Dort, wo immer Frühling ist
Jahreszeit Wir haben dem Frühjahr einen Tag Zeit gelassen, um anzukommen. Zum Winter gibt es kein Zurück mehr. Wie war der Start? Diesmal kommen ausgewiesene Experten zu Wort. Eine Spurensuche
In Neuburg beginnt der Frühling direkt nach dem Langenhaslacher Weg. In einer Linkskurve führt die Straße in die milde Jahreszeit – genauer gesagt, in den Frühlingsweg, der in einem Kreisel mündet und wieder zurück in den Langenhaslacher Weg führt. Ein kurzes Vergnügen also, könnte man meinen. Und tatsächlich kommen nicht einmal eine Handvoll Familien in den Genuss, in dieser Straße zu wohnen. Die Häuser sind so angelegt, dass jede Menge Platz zwischen den Grundstücken besteht, eventuell ist die freie Fläche sogar für weitere Gebäude in der Siedlung geeignet. Der Neuburger Frühling(sweg) scheint ausbaufähig.
Aber bis die verbliebenen Grundstücke irgendwann einmal zugebaut werden, blühen noch Gänseblümchen auf der Wiese neben dem großen, hellen Haus von Familie Kalchschmid.
Vor 15 Jahren hat sich die dreiköpfige Familie entschieden, in den Frühlingsweg zu ziehen. Damals war die Siedlung noch ein Neubaugebiet und die Kalchschmids waren nicht die ersten, die dort ihr Haus bauen wollten. Das Gebäude direkt hinter dem Kreisverkehr stand schon.
Anders, als man aufgrund des Namens vielleicht vermuten mag, ist der Frühlingsweg wie jede andere Straße auch: Der asphaltierte Boden ist einfach nur matt grau und die Wiese, die noch unbebaut zwischen zwei Grundstücken liegt, leuchtet grün wie jede herkömmliche Wiese zu dieser Jahreszeit auch. Im Hof von Rita Kalchschmid ist ein bisschen mehr los: Kleine Deko-Engelchen in Weiß und Silber finden auf einer Bank ihren Platz, ein Korb voller Blumen befindet sich direkt neben der Eingangstür und es gibt gemütliche Sitzgelegenheiten im überdachten Eingangsbereich. Ein paar Frühlingsgefühle kommen bei diesem Anblick schon auf.
„Aber das hat ja das Land so an sich, dass jetzt irgendwo etwas blüht“, sagt Kalchschmid und deutet auf den Blumenkorb. Sie hat be- reits Blumenzwiebeln gepflanzt und wartet jetzt auf Gänseblümchen und Osterglocken. Dass sie mit ihrem Mann Helmut und Sohn Dominik in diesen Weg mit den wenigen Häusern gezogen ist, war purer Zufall. Über den Namen habe sie sich noch nie Gedanken gemacht, gibt sie zu.
Auch bei Mirjam Hupfer war es Zufall, dass sie und ihr Mann vor etwa zwölf Jahren in diese Siedlung gezogen sind. „Aber ich finde, das ist ein schöner Straßenname“, sagt die 36-Jährige. Viele ihrer Besucher hätten das schon bemerkt und auch Hupfers Söhne lernen inzwischen, dass sie nicht in der kalten Winterstraße, sondern im milden Frühlingsweg wohnen. „Die Kinder üben das gerade mit den Jahreszeiten“, erklärt die Mutter. Das Haus der Hupfers wurde damals neu gebaut. Und ein bisschen Frühling kommt – auf der Suche nach der milden Jahreszeit – auch bei dieser Familie zum Vorschein: „Wir haben schon Radieschen gesät und Mairüben.“Die 36-jährige Mutter freut sich über das Wetter. Außerdem haben ihre Söhne schon kräftig im Garten mitgeholfen: Die Buben pflanzten ein eigenes kleines Beet mit Möhren an.
Der Günzburger Stadtteil Reisensburg hat gleich eine ganze Frühlingstraße zu bieten. Es gibt zwei Anwohner, die wirklich stolz darauf sind, in einem Haus in der Frühlingstraße zu wohnen: Gertrud und Karl Heim leben bereits seit 50 Jahren hier. Sie waren die ersten, die dort gebaut haben, wo nun die Frühlingstraße ihren festen Platz hat. „Damals war der Hang noch ganz frei“, erinnert sich der 85-Jährige und sieht die Straße hinab.
Obwohl seine Frau die Sommermonate dem Frühling vorzieht, wohnen sie sehr gerne in der Frühlingstraße. Jeden Tag gehen die beiden in der Umgebung spazieren, auch mal an der Donau. Für Gertrud Heim gibt es zwei Dinge, die ihr jetzt im Frühling außerordentlich gut gefallen: „Es ist schön hier. Gerade dann, wenn die ersten Bäume im Garten ausschlagen“, schwärmt sie und lächelt. Außerdem sei es toll, wenn sie auf der Liege hinter dem Haus entspannen kann: dort weht kein Wind.
Ein Anwohner in der Frühlingstraße hat offenbar noch nicht mitbekommen, dass die Weihnachtslichterkette am Busch vor dem Haus eigentlich ihre Schuldigkeit getan hat. Verhindert da vielleicht bereits die Frühjahrsmüdigkeit das Aufräumen? Der Nachbar dagegen geht fit in den Frühling, wie auf einen Blick zu erkennen ist: Ein Deko-Osterhasen und ein Blumentopf zieren dort bereits den Eingangsbereich.
Die Bewohner treffen ihre Vorbereitungen, sich wieder mehr draußen aufhalten zu können: In einigen Gärten liegt schon das Spielzeug der Kinder auf dem Rasen. Vor einer Hausfassade sind Pflastersteine und Holzplatten platziert. Theoretisch kann es jede Sekunde losgehen mit der Arbeit an der neuen Hofeinfahrt. Der Pavillon ist frisch lackiert, das Baumhaus wartet darauf, betreten zu werden. Das restliche Laub vom Herbst haben die Anwohner längst entfernt, den Gartenschlauch ausgerollt, die Hecken und Äste der Bäume bereits perfekt zugeschnitten. Der Frühling ist seit gestern da – kalendarisch jedenfalls. Aber es ist noch ein bisschen kalt und noch zu grau am Himmel. Auf geht’s: Der Frühling soll ein wenig Tempo machen und sich nicht noch mehr verspäten.