Ein Realpolitiker siegt über den Populisten
EU Überraschungen bei Wahl in Niederlanden. Nicht nur Rechtsaußen Wilders erlebt ein Debakel
Es ist der Abend der vielen Überraschungen. Lange bevor die amtlichen Ergebnisse in der vergangenen Nacht dann wirklich vorlagen, stand der erste Wahlsieger schon fest: die niederländischen Bürger selbst. 81 Prozent gingen zu den Urnen, zeitweise bildeten sich lange Schlangen an den Stimmlokalen, die auf Schiffen, in Windmühlen und Museen eingerichtet worden waren. Diese unerwartet breite Mehrheit sorgte für eine politische Sensation, weil der in Umfragen vorhergesagte Rechtsruck ausblieb.
„Diese Wahl könnte das Ende des Höhenfluges der Populisten auch in Europa sein“, sagte Premier Mark Rutte. Er ist der strahlende Wahlsieger. Kein Abstand von nur wenigen Prozent oder gar ein Kopf-anKopf-Rennen zu dem Rechtspopulisten Geert Wilders, wie es die Meinungsforscher angekündigt hatten. Der Islam-Gegner landet sogar deutlich abgeschlagen, größter Wahlgewinner dürfte das grün-linke Bündnis sein. Als Verlierer des Tages stehen die Sozialdemokraten fest, aus deren Reihen unter anderem Finanzminister und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem kommt. Der aus Sicht der Sozialdemokraten katastrophale Absturz von 25 auf sechs Prozent in den ersten Prognosen zählt in dieser Deutlichkeit ebenfalls zu den Überraschungen der Wahlnacht.
Dass der alte und neue Ministerpräsident von seinem harten Durchgreifen gegen zwei türkische Minister am Wochenende profitiert hat, liegt auf der Hand. Rutte, so hieß es in ersten Analysen, habe deshalb so deutlich zulegen können, weil er in der Migrationspolitik eben nicht versucht hatte, Wilders und seine strikte Ausgrenzungspolitik zu kopieren. Stattdessen präsentierte der Ministerpräsident sich als ein Mann, der ein Programm für alle Probleme des Landes vorzuweisen hatte. Zwei Milliarden Euro will er in das Gesundheitssystem stecken, tausende neue Jobs in der Alten- und Krankenpflege schaffen, den Etat weiter sanieren und die schleichende Verdunstung fester Arbeitsverhältnisse stoppen.
Die endgültige Gewichtsverteilung im niederländischen Parlament stand gestern Abend noch nicht fest. Nach mehreren Pannen mit Wahlcomputern bei den Urnengängen bis 2009 war das Land wieder zu handgeschriebenen Stimmzetteln zurückgekehrt, die am Ende von Hand gezählt wurden. Auch wenn sich die Stimmenanteile der Parteien noch verschieben sollten – an dem klaren Sieg Ruttes und dem Abstand zu Wahlverlierer Geert Wilders würde sich nicht mehr viel ändern können.
Dennoch braucht Rutte Partner, um in der 150 Sitze zählenden „Tweeden Kammer“eine stabile Mehrheit zu bekommen. Bis zu vier Parteien dürften dafür nötig sein. Vermutlich wird der Premier sich bemühen, eine erneute MitteRechts-Koalition zusammenzubekommen. Auch eine erneute Beteiligung der Sozialdemokraten scheint nicht ausgeschlossen, sodass vielleicht sogar Dijsselbloem sein Amt in Brüssel behalten könnte.