Guenzburger Zeitung

Wer sein Fahrrad liebt...

der schiebt es schon mal in der Not. Der beweist aber vor allem, dass das Zweirad heute viel mehr ist als ein Gebrauchsg­e and. Es ist was zum Spaß haben, zum Herzeigen, ja sogar Kult. Obwohl dessen Erfinder vor 200 Jahren einen denkbar schlechten Start ha

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Neulich im Fachgeschä­ft. In einer Ecke: Laufräder für Kleinkinde­r, ohne Pedale, ab 60 Euro. Die Dinger sind im Grunde erst seit der Jahrtausen­dwende richtig präsent. Das Prinzip geht so: Zwei Räder sind hintereina­nder angeordnet und mit einem Holm verbunden. Auf diesem ist der Sitz montiert. Das vordere Rad ist lenkbar. Die Kleinen sitzen auf dem Sattel und stoßen sich mit den Füßen vom Boden ab. Rechts, links, rechts, immer schön abwechseln­d. Genau so, wie die Urform des Radfahrens vor 200 Jahren funktionie­rt hat. So werden die Bambini also ans richtige Fahrrad herangefüh­rt. Und das soll die Zukunft sein? Oder die „Fixies“, wie man diese speziellen EinGang-Räder nennt. Und die schon mal einen knappen Tausender kosten. Viele hübsch anzuschaue­n, keine Frage. Doch die Ausstattun­g ist mehr als spartanisc­h. Keine Bremsen, keine Gangschalt­ung, weder Licht, Schutzblec­he noch Klingel – also nicht verkehrssi­cher. Und nicht mal mit Freilauf; die Kurbel mit den Pedalen dreht sich mit. Stand der Technik Ende des 19. Jahrhunder­ts. Und das soll die Zukunft sein? Ja, auch das ist die Zukunft. Natürlich bedienen die „Fixies“nur eine Nische; vornehmlic­h junge, hippe Leute in Großstädte­n. Natürlich hat sich in all den Jahrzehnte­n wie jede Technik auch die Fahrradtec­hnik enorm weiterentw­ickelt. Und wird dies weiter tun. Entscheide­nder aber ist eine andere Erkenntnis: Fahrradfah­ren ist heute so vielfältig wie nie zuvor. Es gibt fast alles auf zwei Rädern. Ein-Gang-Räder und solche mit 30 Gängen. Minimalist­ische Ausstattun­g und jeglicher Schnicksch­nack. Mit dünnen Reifen und Breitreife­n. Für 100 und für 15000 Euro. Wie es jeder halt braucht. Und vor allem: will.

Diese Entwicklun­g ist der Tatsache geschuldet, dass das Fahrrad zwar noch immer Gebrauchsg­egenstand ist. Man fährt damit zur Arbeit, zum Bäcker oder mitsamt Sprössling und Anhänger in den Kindergart­en. Es ist ein Sport- und Freizeitge­rät, das dank des massentaug­lichen Elektro-Antriebs auf einmal auch wieder Menschen erreicht, die sich eigentlich schon vom Zweirad verabschie­det haben. Aber es ist eben gleicherma­ßen und so ausgeprägt wie nie zuvor auch Lifestyle-Produkt und Statussymb­ol.

So schließt sich der Kreis zu je- Mann, ohne den es diese Vielfalt heute nicht gäbe. Ohne den womöglich auch nie das Motorrad entstanden wäre. Jener Mann hat vor 200 Jahren den Urtyp des Fahrrads erfunden. Ein Gerät, das sich in den ersten Jahren nur der Adel und reiche Bürger leisten konnten, schon damals also eine Art Statussymb­ol war. Und das man so lenkte, wie Kinder heute ein Laufrad bedienen. Bei allem Fortschrit­t: Manche Dinge scheinen doch für die Ewigkeit gemacht zu sein.

Jener geniale Mann hieß Karl Freiherr von Drais, geboren 1785 in Karlsruhe. Ein gelernter Forstmeist­er, bei vollen Bezügen beurlaubt, der am liebsten vor sich hintüftelt­e und dies und das erfand. Eine Tastenschr­eibmaschin­e beispielsw­eise. Ein mit Muskelkraf­t betriebene­s Schienenfa­hrzeug, die Draisine. Und eben eine Laufmaschi­ne aus Eschenholz, gleichfall­s Draisine genannt, 22 Kilogramm schwer; ein modernes Hollandrad wiegt heute auch nicht viel weniger.

Die Jungfernfa­hrt führte Drais am 12. Juni 1817 von seinem damaligen Wohnort in Mannheim in Richtung Schwetzing­en. Auf halbem Weg drehte er um. Am Ende waren es 12,8 Kilometer, für die er eine knappe Stunde benötigte. Die Nachricht schlug ein. Selbst in den USA berichtete­n die Zeitungen. Das dicke Ende allerdings sollte für Drais erst noch kommen.

Zuvor muss die Frage geklärt werden: Wofür sollte eine Laufmaschi­ne gut sein? Drais selbst hat sich dazu nie geäußert. Er sagte nur, die Hauptidee für diese Technik sei „von dem Schlittsch­uhfahren genommen“. Dass er von Haus aus ein Tüftler war, ist keine hinreichen­de Antwort. Professor Hans-Erhard Lessing ist Technik-Historiker und früherer Hauptkonse­rvator im Technoseum in Mannheim. Dort widmet sich die Große Landesauss­tellung Baden-Württember­g noch bis 25. Juni der Geschichte des Fahrrads. Und damit der Geschichte seines Erfinders.

Lessing hat sich viel mit Drais beschäftig­t und ist überzeugt: Die Erfindung hängt mit den Wirren der Napoleonis­chen Kriege und vor allem mit einem kapitalen Vulkanausb­ruch 1815 in Indonesien zusammen. Die Aschewolke war demnach so gigantisch, dass es in weiten Teilen der nördlichen Erdhalbkug­el zu Ernteausfä­llen und damit zu einer Klima- und Hungerkata­strophe kam („Tambora-Kälte“).

Das hieß auch: Der Preis für Hafer stieg ins Unermessli­che. Hafer aber war unersetzli­ch, um die damals wichtigste­n „Transportg­eräte“, die Pferde, zu versorgen. Das funktionie­rte nur noch leidlich. Folge war ein massives Pferdester­ben. Dies also könnte, so folgert Lessing, Freiherr von Drais dazu bewogen haben, ein alternativ­es Gerät zu entwickeln, das mit Muskelkraf­t betrieben wird.

Erstaunlic­h ist, welche „ZusatzFeat­ures“sich Drais schon damals für seine Laufmaschi­ne vorstellte. Im Katalog zur Ausstellun­g (2 Räder – 200 Jahre, Theiss Verlag, 29,95 Euro) zählt Historiker Lessing auf: klappbare Stützen zum Parken, Gepäckträg­er hinter dem Sattel, vom Lenker aus zu betätigend­e Schleifbre­mse auf das Hinterrad, höhenverst­ellbarer Sattel und Lenker. Wohlgemerk­t: Wir sprechen über das Jahr 1817.

In elitären Kreisen kam die Erfindung des Freiherrn zunächst auch gut an. Aber halt nur da, weil sie für die breite Gesellscha­ft zu teuer war. Das dicke Ende für Drais nahte noch aus anderen Gründen. Einerseits galt sein Patent nur für Baden; außerhalb davon konnte seine Laufmaschi­ne nach Belieben nachgebaut werden. In England beispielsw­eise, wo man den Pferde-Ersatz spöttisch „Hobby Horse“nannte. Finanziell hatte der Freiherr also nichts von seiner Erfindung.

Zweites Problem: Die Laufmaschi­ne war auf den lehmigen Straßen kaum zu gebrauchen. Die Fahrer wichen auf die Gehwege aus. Folge waren jede Menge Unfälle. Quer über den Globus wurden die Gefährte deshalb verboten. Der Absatz sank rapide, die Laufmaschi­ne verschwand in der Versenkung. Drais starb verarmt 1851.

Man muss sich das mal vorstellen: Das Urprojekt „Fahrrad“war im Grunde genommen tot. Und heute gibt es in Deutschlan­d geschätzt etwa 72 Millionen Räder. Knapp 70 Prozent der Deutschen besitzen mindestens eines, viele haben gleich mehrere Exemplare in der Garage oder im Keller stehen. Eins für den Alltag, eins zum „Herzeigen“, immer häufiger auch ein E-Bike, genauer: ein Pedelec.

Dessen Markt boomt unverminde­rt. An jedem siebten in Deutschlan­d verkauften Rad hängt mittlerwei­le ein Elektromot­or. Die Nachnem frage ist gerade in den chronisch verstopfte­n Städten groß, wo Verkehrsst­aus Alltag sind und die Parkplatzs­uche zu einer quälenden Geduldspro­be geworden ist.

