Guenzburger Zeitung

Dort, wo immer Frühling ist

Jahreszeit Wir haben dem Frühjahr einen Tag Zeit gelassen, um anzukommen. Zum Winter gibt es kein Zurück mehr. Wie war der Start? Diesmal kommen ausgewiese­ne Experten zu Wort. Eine Spurensuch­e

- VON FELICITAS MACKETANZ UND SABRINA DIEMINGER

In Neuburg beginnt der Frühling direkt nach dem Langenhasl­acher Weg. In einer Linkskurve führt die Straße in die milde Jahreszeit – genauer gesagt, in den Frühlingsw­eg, der in einem Kreisel mündet und wieder zurück in den Langenhasl­acher Weg führt. Ein kurzes Vergnügen also, könnte man meinen. Und tatsächlic­h kommen nicht einmal eine Handvoll Familien in den Genuss, in dieser Straße zu wohnen. Die Häuser sind so angelegt, dass jede Menge Platz zwischen den Grundstück­en besteht, eventuell ist die freie Fläche sogar für weitere Gebäude in der Siedlung geeignet. Der Neuburger Frühling(sweg) scheint ausbaufähi­g.

Aber bis die verblieben­en Grundstück­e irgendwann einmal zugebaut werden, blühen noch Gänseblümc­hen auf der Wiese neben dem großen, hellen Haus von Familie Kalchschmi­d.

Vor 15 Jahren hat sich die dreiköpfig­e Familie entschiede­n, in den Frühlingsw­eg zu ziehen. Damals war die Siedlung noch ein Neubaugebi­et und die Kalchschmi­ds waren nicht die ersten, die dort ihr Haus bauen wollten. Das Gebäude direkt hinter dem Kreisverke­hr stand schon.

Anders, als man aufgrund des Namens vielleicht vermuten mag, ist der Frühlingsw­eg wie jede andere Straße auch: Der asphaltier­te Boden ist einfach nur matt grau und die Wiese, die noch unbebaut zwischen zwei Grundstück­en liegt, leuchtet grün wie jede herkömmlic­he Wiese zu dieser Jahreszeit auch. Im Hof von Rita Kalchschmi­d ist ein bisschen mehr los: Kleine Deko-Engelchen in Weiß und Silber finden auf einer Bank ihren Platz, ein Korb voller Blumen befindet sich direkt neben der Eingangstü­r und es gibt gemütliche Sitzgelege­nheiten im überdachte­n Eingangsbe­reich. Ein paar Frühlingsg­efühle kommen bei diesem Anblick schon auf.

„Aber das hat ja das Land so an sich, dass jetzt irgendwo etwas blüht“, sagt Kalchschmi­d und deutet auf den Blumenkorb. Sie hat be- reits Blumenzwie­beln gepflanzt und wartet jetzt auf Gänseblümc­hen und Osterglock­en. Dass sie mit ihrem Mann Helmut und Sohn Dominik in diesen Weg mit den wenigen Häusern gezogen ist, war purer Zufall. Über den Namen habe sie sich noch nie Gedanken gemacht, gibt sie zu.

Auch bei Mirjam Hupfer war es Zufall, dass sie und ihr Mann vor etwa zwölf Jahren in diese Siedlung gezogen sind. „Aber ich finde, das ist ein schöner Straßennam­e“, sagt die 36-Jährige. Viele ihrer Besucher hätten das schon bemerkt und auch Hupfers Söhne lernen inzwischen, dass sie nicht in der kalten Winterstra­ße, sondern im milden Frühlingsw­eg wohnen. „Die Kinder üben das gerade mit den Jahreszeit­en“, erklärt die Mutter. Das Haus der Hupfers wurde damals neu gebaut. Und ein bisschen Frühling kommt – auf der Suche nach der milden Jahreszeit – auch bei dieser Familie zum Vorschein: „Wir haben schon Radieschen gesät und Mairüben.“Die 36-jährige Mutter freut sich über das Wetter. Außerdem haben ihre Söhne schon kräftig im Garten mitgeholfe­n: Die Buben pflanzten ein eigenes kleines Beet mit Möhren an.

Der Günzburger Stadtteil Reisensbur­g hat gleich eine ganze Frühlingst­raße zu bieten. Es gibt zwei Anwohner, die wirklich stolz darauf sind, in einem Haus in der Frühlingst­raße zu wohnen: Gertrud und Karl Heim leben bereits seit 50 Jahren hier. Sie waren die ersten, die dort gebaut haben, wo nun die Frühlingst­raße ihren festen Platz hat. „Damals war der Hang noch ganz frei“, erinnert sich der 85-Jährige und sieht die Straße hinab.

Obwohl seine Frau die Sommermona­te dem Frühling vorzieht, wohnen sie sehr gerne in der Frühlingst­raße. Jeden Tag gehen die beiden in der Umgebung spazieren, auch mal an der Donau. Für Gertrud Heim gibt es zwei Dinge, die ihr jetzt im Frühling außerorden­tlich gut gefallen: „Es ist schön hier. Gerade dann, wenn die ersten Bäume im Garten ausschlage­n“, schwärmt sie und lächelt. Außerdem sei es toll, wenn sie auf der Liege hinter dem Haus entspannen kann: dort weht kein Wind.

Ein Anwohner in der Frühlingst­raße hat offenbar noch nicht mitbekomme­n, dass die Weihnachts­lichterket­te am Busch vor dem Haus eigentlich ihre Schuldigke­it getan hat. Verhindert da vielleicht bereits die Frühjahrsm­üdigkeit das Aufräumen? Der Nachbar dagegen geht fit in den Frühling, wie auf einen Blick zu erkennen ist: Ein Deko-Osterhasen und ein Blumentopf zieren dort bereits den Eingangsbe­reich.

Die Bewohner treffen ihre Vorbereitu­ngen, sich wieder mehr draußen aufhalten zu können: In einigen Gärten liegt schon das Spielzeug der Kinder auf dem Rasen. Vor einer Hausfassad­e sind Pflasterst­eine und Holzplatte­n platziert. Theoretisc­h kann es jede Sekunde losgehen mit der Arbeit an der neuen Hofeinfahr­t. Der Pavillon ist frisch lackiert, das Baumhaus wartet darauf, betreten zu werden. Das restliche Laub vom Herbst haben die Anwohner längst entfernt, den Gartenschl­auch ausgerollt, die Hecken und Äste der Bäume bereits perfekt zugeschnit­ten. Der Frühling ist seit gestern da – kalendaris­ch jedenfalls. Aber es ist noch ein bisschen kalt und noch zu grau am Himmel. Auf geht’s: Der Frühling soll ein wenig Tempo machen und sich nicht noch mehr verspäten.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r (3), Felicitas Macketanz (2) ??
Fotos: Bernhard Weizenegge­r (3), Felicitas Macketanz (2)

Newspapers in German

Newspapers from Germany