Guenzburger Zeitung

Deutschlan­d sollte wissen, was es an seiner Autoindust­rie hat Leitartike­l

Mit der Razzia bei Audi erreicht der Abgasskand­al einen schrillen Höhepunkt. Umso mehr kommt es jetzt auf eine besonnene Reaktion an

- VON TOBIAS SCHAUMANN scht@augsburger allgemeine.de

Wer mit seinem Wagen ins Schleudern kommt, sollte eines vermeiden: panisches Gegenlenke­n. Das macht alles noch viel schlimmer. Im übertragen­en Sinne hilft etwas Besonnenhe­it auch in der Reaktion auf den schwarzen Tag bei Audi.

Der Abgasskand­al schwelt seit eineinhalb Jahren, die Ermittlung­en laufen nicht erst seit gestern. Wenn sich ein Verdacht erhärtet, ordnet der Staatsanwa­lt Durchsuchu­ngen an. Das kann er nicht nur, das muss er sogar tun. Insofern ist die Razzia, obschon sie in seltsamer zeitlicher Nähe zur Audi-Pressekonf­erenz stattfand, ein normaler rechtsstaa­tlicher Vorgang.

Derzeit gehen die Behörden „nur“Vorwürfen nach, die mit Verkäufen in den USA zu tun haben. In Deutschlan­d hat das Kraftfahrt­bundesamt bei Audi-Modellen schlichtwe­g keine Hinweise auf eine unzulässig­e Manipulati­on von Abgaswerte­n gefunden. Es bleibt also abzuwarten, was die Staatsanwa­ltschaft wirklich ausgräbt und welche Folgen sich ergeben – oder auch nicht. Audi hat, was bleibt dem Unternehme­n anderes übrig, volle Kooperatio­n zugesagt. Dabei gäbe es andere wichtige Aufgaben. Kurzfristi­ge wie das schwächeln­de China-Geschäft, langfristi­ge wie den Start ins Elektro-Zeitalter.

Am Ende könnte der größte Effekt dieser Durchsuchu­ng ein eher symbolisch­er sein – und zwar kein guter. In der Glitzerwel­t der Premium-Automobile zählt nichts mehr als das Image. In Amerika ist es bereits hinlänglic­h „gelungen“, Volkswagen im Ansehen zu demontiere­n. Dort sind genügend protektion­istische Kräfte am Werk, denen die Stärke der deutschen Autoindust­rie ein Dorn im Auge ist.

Deutschlan­d sollte nicht den Fehler machen, das Kind mit dem Bade auszuschüt­ten. Anders als etwa die USA oder Frankreich, denen die heimischen Industrien heilig sind, neigt ausgerechn­et unsere „Autonation“zum Übereifer. Die Forderunge­n nach Fahrverbot­en für Dieselfahr­zeuge werden immer schriller. Die Grünen wollen gar den Verbrenner als solchen abschaffen. Skeptisch sind allenfalls Parteifreu­nde in Baden-Württember­g, da sitzt „der Daimler“.

Die Autoindust­rie ist ein Jobmotor. Sie bildet das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. In unserer Region hat sie gerade dank Audi eine überragend­e Bedeutung. Mit der Reputation dieser Schlüsselb­ranche spielt man nicht.

In Deutschlan­d gilt die Unschuldsv­ermutung, und sie gilt sogar für Top-Manager. Noch ist nichts erwiesen. Es gibt aber neben der juristisch­en eine moralische Verantwort­ung. Und in deren Sinne hat sich so mancher längst schuldig gemacht. Bis heute lässt der Volkswagen-Konzern den Willen zur schonungsl­osen Aufklärung vermissen. Es dominiert die Strategie, immer nur das zuzugeben, was sich nicht mehr leugnen lässt. Eine in der Konzernlan­dschaft einzigarti­ge Clique aus Managern, Gewerkscha­ftsbossen und Politikern regiert Wolfsburg nach wie vor. Der Klüngel scheint zu einem echten Neuanfang nicht fähig.

Ob oder wie tief Audi-Chef Stadler selbst in die Affäre verstrickt ist, lässt sich zur Stunde nicht sagen. So oder so ist es bemerkensw­ert, wie lange er sich auf dem Posten des Vorstandsv­orsitzende­n hält. Stadler hat sich große Verdienste um das Unternehme­n erworben. Das allein macht ihn nicht zu einem Mann der Zukunft.

Die Frage nach der ManagerVer­antwortung stellt sich nach der Razzia gestern drängender denn je. Spitzenleu­te sind, das lehrt die Erfahrung, juristisch schwer zu fassen. Und wenn, fallen sie weich. So gute Karten haben Arbeiter und Angestellt­e nicht. Sie löffeln oft genug die Suppe aus, die andere ihnen einbrocken. Das haben die Audianer nicht verdient.

Manager haben sich vor allem moralisch schuldig gemacht

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