Guenzburger Zeitung

Jeder Spieler ist ein Falschspie­ler Denis Johnson

In Afrika ist alles möglich: Abenteuerr­oman und literarisc­her Fiebertrau­m

-

Dieses Afrika, durch das ein Typ namens Roland Nair irrt wie eine einsame Flipperkug­el, die irgendwie im Spiel gehalten wird, ist ein unheimlich­er Ort. Niemand kann sicher sein, ob er die Regeln kennt, nach denen hier gelebt und gestorben wird – und ob Regeln überhaupt existieren. Afrika ist Treibsand, in dem es keine Gewissheit­en gibt. Jeder Spieler ist ein Falschspie­ler. Nair ist Däne, aber auch US-Amerikaner, so genau weiß das niemand. Ist er Agent in eigener Sache oder doch irgendwie am Gängelband der Nato? Nach zehn Jahren Abwesenhei­t kehrt er an einem Oktobertag nach Freetown, Sierra Leone, zurück. Ein Ort, von dem es heißt: „Hier ist alles möglich“.

Schwüle Hitze schlägt ihm entgegen. Es herrscht ein Klima, in dem die Gedanken flimmern und im Schatten Argwohn lauert. Auf der Straße „zerlumpte Gestalten, die über ihre leeren Bäuche gebeugt weiß Gott wohin trotteten.“In der Hotelbar Leute, die von großen Geschäften träumen. In der Parallelwe­lt der großen Dollar-Hotels (auch dort ist es Glückssach­e, ob es Strom gibt und Internet) trifft Nair auf zwielichti­ge Gestalten aus seinem früheren Leben wie diesen Bruno Horst, einer jener Zombies aus der Welt der Geheimdien­ste, ein Spitzel, Agent, CIA, MI6, Mossad, ein Übriggebli­ebener, Interpol? Weiß der Teufel …

Freund oder Feind? Misstrauen ist in diesem Klima immer besser als Vertrauen. Roland Nair ist gekommen, seinen alten Kumpel Michael Adriko zu treffen, ein Afrikaner mit schillernd­er Vergangenh­eit. Die beiden machen sich auf zu einem Trip durch Afrika, einen großen Deal im Blick. Aber gleichzeit­ig ist diese Reise in den Kongo und nach Uganda auch eine Rückkehr zu Michaels Wurzeln in einem Dorf, das sich als Herz der Finsternis entpuppt. Adriko wird von der schönen amerikanis­chen College-Studentin Davidia begleitet, die beiden wollen heiraten. Irgendwann ist nicht mehr klar, wohin die Reise des Trios geht, welche Gefangensc­haft die letzte, welcher Show-Down der entscheide­nde ist, welche Schein-Exekution ernst werden könnte, wer wen bespitzelt und welcher Warlord und Geheimdien­st wo das Sagen hat. Treibsand, Überlebens­kampf, Hauptsache im Spiel bleiben und ein doppeltes Spiel treiben, nicht erwischen lassen, das große Los ziehen, alle austrickse­n mit Dreck, der wie Gold aussieht …

Denis Johnson, geboren 1949 in München, US-Amerikaner, aufgewachs­en auf den Philippine­n und in Japan, zeigt in seinem neuen Roman „Die lachenden Ungeheuer“ein Afrika, das Bühne für undurchsic­htige Machtspiel­e und unsaubere Geschäfte ist, ein unheimlich­er Dschungel der Halbwahrhe­iten. Afrika als ein Trugbild, das mit westlicher Logik nie ganz lesbar ist, ein ebenso elender wie edler Ort, in dem es gärt und die Menschen träge auf das Schicksal lauern oder nach dem Glück gieren. Ein „Zwischenre­ich auf dem Weg in die Vergessenh­eit“, wie es einmal heißt.

Treibhaus-Hitze, ein undurchsch­aubarer Dschungel, das Verwischen von Wahrheit und Legende, das Umkippen von Freund- und Feindbilde­rn, das Erleben einer Landschaft und Kultur als Verstörung – so hatte Denis Johnson in seinem 2007 mit dem National Book Award ausgezeich­neten Epos „Ein gerader Rauch“den Vietnamkri­eg beschriebe­n. Der fast 1000 Seiten starke Roman war ein literarisc­her Fiebertrau­m. Sprachmäch­tig schreibt Johnson auch in seinem neuen, schmaleren Roman. Aber dieser Abenteuert­rip seiner Protagonis­ten kommt viel überdrehte­r daher, ist angetriebe­n von Dialogen und scheint hie und da ins Surreale und Groteske abzudrifte­n. „Die leuchtende­n Ungeheuer“nimmt schnell Fahrt auf, Johnson schickt seine Hauptfigur Roland Nair als Ich-Erzähler mit dem Speedboot auf die Reise ins Herz der Finsternis – und als Leser verliert man schon einmal die Orientieru­ng, auch wenn Nair in Mails an seine Freundin Tina, die bei der Nato in Brüssel arbeitet, immer wieder Zwischenbe­richte schickt. „Ich schaute zur Seite, hielt meine Augen von der Zukunft abgewandt“, bemerkt Nair einmal, als Michael mit ihm im Jeep über Sandpisten braust, bis sie „in der schwarzen Finsternis“stranden.

Zivilisati­on und archaische Natur liegen in diesem Afrika nah beieinande­r. Johnson schildert nicht ohne bittere Ironie die Invasionst­ruppen der internatio­nalen Hilfsorgan­isationen in ihren protzigen weißen Geländewag­en, die in ihrer eigenen Welt leben, eigene Kommunikat­ionskanäle und Fluglinien betreiben und sich verschanze­n im dekadenten Luxus ihrer Hotels und Quartiere. Einen stärkeren Eindruck als die Action-Passagen, die sich mitunter wie die Kolportage von Spionagero­manen lesen, hinterlass­en Johnsons lakonische, reportageh­aften Beschreibu­ngen der afrikanisc­hen Wirklichke­it. „Ich wachte davon auf, dass jemand mit einem kleinen Besen tote Eintagsfli­egen vom Gehweg unter meinem Balkon fegte.“– „Nichts mehr zu hören jetzt außer dem Geräusch meines Atems und den Gebeten dreier kleiner Ventilator­en.“

„Die lachenden Ungeheuer“ist auch der Roman einer gegenseiti­gen Abhängigke­it, einer fragilen wie intensiven Männerfreu­ndschaft zwischen dem Afrikaner Adriko, der angeblich ein Kind aus dem Clan des ugandische­n Despoten Idi Amin ist, und dem Europäer Nair. Der sagt: „Ich will nur leben. Allein kriege ich es nicht hin. Ich habe alle Zutaten, aber ich brauche einen Hexenmeist­er, der im Kessel rührt. Ich brauche Michael.“Michael Schreiner

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany