondeln schwappen mit uns und sorgen für ordentlich Seegang.
Zum Schluss geschieht dann doch noch ein Malheur. Auf dem Rückweg nach Chioggia sitzt die „Squileia“auf. Der Skipper hat die Markierung der Fahrrinne übersehen und das Boot in den sandigen Grund gerammt. „Keine Panik“, empfiehlt das Kapitäns-Handbuch in dem Fall. Leicht gesagt. Zum Glück war auflaufendes Wasser und das Problem erledigte sich von selbst.