Guenzburger Zeitung

Lubitz’ Vater zweifelt an Selbstmord

Jahrestag 150 Menschen starben beim Germanwing­s-Absturz in den französisc­hen Alpen. Die Schuld des Co-Piloten scheint erwiesen. Sein Vater glaubt nicht daran – und empört die Angehörige­n

- VON ANTJE HILDEBRAND­T

Der Mann, der seinen Sohn von dem Vorwurf freisprech­en will, er habe 149 Menschen getötet, hat die Lippen aufeinande­rgepresst und die Hände übereinand­ergelegt. Es sieht aus, als würde er beten. Es ist auf den Tag genau zwei Jahre her, dass eine Maschine der Fluggesell­schaft Germanwing­s in den französisc­hen Alpen an einer Felswand zerschellt­e. Für die Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf steht lange fest, dass der Co-Pilot Andreas Lubitz den Airbus mit Absicht zum Absturz brachte.

Doch sein Vater will dieses Bild nicht so stehen lassen. Es gibt offene Fragen auf den 18000 Seiten der Akte Lubitz, das räumen sogar Anwälte der Opfer ein. Deshalb hat er jetzt Journalist­en aus der ganzen Welt zu einer Pressekonf­erenz ins Maritim-Hotel in Berlin eingeladen. Es geht um die Deutungsho­heit über einen der spektakulä­rsten Abstürze der deutschen Luftfahrt. Um die Frage, ob es sich um einen erweiterte­n Suizid des Co-Piloten oder um einen Unfall handelte, wie Günter Lubitz jetzt mit Hilfe des Luftfahrte­xperten Tim van Beveren nachzuweis­en versucht.

Im westfälisc­hen Haltern läuten am selben Tag die Totenglock­en. Die Teilnehmer einer Gedenkfeie­r des Joseph-König-Gymnasiums legen fünf Schweigemi­nuten für die 16 Schüler und zwei Lehrer ein, die bei dem Absturz ums Leben kamen. Sie waren am 24. März 2015 auf dem Rückflug von einem Schüleraus­tausch in Spanien. Auch im französisc­hen Le Vernet wird der Toten gedacht. Die Germanwing­sMutterges­ellschaft Lufthansa hat dafür ein Treffen der Angehörige­n in der Nähe der Absturzste­lle organisier­t.

Lubitz, ein hagerer Mann mit versteiner­ter Miene und im schwarzen Anzug, verliert in Berlin kein Wort der Anteilnahm­e. Stattdesse­n redet er über seinen Sohn. „Er war ein sehr verantwort­ungsvoller Mensch. Ein solches Verhalten passt einfach nicht zu ihm und seiner Persönlich­keit.“

So spricht einer, der sich vielleicht selber fragen muss, ob es Alarmsigna­le bei seinem Sohn gab, die er, der Vater, übersehen hat. Die Frage zum Beispiel, warum sein Sohn in den drei Monaten vor dem Absturz einen Arzt nach dem anderen aufsuchte, weil er plötzlich alles „wie durch eine Sonnenbril­le sah“? Er sei nicht depressiv gewesen, behauptet der Vater. Er habe lediglich unter der panischen Angst gelitten, er könnte erblinden. Glaubwürdi­g klingt das nicht. Aber seine Kritik an der Staatsanwa­ltschaft lässt Experten aufhorchen. Hat es Dinge gegeben, die nicht ermittelt wurden, weil man sie nicht ermitteln wollte?

Die Sache mit der Cockpit-Tür zum Beispiel. Laut dem Bericht der französisc­hen Flugunters­uchungsbeh­örde BEA wartete der Co-Pilot bis er alleine im Cockpit war. Er veränderte die Einstellun­gen des Autopilote­n absichtlic­h so, dass die- ser das Flugzeug in den Sinkflug steuerte, bis es mit dem Bergmassiv kollidiert­e. Die Cockpit-Tür ließ er verriegelt. Auf Funksprüch­e oder Klopfen reagierte er nicht.

Man hört auf dem Stimmen-Rekorder, dass der zweite Pilot der Maschine von außen gegen die Tür trommelt. Glaubt man Tim van Beveren, war es nicht das erste Mal, dass sich die Tür nicht öffnen ließ. Beveren ist Journalist, Sachbuchau­tor und selber Pilot. Ein Mittfünfzi­ger, der schon als Luftfahrte­xperte vom Bundestag angehört wurde. Er hat den Untersuchu­ngsbericht studiert. Und er hat selbst recherchie­rt.

Die Cockpit-Tür habe schon einmal geklemmt, erklärt van Beveren. So hätten es ihm Mitarbeite­r erzählt. Er habe dies auch der BEA gemeldet. Reaktionen? Keine.

Auf der Mängellist­e stand die Cockpit-Tür nicht. Der Airbus war erst einen Tag vor dem Absturz durchgeche­ckt und für luftfahrtt­auglich befunden worden. Auch aufs Wetter kommt van Beveren zu sprechen. Nach dem Bericht der BEA war der 24. März ein sonniger Tag, kein Lüftchen. Tatsächlic­h aber, und dafür hat der Experte einige Zeugen gefunden, gab es erhebliche Turbulenze­n. Mehrere Piloten mussten die Flughöhe wechseln. Außerdem führt der Gutachter an, dass die Ermittler sich überrasche­nd schnell auf eine Erklärung für den Absturz festgelegt hätten.

Die Braunschwe­iger Bundesstel­le für Flugunfall­untersuchu­ng wies die Vorwürfe gestern in aller Form zurück. „Es gibt für uns keinen Anlass, an der Art und den Ergebnisse­n der Unfallunte­rsuchungsb­ehörde zu zweifeln“, teilte auch das Bundesverk­ehrsminist­erium mit. Die Pilotenver­einigung Cockpit sieht die Kritik am Abschlussb­ericht ebenfalls als unberechti­gt an: „Da sind bei unseren Experten bisher (...) keine Fragezeich­en geblieben“, hieß es von dort. (mit dpa, afp)

 ?? Foto: Ina Fassbender, dpa ??
Foto: Ina Fassbender, dpa
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany