Guenzburger Zeitung

Für die Nachbarn war er der „Vampir“

Terror Der Attentäter von London führte zuletzt ein Leben in der Dunkelheit. Er trug viele Namen und war wegen kriminelle­r Taten mehrfach im Gefängnis. Aber wurde Khalid Masood dort auch radikalisi­ert?

- VON KATRIN PRIBYL

Es ist eine Art Puzzle aus tausenden von Teilen, das von den britischen Ermittlern zusammenge­setzt wird. Am Ende soll es die ganze Geschichte von Khalid Masood erzählen, dem 52-jährigen Attentäter von London. Wer war der in der Grafschaft Kent geborene Brite, der mehrfach vorbestraf­t war, laut Berichten erst spät in seinem Leben zum Islam konvertier­t ist und offenbar mit einer ganzen Reihe von Pseudonyme­n operiert hat?

Adrian Russell Ajao, so sein Geburtsnam­e, hatte am Mittwoch auf der Westminste­r Bridge mehrere Menschen umgefahren, bevor er beim Versuch, in den Westminste­rPalast einzudring­en, auf einen Polizisten einstach. Dann wurde Masood von Beamten erschossen. Vier Menschen starben bei seiner Attacke, darunter der attackiert­e Polizist, eine britische Lehrerin und ein Tourist aus den USA. Am späten Donnerstag­abend erlag zudem der 75-jährige Londoner Leslie Rhodes seinen Verletzung­en. Scotland Yard sprach gestern von 50 Verletzten, zuvor war noch von rund 40 die Rede gewesen. Zwei Opfer befanden sich bis gestern in einem kritischen Zustand.

Masood war ein Kriminelle­r und Polizei bekannt – von 1983 bis 2013 wurde er mehrfach wegen schwerer Körperverl­etzung, unerlaubte­n Waffenbesi­tzes und Störung der öffentlich­en Ordnung festgenomm­en und verurteilt, jedoch nicht wegen terroristi­scher Aktivitäte­n. So musste er im Jahr 2000 beispielsw­eise für zwei Jahre ins Gefängnis, nachdem der damals 35-Jährige mit einem Pubbesitze­r in einen schweren Streit geraten war und ihm mit einem Messer einen tiefen Schnitt im Gesicht zugefügt hatte. Vor Gericht verteidigt­e sich der dunkelhäut­ige Masood – damals nannte er sich Adrian Elms –, er habe vier Pints Bier getrunken und die Kontrolle verloren, weil er rassistisc­h angefeinde­t worden sei.

Vor einigen Jahren, so gab Premiermin­isterin Theresa May an, sei er aufgrund von Hinweisen auf eine mögliche extremisti­sche Gewaltbere­itschaft ins Visier des Inlandsgeh­eimdiensts MI5 geraten, aber eine „Randfigur“gewesen. Man nahm an, dass von ihm keine Gefahr ausging. Wann ist der Vater von drei Kindern konvertier­t? Wann hat er sich radikalisi­ert?

Aufgewachs­en bei seiner britischen, alleinerzi­ehenden Mutter interessie­rte er sich als Teenager und junger Erwachsene­r mehr für Fußball und Rugby als für Religion, in Pubs und wirkte nicht „sehr religiös“, wie sich ein Bekannter erinnert. Experten vermuten, dass erst einer seiner letzten Gefängnisa­ufenthalte seinen Umschwung ausgelöst haben könnte, doch noch laufen die Ermittlung­en. Nichtsdest­oder trotz: „Masood ist ungewöhnli­ch in der Hinsicht, dass sich nur eine Minderheit im Alter von über 30 Jahren radikalisi­ert“, so Shashank Joshi vom Forschungs­institut RUSI, das sich mit Fragen der nationalen und internatio­nalen Sicherheit befasst.

Klar ist, dass der Bodybuildi­ngFan ein Nomadenleb­en führte, sehr häufig seinen Wohnort wechselte, in mehreren Städten Großbritan­niens lebte und laut bislang unbestätig­ten Medienberi­chten ab 2005 für einige Jahre in Saudi-Arabien arbeitete.

In Birmingham, in London sowie „an anderen Orten im Land“habe die Polizei Razzien vorgenomme­n, teilte Scotland Yard mit. Insgesamt zehn Menschen befinden sich derzeit in Polizeigew­ahrsam. Die Ermittler versuchen, herauszufi­nden, ob Masood Komplizen und Hintermänn­er hatte. Die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) hatte am Donnerstag die Tat für sich reklamiert. Aber die Behörden gehen noch immer von einem Einzeltäte­r aus, der „vom internatio­nalen Terrorismu­s inspiriert wurde“.

Bis zum vergangene­n Jahr soll Masood mit seiner muslimisch­en Frau, die er 2004 geheiratet hat, und den Kindern in Englands zweitgrößt­er Stadt Birmingham gewohnt haben – der Hochburg der Islamisgin­g ten im Königreich. Doch vor den meisten Nachbarn hat er seinen Wandel offenbar gut verborgen. Er habe gerne im Garten gearbeitet, sei „zurückhalt­end“und ein Familienme­nsch gewesen. Zuletzt hat er Berichten zufolge in der Region West Midlands gelebt, über einem Laden mit anderen Männern. Nachbarn fanden ihn „seltsam“. In den Monaten vor dem Anschlag habe er nur noch nachts und in schwarzer Kleidung das Haus verlassen, was ihm den Spitznamen „Vampir“einbrachte, wie ein Nachbar sagte.

In einem aktuellen Lebenslauf, den ein Boulevardb­latt zitiert, beschrieb sich Masood selbst als „britisch“, „freundlich und zugänglich“sowie als guter Zuhörer. Darin behauptete er auch, einen Hochschula­bschluss in Wirtschaft zu haben. Beim Autoverlei­her Enterprise in Birmingham, wo er sich den als Waffe benutzten Wagen geliehen hatte, gab er als Beruf Lehrer an.

Vor der Tat übernachte­te Masood in einem Hotel in Brighton – blauer Teppich, helle Möbel, 59 Pfund inklusive Frühstück. Zum Abschied am Mittwoch sagte er zu den Hotelanges­tellten, er fahre heute nach London – als sei er ein Tourist. Die Hauptstadt aber, fügte Masood hinzu, sei nicht mehr so, „wie sie einmal war“. Dann fuhr er los ...

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Foto: Polizei London, dpa

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