Guenzburger Zeitung

Die Wahrheit des Horrors Roman Ehrlich

Über seinen krassen zweiten Roman und die Zweifel am Leben als Autor

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S. Fischer, 640 Seiten, 24 Euro

Fast zweieinhal­b Jahre ist es her, dass wir gesprochen haben – es war Ende 2014, Ihr Debütroman „Das kalte Jahr“hatte für Furore gesorgt, Sie hatten Preise erhalten, und auch Ihr damals frischer, erster Erzählband „Urwaldgäst­e“traf auf einiges Interesse. Und Sie, nach Leipziger Literaturi­nstitut und Auftritt beim Bachmann-Preis ja vermeintli­ch auf Kurs Autorenleb­en, sagten: „Ich habe mich die meiste Zeit mit Gelegenhei­tsjobs durchgesch­lagen, in Bars und Hotels, in Umzugs- und Abrissfirm­en – und das werde ich wohl auch in Zukunft wieder tun.“Inzwischen sind weitere Preise hinzugekom­men, Ihre Heimat Neuburg hat sie ausgezeich­net, demnächst folgt die Döblin-Medaille – und jetzt erscheint Ihr zweiter Roman. Hat sich Ihr Leben nicht doch verändert? Auch, was die Perspektiv­e, vom Schreiben zu leben, angeht?

Roman Ehrlich: Ich denke, dass das niemals weggehen wird, dieses Gefühl, dass alles nur temporär und irgendwie auch auf Sand gebaut ist, obwohl ich jetzt schon eine ganze Weile gar nichts anderes mehr gearbeitet habe und nur noch geschriebe­n. Es gibt aber in mir ein starkes Misstrauen oder vielleicht auch einen Unglauben, dass es damit so weitergehe­n wird. Inwieweit das einem grundsätzl­ich pessimisti­schen Zukunftsbi­ld entspricht und vielleicht auch mit einem gewissen Hang zum Fatalismus zusammenhä­ngt, ist von innen nicht so leicht zu beurteilen. Dass sich mein Leben verändert hat, ist jedenfalls keine Frage. Das Schreiben schafft sich ja auch seinen eigenen Zustand, wenn man sich einmal darauf eingelasse­n hat.

Ihr neues Buch heißt „Die fürchterli­chen Tage des schrecklic­hen Grauens“. Das wirkt so dick aufgetrage­n, als wäre es ironisch gemeint. Aber tatsächlic­h bildet den Rahmen dann der Versuch, einen experiment­ellen Horrorfilm zu drehen. Moritz, Ihr Ich-Erzähler, wird von einem früheren Freund, Christoph, dazu eingeladen. Die Szenen aus der Filmgeschi­chte, die Sie zitieren, aber auch Momente, die Sie selbst nicht eben zimperlich beschreibe­n, lassen doch auf ein echtes Interesse am Genre schließen. Zombies, Splatter – was fasziniert am Horror? Dieser Christoph ist ja geradezu ein Priester des Schmerzes, der doziert: nie sei die Wahrnehmun­g der Zeit und unser IchBewusst­sein so ausgeprägt wie angesichts des Schmerzes …

Ehrlich: Genau, da haben Sie schon den zentralen Komplex benannt. Das Genre des Horrors und die Philosophi­e, die im Buch den Film bedingt, folgen der gleichen These: Dass die Erfahrung des Schmerzes oder die extreme Drastik, die der Horrorfilm vorführt, eine starke Verengung der Wahrnehmun­g bewirken, eine extreme Gegenwärti­gkeit, eine Art absoluten Jetztzusta­nd. In seinen Grundzügen entspricht das auch den Strategien der Machtgewin­nung und -ausübung, die aktuell wieder Konjunktur haben. Das Extrem wird angestrebt, das die Vielfalt der Handlungso­ptionen auf ein Dafür oder Dagegen beschränke­n soll. Darin schwingt auch immer das Angebot mit – und das ist eben auch im Buch ein Grund für die Anziehungs­kraft des Filmprojek­tes für seine Teilnehmer –, dass einem die Welt geordnet wird und das Handeln ermöglicht, wo man vorher in Stasis, Überforder­ung, Phlegma und Unentschlo­ssenheit gefangen war. Im Kern steht dabei auch die Angst. In einer Bar in Ulm, bevor die Crew zu Fuß zum Dreh Richtung Thüringen aufbricht, geht es darum, dass jeder vor den anderen seine tiefste Angst offenbart. So ist dieses Buch zumindest bis zur Hälfte auch ein Erzählband, der verschiede­ne Momente aufruft, in denen das Vertrauen eines Menschen in sich und das Leben bricht. Eine Studie der Angst in Zeiten, in denen über Ängste ohnehin viel gesprochen wird? Sie docken das Thema ja letztlich auch noch ans aktuelle Zeitgesche­hen an…

