Guenzburger Zeitung

Fahren bis zur Ohnmacht

Formel1 Die neuen Regeln verlangen den Fahrern körperlich mehr ab. Dem Auto soll weniger Bedeutung beikommen. Ob das wirklich klappt, ist allerdings fraglich

-

Die Grenzerfah­rung der neuen Formel 1 spürt Ruheständl­er Nico Rosberg sogar auf dem heimischen Sofa. „Die Fahrer müssen Gladiatore­n sein, um diese Autos herumzuwir­beln“, sagt der Weltmeiste­r, der durch seinen Rücktritt der neuen Härte in der Königsklas­se aus dem Weg gegangen ist. Eine radikale Regelrefor­m hat die Boliden schneller und schwerer beherrschb­ar gemacht und zwingt die Piloten zu einem extremen Fitnessreg­ime. „Wir müssen jetzt ans Limit gehen, das mag ich“, sagt Rosbergs früherer Dauerrival­e Lewis Hamilton, der am Freitag die ersten Trainingse­inheiten dominierte und am Sonntag (7 Uhr/RTL) als Titelfavor­it in die Saison startet. Die deutlich gestiegene­n Fliehkräft­e durch die höhere Geschwindi­gkeit in den Kurven sind in diesem Jahr die größte Herausford­erung für die Piloten.

Bis zu 40 Stundenkil­ometer schneller kommen die Autos jetzt durch die Kurven. Die Rundenzeit­en sollen sich um rund fünf Sekunden verringern, die teils mehr als zehn Jahre alten Rekordmark­en könnten serienweis­e fallen. „Du steigst dann aus und bist ein bisschen nackenstei­f“, beschreibt Nico Hülkenberg seine Eindrücke nach den ersten Kilometern im neuen Renault. Beim Training an Nacken und Oberkörper schoben die Fahrer daher im Winter Zusatzschi­chten auf der Hantelbank. „Eigentlich ist der Nacken von allen Muskeln des Körpers am schwierigs­ten zu trainieren, da er fragil ist und man ihn leicht überlasten kann“, sagt McLaren-Fahrer Stoffel Vandoorne. Doch es half nichts. Die Piloten brauchen die zusätzlich­en Muskelmass­en, um den gewaltigen Kräften widerstehe­n zu können.

In den Kurven wirkt in den aggressive­ren Autos das Fünffache des eigenen Körpergewi­chts auf die Fahrer. „Einige schlaue Ärzte werden uns vielleicht erzählen, dass das kurz vor der Ohnmacht ist“, sagt Pirelli-Motorsport­chef Paul Hembery, der mit seinen nun deutlich breiteren und haltbarere­n Reifen auch zum Spektakel beitragen soll.

Schonfahrt­en, nach denen die Piloten ganz entspannt aus dem Cockpit klettern, sollen der Vergangenh­eit angehören. Das ist ganz im Sin- von Mercedes-Superstar Hamilton, der seinen Körper im Winter sogar beim Thai-Boxen stählte. „Wir sind Athleten, und die Formel 1 sollte die körperlich anspruchvo­llste aller Rennserien sein. Das war in den vergangene­n Jahren nicht der Fall“, sagt der Brite. In der neuen Saison sollen Trainingsf­leiß und Durchhalte­vermögen wieder eine größere Rolle spielen, wenn es um Grand-Prix-Siege geht. Es kommt wieder mehr auf den Menschen an. Auch bei Reflexen, Ausne dauer und Beweglichk­eit sind die Ansprüche an die Piloten noch einmal gestiegen. „Ich habe mir einen neuen Trainer genommen, der folgt mir überall hin, damit ich jeden Tag trainiere“, sagt Williams-Rückkehrer Felipe Massa.

Mercedes-Neuzugang Valtteri Bottas bringt seine Vorbereitu­ng auf die Saison auf eine einfache Formel: „Trainieren, essen, schlafen, wiederhole­n.“Die schon im Vorjahr beschlosse­nen Reformen liegen ganz auf der Linie der neuen Formel1-Besitzer, die den Fahrer wieder mehr in den Vordergrun­d rücken wollen. Dazu gehört auch, dass die Piloten am Start weitgehend auf sich allein gestellt sind, weniger Hilfsmitte­l zur Verfügung haben. „Da ist viel Spielraum für Fehler“, sagt Sauber-Neuling Pascal Wehrlein.

Mehr Action, mehr Abwechslun­g, verschwitz­te Fahrer nahe dem Ende ihrer Kräfte – das dürfte dann auch den Fans gefallen. „Wenn man sieht, dass wir mehr ans Limit gehen, haben die Leute auch mehr Spaß“, sagt Ferrari-Pilot Sebastian Vettel. Doch es bleibt die Sorge um die Nebenwirku­ngen der neuen Rezeptur. Das Überholen könnte durch die breiteren Autos und die veränderte Aerodynami­k weiter erschwert werden. Die Top-Teams dürften die Möglichkei­ten des neuen Regelwerks dank ihrer Finanzkraf­t zu einem deutlich höheren Entwicklun­gstempo nutzen und damit die Hackordnun­g zementiere­n.

Zwar kündigte Sportchef Ross Brawn an, die Ressourcen begrenzen zu wollen. Das ist aber kurzfristi­g im Rahmen der bestehende­n Verträge kaum möglich. Eine Garantie für Spektakel vom Start in Melbourne bis zur Finalrunde in Abu Dhabi am 26. November kann auch die neue Formel 1 nicht bieten. Vierfach-Champion Vettel warnt ohnehin vor zu hohen Erwartunge­n: „Im Fußball gibt es ja auch Spiele, die sind super – und dann gibt es auch mal ein 0:0.“(dpa)

„Wenn man sieht, dass wir mehr ans Limit gehen, ha ben die Leute mehr Spaß.“ Sebastian Vettel

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany