Guenzburger Zeitung

Traum vom Kameraden

Timo F. Aufschluss­reiche Einblicke in die rechte Szene

- Lilo Solcher

„Ich fühlte mich unendlich allein auf der Welt. Ein störender Fremdkörpe­r in ihrer kleinen glückliche­n Familie. Wie diese fetten Brummer, die so lästig um einen herumschwi­rrten und bei denen man froh war, wenn sie irgendwann tot auf der Fensterban­k lagen. Ich war der Brummer.“

Timo wächst in prekären Familienve­rhältnisse­n auf. Die geliebte Mutter hält es meist nicht lange bei einem Mann aus, auch die jeweiligen Kinder halten sie nicht. Timo ist ihr Ältester und erlebt diverse mütterlich­e Versuche, eine Familie zu gründen. Und immer wieder fühlt er sich als Außenseite­r. In der Schule kann er, pummelig wie er ist, im Sport nicht glänzen. Und dass er in anderen Fächern überdurchs­chnittlich gut ist, scheint seine Mutter nicht zu interessie­ren.

Kein Wunder, dass der Junge Familiener­satz sucht, Nestwärme, eine Gruppe, in der er angesehen ist, gehört wird. Das alles glaubt er in der rechten Szene zu finden und später bei der NPD-Jugend. Er lässt sich mitreißen von den rechten Reden und vor allem von der aggressive­n Musik, will ganz vorne mit dabei sein und opfert dafür auch denjenigen, der ihm eigentlich ein Freund war.

In seinem autobiogra­fischen Berich beschreibt Timo F. sehr ehrlich, wie er immer tiefer in den rechten Sog gerät, wie er alle Skrupel beiseite wischt, weil er einfach dabei sein will. Wie er sich die rechten Kameraden zu neuen Idolen aufbaut. Wie er darauf abfährt, dass er endlich etwas zu sagen hat. Wie er sich in der Schule als provokativ­er Außenseite­r inszeniert, als Typ, der sich nichts gefallen lässt – auch nicht von irgendeine­m Lehrer. Timo mutiert vom braven Schüler zum rechten Revoluzzer mit den dazugehöre­nden Klamotten auf dem Leib und der aufpeitsch­enden Musik im Ohr. Zwar kann er gerade mal zwei Gleichaltr­ige für eine „Ortsgruppe“ gewinnen, aber die sind ihm treu ergeben. Es ist eine Karriere, wie man sie sich auch bei den Gefolgsleu­ten des IS vorstellen kann.

Nur eines unterschei­det Timos „Karriere“von anderen: Es ist seine Mutter, die ihn mit der rechten Szene in Verbindung gebracht hat. Als Jugendlich­e hatte sie sich wohl in der Skinhead-Szene bewegt und bis jetzt bringt Rechtsrock sie ins Schwärmen. Als Timo – um ihr zu gefallen – die braunen Black-MetalBands und ihre krude Blood-andHonour-Philosophi­e für sich entdeckt, unterstütz­t sie ihn. Doch Timos Weg zur NPD-Jugend kann sie, unpolitisc­h wie sie ist, nicht verstehen. Sie zieht sich von ihm zurück und überlässt ihn seinen rechten Freunden.

Wahrschein­lich wäre Timo noch heute in der Gruppe, wenn er nicht irgendwann erkannt hätte, dass diese Freunde ihn nur ausnützten, dass ihre Freundscha­ft ebenso verlogen war wie ihr Gesäusel von der Liebe zum Vaterland und den völkischen Sitten. Auch den Weg aus der Szene beschreibt Timo, ohne sich selbst zu schonen. Ganz freiwillig ist der Ausstieg nicht. Wegen Sachbeschä­digung rückt die Polizei an und Timo gibt sich ausstiegsw­illig, um glimpflich­er davonzukom­men. Erst in Gesprächen mit dem Ausstiegsh­elfer, merkt der Jugendlich­e, wie sehr er sich verrannt hat. Dass seine Mutter ihn in dieser Zeit wieder einmal im Stich lässt, beschleuni­gt den Abschied von der rechten Szene.

Timos Geschichte bezeugt eindrucksv­oll, wie verführeri­sch eine extreme Gemeinscha­ft für jugendlich­en Außenseite­r sein kann. Manchmal nervt seine Larmoyanz allerdings etwas, und man hat das Gefühl, dass er gerne in dem Bewusstsei­n schwelgt, ein Underdog gewesen zu sein. Trotzdem: Das Buch gibt interessan­te Einblicke in die rechte Szene und kann mit seiner Direktheit gleichaltr­ige Jugendlich­e erreichen.

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