Guenzburger Zeitung

„Es geht den Menschen besser als je zuvor“

Interview Bayerns Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner verteidigt die Reformpoli­tik des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Was die CSU-Politikeri­n Martin Schulz rät

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Ex-Bundesfina­nzminister Theo Waigel will eine Wählerinit­iative für Kanzlerin Angela Merkel gründen. Machen Sie da auch mit, Frau Aigner?

Da mache ich auf jeden Fall mit. Gerade in unsicheren Zeiten ist es wichtig, jemand so erfahrenen wie Angela Merkel an der Spitze zu wissen. Wir stehen vor großen internatio­nalen Herausford­erungen – etwa mit Blick auf Russland, die Ostukraine, die Türkei, die USA oder Großbritan­nien.

Merkel scheint auch Unterstütz­ung zu brauchen. SPD-Herausford­erer Martin Schulz dreht auf und zieht die Sympathie vieler sich zu kurz gekommen Fühlender auf sich. Werden Sie langsam nervös?

Ich habe das Gefühl, dass heute blumige Worte mehr zählen als überlegtes Handeln. Ich erinnere nur daran, dass die Finanzwelt nach dem Zusammenbr­uch der US-Investment­bank Lehman Brothers im Jahr 2008 in eine tiefe Krise gestürzt ist. In dieser schweren Situation für Deutschlan­d hat Frau Merkel mit großer Besonnenhe­it und eben nicht mit Hauruck-Aktionen reagiert und die richtigen Schritte eingeleite­t.

Doch diese von Merkel erzielten Leistungen scheinen nicht mehr zu zählen. Auch die Reformpoli­tik ihres SPDVorgäng­ers Schröder steht in der Kritik. Sind Sie bereit, dessen Agenda 2010 gegenüber Kritik aus der SPD zu verteidige­n?

Ja, natürlich. Dass es uns heute in Deutschlan­d wirtschaft­lich so gut geht, hat viel mit der Agenda zu tun. Die Betriebe haben Mitarbeite­r eingestell­t, weil und nachdem wir den verkrustet­en Arbeitsmar­kt reformiert haben. Aber viele nehmen das Erreichte inzwischen als selbstvers­tändlich hin. Dabei gibt es kein Auseinande­rdriften zwischen den gesellscha­ftlichen Schichten, die Teilhabe am Wachstum ist dank der hohen Beschäftig­ungsquote so groß wie nie. An die Adresse von Schulz sage ich: Man kann den Menschen auch einreden, dass es ihnen schlecht geht. Die beste Sozialpoli­tik ist, wenn die Menschen Arbeit haben. Sozial ist tatsächlic­h, was Arbeit schafft. Wir haben in Deutschlan­d so viele Beschäftig­te wie nie und in Bayern in vielen Regionen Vollbeschä­ftigung. Vor der Agenda waren doppelt so viele Menschen arbeitslos und von sozialer Unterstütz­ung abhängig. Das waren krisenhaft­e Zeiten, aber heute geht es den Menschen in aller Regel besser als je zuvor.

Die Botschaft scheint aber bei vielen Wählern nicht anzukommen. Stattdesse­n ist von Heerschare­n von Globalisie­rungsverli­erern die Rede. Derer nimmt sich nun der in der Sozialdemo­kratie zum Messias stilisiert­e Schulz an. Was setzen Sie dem entgegen?

Ich weiß, dass viele Menschen Angst vor der Globalisie­rung haben. Aber ich sehe es als meine Aufgabe an, ihnen diese Ängste zu nehmen statt sie darin zu bestärken: Bayern hat enorm von der Globalisie­rung und vom vereinigte­n Europa profitiert. Jeder vierte Arbeitspla­tz – im verarbeite­nden Gewerbe sind es sogar über 50 Prozent der Stellen – hängt im Freistaat vom Export ab. Globalisie­rung ist für uns also überlebens­wichtig und ein JobGarant.

Sie haben gerade Schottland mit einer Wirtschaft­sdelegatio­n besucht. Welche Sorgen macht Ihnen der Brexit?

Natürlich machen wir uns Sorgen wegen des Brexit. Großbritan­nien ist unser drittwicht­igstes Exportland nach den USA und China. Wir müssen deshalb möglichst schnell und reibungslo­s zu einer neuen Handelspar­tnerschaft finden. Was die Vereinigte­n Staaten betrifft hoffen wir, Trump von den Vorzügen des Freihandel­s zu überzeugen. Merkel hat bei ihrem Besuch bei Trump jedenfalls sehr clever Überzeugun­gsarbeit geleistet. Und sie hatte mit Siemens, BMW und Schaeffler Vertreter dreier bayerische­r Firmen dabei, die die Vorzüge der berufliche­n Ausbildung in Deutschlan­d aufgezeigt haben. Die duale Berufsausb­ildung ist eine der Stärken Deutschlan­ds. Das wird nicht genug herausgest­ellt. Welche Chancen haben junge Menschen heute?

Junge Menschen haben heute in Deutschlan­d beste Perspektiv­en. Viele können sich aussuchen, was sie beruflich machen wollen. Das ist mitnichten selbstvers­tändlich, wenn sie etwa auf die Jugendarbe­itslosigke­it in Griechenla­nd oder Spanien blicken. Dort sind über 40 Prozent der jungen Menschen ohne Job. Das muss auch Schulz einsehen. Doch er tut so, als würden junge Arbeitnehm­er von einem befristete­n Arbeitsver­hältnis ins andere geschoben. Und Schulz behauptet auch fälschlich­erweise, bei uns habe man nur Anspruch auf zwölf Monate Arbeitslos­engeld I. Er verschweig­t, dass ältere Menschen die Leistung länger beziehen können.

Warum verteidige­n Sie die Leistungen der Agenda-Politik von Gerhard Schröder gegenüber den Kritikern aus der eigenen Partei?

Ich will verhindern, dass wir noch einmal in Massenarbe­itslosigke­it abrutschen und Deutschlan­d wieder der kranke Mann Europas wird. Ich verstehe nicht, dass die eigenen SPD-Leute unter Schulz die Agenda zurückdreh­en wollen. Wir müssen soziale Leistungen, die wir verteilen, zunächst erwirtscha­ften. Auch der heilige Martin muss sich den Mantel erst einmal kaufen, ehe er ihn teilen kann.

Interview: Stefan Stahl

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Foto: Sven Hoppe, dpa

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