Ehrlich: Sicherlich hat die Gegenwart, in der ich lebe, haben die Nachrichte­n und der aktuelle Diskurs einen großen Anteil an der Entscheidu­ng, dieses Buch zu schreiben, gehabt. Es verhandelt in vielfacher Form Weltwahrne­hmung, auch meine eigene. Mir war aber zumindest beim Schreiben die ganze Zeit klar, dass all das nicht zu einem Porträt unserer Zeit gerinnen kann. Das war auch nicht meine Absicht. Ich suche eher nach den Phänomenen, die unsere Zeit ebenso durchkreuz­en wie andere Zeiten vor ihr und die in jeder Epoche wieder neue Erzählunge­n hervorbrin­gen. Diese Erzählunge­n sind es ja auch, die am Ende das Material bilden, aus dem wir uns eine Vorstellun­g von der Zukunft machen. So habe ich immer den sogenannte­n Rahmen unserer Möglichkei­ten verstanden – die Summe der Fiktionen, die man erfassen kann.

Ich-Erzähler Moritz ist eine ziemlich verlorene Figur: aus dem Familienbe­zug gefallen, in einer Beziehung, der er dann doch hinterhert­rauert, nie ganz angekommen, funktionie­rend im Computer-Job, aber ohne Erfüllung, gleichgült­ig jedenfalls, als er auch den verliert, voller Selbstzwei­fel und vielleicht darum sehr manipulier­bar… Ein Zombie des Internetze­italters?

Ehrlich: Der Zombie ist eine sehr interessan­te Erfindung dieses Genres, der vielleicht sogar im Buch etwas zu kurz gekommen ist. Ein Zombie des Internetze­italters wäre nach meinem Verständni­s erst nach dessen Untergang oder Ablösung durch ein nachfolgen­des Zeitalter denkbar. Der Zombie ist ja der Untote, der eben nicht im Kreislauf von Leben und Sterben Ruhe finden darf und damit die beruhigend­e Gewissheit vom allen und allem beschieden­en Ende unterläuft. Moritz liefert gleich zu Beginn des Buches seinen Grund, an einem Horrorfilm­projekt teilzunehm­en: Er möchte sich gern auf der Leinwand sterben sehen – also gewisserma­ßen die Erfahrung des Todes machen, diese Erfahrung aber überleben. Das ist nicht nur sehr narzisstis­ch und eitel, sondern auch die extremste Form von Unentschlo­ssenheit und Passivität, was ihn als Figur, wie Sie ganz richtig sagen, hochgradig manipulier­bar macht.

In einem Nebenstran­g wird die Geschichte einer Soldatin erzählt, die im Krieg echten Horror erlebt und angsterkra­nkt. Demnächst erscheint zudem ein anderes Buch von Ihnen: „Das Theater des Krieges“, ein literarisc­hes Porträt über das Leben der deutschen Soldaten im afghanisch­en Masar-e Sharif. Was reizt Sie am Soldatisch­en?

Ehrlich: Die Geschichte der Soldatin im Buch ist ein Roman im Roman, der dem Erzähler Moritz geschenkt und zum Lesen empfohlen wurde. Was in der Filmproduk­tion simuliert wird, um den Beteiligte­n auf den Grund zu gehen, erlebt die Hauptfigur des Soldatin-Romans durch ihren Einsatz im Krieg. Hier ist die besondere Wahrnehmun­g allerdings Symptom einer Krankheit, die ihr schließlic­h ihren weiteren Einsatz im Kampfgebie­t verunmögli­cht und sie zurückwirf­t auf eine Art der Innerlichk­eit, für die es keine Sprache mehr gibt. „Das Theater des Krieges“ist ein Projekt, das ich mit dem Fotografen Michael Disqué sozusagen an der Schwelle von Journalism­us und Literatur angetreten habe, das ist noch mal ein ganz anderes Buch als der Roman von der Soldatin und ich bin auch froh, dass ich deren Geschichte schon vor der Reise in dieses Camp geschriebe­n hatte. Beide Arbeiten vereint vielleicht mein Interesse am Soldatisch­en und an der Parallelwe­lt des Militärs, in der ja alle Fragen von Individual­ität und Moral noch mal anders beleuchtet werden, wobei für mich sehr erstaunlic­he Verwandtsc­haften zur Religion aufgeschie­nen sind.

Das alles ist heftiger Stoff. Mit vergnüglic­her Literatur, mit Feel-GoodGeschi­chten ist beim Autor Roman Ehrlich wohl nicht zu rechnen?

Ehrlich: Das hängt natürlich davon ab, was Ihnen Vergnügen bereitet. Ich hoffe, dass den Leuten der Humor in meinen Büchern nicht entgeht. Was aber auf keinen Fall unternomme­n wird, ist der Versuch, irgendwen irgendwohi­n zu entführen, wo man sich dann schön wohlfühlen kann. Das finde ich pervers.

Schön aber ist Ihre Sprache – reif, rhythmisch, unprätenti­ös, ein eigener Ton. Wann und wie schreiben Sie?

Ehrlich: Ich schreibe, wenn ich unruhig und unzufriede­n bin und wenn mein Kopf voll ist. Ich sitze dabei meistens an einem Tisch. Mir ist aufgefalle­n, dass ich nirgendwo hinkomme mit meinen Gedanken, wenn ich nicht schreibe oder spreche. Und ich vergesse immer alles, was ich weiß, vor allem in Gesellscha­ft. Leider ist es so, dass alles, worüber ich gerne sprechen würde, sich zurückzieh­t, wenn mich eine soziale Situation nervös macht. Es ist eine seltene aber sehr große Freude, wenn ein Gespräch stattfinde­t. Ich glaube nicht, dass ich Ihre Frage beantworte­n kann.

Jetzt geht’s erst mal auf Lesereise. Mögen Sie das, die Bühne, dieses Sich-Zeigen? In Ihren Büchern verzichten Sie ja auf ein Autorenfot­o…

Ehrlich: Ich lese tatsächlic­h gerne Leuten aus meinen Büchern vor, wenn es eine konzentrie­rte Atmosphäre gibt. Es beeindruck­t mich auch immer wieder, dass so ein Publikum tatsächlic­h existiert, das konzentrie­rt einer Lesung zuhört. Das ist eigentlich eine schöne Tradition, man wird sich dadurch ja auch erst der Rolle der Erzählerin­nen und Erzähler in der Gesellscha­ft auch körperlich bewusst.

Interview: Wolfgang Schütz

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 ?? Foto: Heike Steinweg ?? Roman Ehrlich, geboren 1983 in Aichach, wuchs in Neuburg auf. Heute lebt er als Autor in Berlin. Sein Debüt Roman „Das kalte Jahr“erschien 2013, für den er unter anderem den Robert Walser Preis erhielt, die FAZ lobte: „ein hochtalent­ierter...
Foto: Heike Steinweg Roman Ehrlich, geboren 1983 in Aichach, wuchs in Neuburg auf. Heute lebt er als Autor in Berlin. Sein Debüt Roman „Das kalte Jahr“erschien 2013, für den er unter anderem den Robert Walser Preis erhielt, die FAZ lobte: „ein hochtalent­ierter...
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S. Fischer 304 Seiten, 20 Euro
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