Lügen, Sex und die Macht der Bilder
Mario Vargas Llosa Der Literaturnobelpreisträger verarbeitet in seinem jüngsten Roman ein persönliches Scheitern – und beschreibt, was passiert, wenn Medien mit der Macht ins Bett gehen
Bilder sind mächtige Waffen. Denn Bilder können mit ihrer unmittelbaren Wirkung auf unser Gefühlszentrum das Ansehen einer Person oder einer Sache in der öffentlichen Meinung mit einem Schlag radikal erhöhen – oder komplett vernichten. Macht hat, wer die Verbreitung von Bildern kontrolliert. Damit ist das Leitmotiv des jüngsten Romans „Die Enthüllung“des peruanischen Literaturnobelpreisträgers von 2010, Mario Vargas Llosa, skizziert.
Ein dubioser Journalist erpresst einen reichen Geschäftsmann mit Fotos einer Sexparty, damit dieser in sein Sensationsblatt investiert. Die Sache geht nicht gut aus – vor allem nicht für den Erpresser. Denn Ort und Zeit der Handlung sind das Peru in den 1990er Jahren. Und der sogenannte Journalist ist nur die Marionette eines scheinbar allmächtigen Geheimdienstchefs, der im Hintergrund die Herrschaft des Präsidenten sichert – mit Mord, Folter und einem Revolverblatt, das auf alle schießt, die diesem Machtbereich zu nahe treten …
Das Buch ist ein routiniertes Alterswerk mit einigen Makeln und, zumindest in Teilen, eine Begleichung von offenen Rechnungen Vargas Llosas, der im Jahr 1990 selbst nach dem höchsten Staatsamt in seiner Heimat gegriffen hat und dabei in der Stichwahl an Alberto Fujimori gescheitert ist. Jenem Fujimori, der nach seinem Wahlsieg radikale neoliberale Wirtschaftsreformen durchsetzte und im Kampf gegen die linksgerichtete Terrororganisation Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) das Land zur Diktatur umformte. Wegen seiner Verbrechen aus dieser Zeit sitzt Fujimori inzwischen im Gefängnis.
Vielen europäischen Lesern dürfte diese Vorgeschichte nicht allzu geläufig sein. Aber erst diese Folie schlingt zwei disparate Erzählstränge zu einem leidlich spannenden Roman zusammen. Ohne die während dieser Jahre in der Oberschicht von Lima herrschende Stimmung, zwischen Angst vor Entführungen, Terror und politischer Willkür, bliebe, was der Verlag ernsthaft als „Erotisches Kammerspiel“bewirbt, vollkommen ohne Anschluss. Denn der inzwischen 82-jährige Vargas Llosa vereint die politische Intrige mit der Geschichte einer weiteren Affäre: Die Frau des erpressten Bauunternehmers entdeckt mit ihrer besten Freundin die lesbische Liebe. Sexueller Eskapismus aus Frust über das Eingesperrtsein in einen goldenen Käfig.
Jawohl, alter Mann schreibt über sexuelle Höhepunkte zweier Frauen; als Krönung gibt es sogar noch Sex zu dritt. Leider sind alle Befürchtungen in puncto Fremdschämgefahr berechtigt: „Sie wälzten sich hin und her, streichelten einander die Brüste, küssten sie, dann die Achseln, den Bauch, fingerten an der Scheide der anderen, und sie spürten es dort unten pochen in einer Zeit ohne Zeit, die so intensiv war wie unendlich.“Nur ein Satz aus den mit banaler und unnötiger Deutlichkeit geschilderten Szenen.
Viel lieber hätte man gelesen, wenn der Autor seiner Version einer Epoche der peruanischen Geschichte, an der er selbst mitgeschrieben hat, mehr Platz zur Entfaltung eingeräumt hätte. So bleibt viel angedeutet oder lehrbuchhaft erklärt. Dennoch: Es gibt auch in diesem Vargas Llosa schnell und treffend skizzierte Personen wie den Schlagersänger Juan Peineta, die geschickt gemachte, spannungssteigernde Zusammenführung episodenhafter Erzählstränge – und, immerhin, die Ehrenrettung des Berufsstands der Journalisten. Für das Etikett Nobelpreisträger ist dies aber etwas wenig.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp, 301 S., 24 ¤