Traum vom Kameraden
Timo F. Aufschlussreiche Einblicke in die rechte Szene
„Ich fühlte mich unendlich allein auf der Welt. Ein störender Fremdkörper in ihrer kleinen glücklichen Familie. Wie diese fetten Brummer, die so lästig um einen herumschwirrten und bei denen man froh war, wenn sie irgendwann tot auf der Fensterbank lagen. Ich war der Brummer.“
Timo wächst in prekären Familienverhältnissen auf. Die geliebte Mutter hält es meist nicht lange bei einem Mann aus, auch die jeweiligen Kinder halten sie nicht. Timo ist ihr Ältester und erlebt diverse mütterliche Versuche, eine Familie zu gründen. Und immer wieder fühlt er sich als Außenseiter. In der Schule kann er, pummelig wie er ist, im Sport nicht glänzen. Und dass er in anderen Fächern überdurchschnittlich gut ist, scheint seine Mutter nicht zu interessieren.
Kein Wunder, dass der Junge Familienersatz sucht, Nestwärme, eine Gruppe, in der er angesehen ist, gehört wird. Das alles glaubt er in der rechten Szene zu finden und später bei der NPD-Jugend. Er lässt sich mitreißen von den rechten Reden und vor allem von der aggressiven Musik, will ganz vorne mit dabei sein und opfert dafür auch denjenigen, der ihm eigentlich ein Freund war.
In seinem autobiografischen Berich beschreibt Timo F. sehr ehrlich, wie er immer tiefer in den rechten Sog gerät, wie er alle Skrupel beiseite wischt, weil er einfach dabei sein will. Wie er sich die rechten Kameraden zu neuen Idolen aufbaut. Wie er darauf abfährt, dass er endlich etwas zu sagen hat. Wie er sich in der Schule als provokativer Außenseiter inszeniert, als Typ, der sich nichts gefallen lässt – auch nicht von irgendeinem Lehrer. Timo mutiert vom braven Schüler zum rechten Revoluzzer mit den dazugehörenden Klamotten auf dem Leib und der aufpeitschenden Musik im Ohr. Zwar kann er gerade mal zwei Gleichaltrige für eine „Ortsgruppe“ gewinnen, aber die sind ihm treu ergeben. Es ist eine Karriere, wie man sie sich auch bei den Gefolgsleuten des IS vorstellen kann.
Nur eines unterscheidet Timos „Karriere“von anderen: Es ist seine Mutter, die ihn mit der rechten Szene in Verbindung gebracht hat. Als Jugendliche hatte sie sich wohl in der Skinhead-Szene bewegt und bis jetzt bringt Rechtsrock sie ins Schwärmen. Als Timo – um ihr zu gefallen – die braunen Black-MetalBands und ihre krude Blood-andHonour-Philosophie für sich entdeckt, unterstützt sie ihn. Doch Timos Weg zur NPD-Jugend kann sie, unpolitisch wie sie ist, nicht verstehen. Sie zieht sich von ihm zurück und überlässt ihn seinen rechten Freunden.
Wahrscheinlich wäre Timo noch heute in der Gruppe, wenn er nicht irgendwann erkannt hätte, dass diese Freunde ihn nur ausnützten, dass ihre Freundschaft ebenso verlogen war wie ihr Gesäusel von der Liebe zum Vaterland und den völkischen Sitten. Auch den Weg aus der Szene beschreibt Timo, ohne sich selbst zu schonen. Ganz freiwillig ist der Ausstieg nicht. Wegen Sachbeschädigung rückt die Polizei an und Timo gibt sich ausstiegswillig, um glimpflicher davonzukommen. Erst in Gesprächen mit dem Ausstiegshelfer, merkt der Jugendliche, wie sehr er sich verrannt hat. Dass seine Mutter ihn in dieser Zeit wieder einmal im Stich lässt, beschleunigt den Abschied von der rechten Szene.
Timos Geschichte bezeugt eindrucksvoll, wie verführerisch eine extreme Gemeinschaft für jugendlichen Außenseiter sein kann. Manchmal nervt seine Larmoyanz allerdings etwas, und man hat das Gefühl, dass er gerne in dem Bewusstsein schwelgt, ein Underdog gewesen zu sein. Trotzdem: Das Buch gibt interessante Einblicke in die rechte Szene und kann mit seiner Direktheit gleichaltrige Jugendliche erreichen.