Offenbarung in der Abstellkammer
Corentin ist 27 und hat keinen klaren Lebensplan. Er lässt sich treiben und arbeitet als Hochzeitsfilmer bei seinem Patenonkel Yvan, der 25 Jahre älter ist. Die beiden sind ein eingespieltes Team und zwischen Mai und September im Dauereinsatz. Wer Hochzeiten filmt und ihre Vorbereitungen, der lernt die Menschen kennen. Sieht Unbeholfenheit und Berechnung, große Gefühle und große Traurigkeit, sieht festliche Fassaden und das wilde Gefühlschaos dahinter. Corentin entwickelt eine Obsession für Offenbarungen, seit ihn eine Braut, Aline, in eine Abstellkammer bittet, wo er mit seiner Kamera die bewegende Liebeserklärung an Alines Mann aufzeichnet. Der Franzose Jean-Philippe Blondel zeigt sich auch in seinem neuen Roman „Die Liebeserklärung“als ein Meister des leichten und doch tiefsinnigen Erzählens, als ein feinsinniger Menschenbeobachter, der in schnörkelloser Sprache schreibt und sich mit viel Gespür sicher wie ein erfahrener Kameramann durch verschiedene Milieus der Gesellschaft bewegt. Seit seinem erfolgreichen Roman „6 Uhr 41“, in dem Blondel vom zufälligen Wiedersehen ehemaliger Liebender in einem Zug erzählt, gilt der 1964 geborene Autor als Garant für kunstvoll komponierte, eingängige und kompakte Romane. Auf Hochzeiten herrscht ein Reizklima, in dem nicht nur Familien aufeinandertreffen, sondern auch Wunsch auf Wirklichkeit trifft. Gewitter entladen sich – und für Überraschungen ist das Leben allemal gut. Michael Schreiner
Woran lag es? Vielleicht doch auch daran, dass die Regierungsloge im BolschoiTheater unglücklicherweise direkt über dem Platz der Schlagzeuger und Blechbläser lag. Dass die Musiker wohl auch vor Nervosität immer lauter spielten, regelrecht „fortissimo dröhnten“. Nach dem dritten Akt jedenfalls war die Regierungsloge leer, Josef Stalin gegangen. Zwei Tage später, am 28. Januar 1936, erscheint ein vernichtender Artikel über die Aufführung der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“in der Prawda und der Komponist Dmitri Schostakowitsch rechnet ab da mit seinem baldigen Tod. Jedoch. „Statt ihn umzubringen, hatten sie ihn leben lassen, und indem sie ihn leben ließen, hatten sie ihn umgebracht.“
Der englische Schriftsteller Julian Barnes erzählt in seinem Roman „Der Lärm der Zeit“das Leben des russischen Künstlers, der sich mit der Macht arrangierte, sich als Repräsentant des Sowjet-Regimes benutzen ließ, weil es in Stalins Russland nur zwei Arten Komponisten gab: „Die einen waren am Leben und hatten Angst, die anderen waren tot.“Schostakowitsch also darf weiterleben, wird mit Orden behängt, muss Angst haben. Um sich, um seine Familie, um seine Musik.
Der Roman selbst ist eine Komposition in drei Sätzen mit dem sich erinnernden Schostakowitsch als Solist: schlimmste Zeit, schlimmste Zeit, allerschlimmste Zeit; auf der Treppe, im Flugzeug, im Auto. Auf der Treppe wartet der junge Schostakowitsch nächtens auf seine Abholung, nachdem ihm im Artikel in der Prawda vorgeworfen wurde, ein grobes, primitives, und vulgäres Stück geschaffen zu haben, „Chaos statt Musik“. In der Wohnung nebenan liegen Frau und Kind, die hofft er ganz naiv vor den Schergen