Deutschland sollte wissen, was es an seiner Autoindustrie hat Leitartikel
Mit der Razzia bei Audi erreicht der Abgasskandal einen schrillen Höhepunkt. Umso mehr kommt es jetzt auf eine besonnene Reaktion an
Wer mit seinem Wagen ins Schleudern kommt, sollte eines vermeiden: panisches Gegenlenken. Das macht alles noch viel schlimmer. Im übertragenen Sinne hilft etwas Besonnenheit auch in der Reaktion auf den schwarzen Tag bei Audi.
Der Abgasskandal schwelt seit eineinhalb Jahren, die Ermittlungen laufen nicht erst seit gestern. Wenn sich ein Verdacht erhärtet, ordnet der Staatsanwalt Durchsuchungen an. Das kann er nicht nur, das muss er sogar tun. Insofern ist die Razzia, obschon sie in seltsamer zeitlicher Nähe zur Audi-Pressekonferenz stattfand, ein normaler rechtsstaatlicher Vorgang.
Derzeit gehen die Behörden „nur“Vorwürfen nach, die mit Verkäufen in den USA zu tun haben. In Deutschland hat das Kraftfahrtbundesamt bei Audi-Modellen schlichtweg keine Hinweise auf eine unzulässige Manipulation von Abgaswerten gefunden. Es bleibt also abzuwarten, was die Staatsanwaltschaft wirklich ausgräbt und welche Folgen sich ergeben – oder auch nicht. Audi hat, was bleibt dem Unternehmen anderes übrig, volle Kooperation zugesagt. Dabei gäbe es andere wichtige Aufgaben. Kurzfristige wie das schwächelnde China-Geschäft, langfristige wie den Start ins Elektro-Zeitalter.
Am Ende könnte der größte Effekt dieser Durchsuchung ein eher symbolischer sein – und zwar kein guter. In der Glitzerwelt der Premium-Automobile zählt nichts mehr als das Image. In Amerika ist es bereits hinlänglich „gelungen“, Volkswagen im Ansehen zu demontieren. Dort sind genügend protektionistische Kräfte am Werk, denen die Stärke der deutschen Autoindustrie ein Dorn im Auge ist.
Deutschland sollte nicht den Fehler machen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Anders als etwa die USA oder Frankreich, denen die heimischen Industrien heilig sind, neigt ausgerechnet unsere „Autonation“zum Übereifer. Die Forderungen nach Fahrverboten für Dieselfahrzeuge werden immer schriller. Die Grünen wollen gar den Verbrenner als solchen abschaffen. Skeptisch sind allenfalls Parteifreunde in Baden-Württemberg, da sitzt „der Daimler“.
Die Autoindustrie ist ein Jobmotor. Sie bildet das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. In unserer Region hat sie gerade dank Audi eine überragende Bedeutung. Mit der Reputation dieser Schlüsselbranche spielt man nicht.
In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung, und sie gilt sogar für Top-Manager. Noch ist nichts erwiesen. Es gibt aber neben der juristischen eine moralische Verantwortung. Und in deren Sinne hat sich so mancher längst schuldig gemacht. Bis heute lässt der Volkswagen-Konzern den Willen zur schonungslosen Aufklärung vermissen. Es dominiert die Strategie, immer nur das zuzugeben, was sich nicht mehr leugnen lässt. Eine in der Konzernlandschaft einzigartige Clique aus Managern, Gewerkschaftsbossen und Politikern regiert Wolfsburg nach wie vor. Der Klüngel scheint zu einem echten Neuanfang nicht fähig.
Ob oder wie tief Audi-Chef Stadler selbst in die Affäre verstrickt ist, lässt sich zur Stunde nicht sagen. So oder so ist es bemerkenswert, wie lange er sich auf dem Posten des Vorstandsvorsitzenden hält. Stadler hat sich große Verdienste um das Unternehmen erworben. Das allein macht ihn nicht zu einem Mann der Zukunft.
Die Frage nach der ManagerVerantwortung stellt sich nach der Razzia gestern drängender denn je. Spitzenleute sind, das lehrt die Erfahrung, juristisch schwer zu fassen. Und wenn, fallen sie weich. So gute Karten haben Arbeiter und Angestellte nicht. Sie löffeln oft genug die Suppe aus, die andere ihnen einbrocken. Das haben die Audianer nicht verdient.
Manager haben sich vor allem moralisch schuldig gemacht