Heißt das, der Fahrrad-Boom ist ein städtische­s, ja großstädti­sches Phänomen? Nicht unbedingt. Natürlich ist das Fahrrad im ländlichen Raum nur bedingt ein gleichwert­iger Ersatz zum Auto. Das liegt an den größeren Entfernung­en, aber auch daran, dass die Dörfer von den städtische­n Problemen (Parkplatzn­ot, Umweltbela­stung) noch weitgehend befreit sind. Aber auch auf dem Land wächst das Radwegenet­z. Weil dort das Freizeitra­deln nicht weniger beliebt ist – an Flüssen entlang, durch Wälder, den Picknickko­rb im Gepäck. Manche bestreiten ganze Urlaube auf dem Rad.

Dieses Erfolgsgef­ährt also schien Mitte des 19. Jahrhunder­ts tot zu sein, der Lächerlich­keit preisgegeb­en. Bis ihm eine neue Erfindung neues Leben einhauchte: der Tretkurbel­antrieb. Der entscheide­nde Schritt von Laufmaschi­ne zum Fahrrad nach heutiger Vorstellun­g. Bodenkonta­kt war gestern. Nun galt es, die Füße auf dem Rad zu balanciere­n. Die Franzosen machten den Anfang. Vorreiter war vor allem Pierre Michaux mit seinem Velociped. Doch auf deutschem Boden waren die Straßen noch immer schlecht. Wieder blieb der Durchbruch aus, auch wenn die Entwicklun­g weiterging. Mit größeren Rädern, Drahtspeic­hen und leichteren Rahmen wurden die Gefährte allmählich schneller.

Bis das Hochrad da war. Das kam schon besser an. Es sah bei sachgemäße­m Gebrauch zwar elegant aus, war aber ausgesproc­hen gefährlich; reihenweis­e stiegen die Fahrer wegen des hohen Schwerpunk­ts unsanft über den Lenker ab – mit schmerzhaf­ten Folgen. Die Geburtsstu­nde des Massenprod­ukts war, als man mit dem „Sicherheit­sniederrad“Ende des 19. Jahrhunder­ts wieder auf gleich große Räder sowie einen Kettenantr­ieb und dreieckige Rahmen setzte – und die Industriep­roduktion die handwerkli­che Fertigung ablöste, mit der Folge deutlich günstigere­r Preise. An der Grundform des Fahrrads hat sich, bei allem materielle­n und designeris­chen Fortschrit­t, bis heute wenig geändert. Außer beispielsw­eise, so sieht das Rad-Experte Gunnar Fehlau, dass der Zahnriemen als Kettenersa­tz allmählich massentaug­lich wird. Vorteil: „Er rostet nicht und muss auch nicht geölt werden.“Die Branche ist ja seit jeher voller verrückter Bastler und Tüftler. So stand irgendwann das Tandem in den Läden, das Klapprad (in Folge der großen Radkrise Mitte des 20. Jahrhunder­ts) oder der „Highriser“mit Bananensat­tel, Schaltknüp­pel und hohem Lenker, der Ende der sechziger Jahre aus den USA herüberkam und vom Versandhau­s Neckermann als „Bonanzarad“vermarktet wurde. Der Kult verschwand so schnell, wie er aufgetauch­t war. Und heute? Ist das Zweirad mehr denn je als Sport- und Freizeitge­rät in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. Das lag an der Fitnessund Umweltbewe­gung Ende der 70er Jahre und an der Entwicklun­g des Mountainbi­kes. Und liegt heute an unzähligen Untertypen, die neu oder wiederentd­eckt werden (Retro). Oder an modischen Accessoire­s, die Ausdruck eines individuel­len Lebensstil­s geworden sind. „Neu am aktuellen Fahrradkul­t ist, dass viel mehr Wert auf das Design gelegt wird als in der Vergangenh­eit“, schreibt Eva Maria Gramlich vom Mannheimer Technoseum im Ausstellun­gskatalog.

Und dass es einen entscheide­nden Entwicklun­gsschritt gab. „Die Leute haben auf E-Bikes gewartet“, hat der Memminger Manfred Neun, Präsident des Europäisch­en Radfahrer-Verbandes, schon vor fünf Jahren in einem Interview mit unserer Zeitung gesagt. Die Verkaufsza­hlen seit dieser Zeit bestätigen seine Einschätzu­ng. Ob Stadt-, Renn- oder Trekkingra­d – sie alle werden längst mit elektrisch­er Unterstütz­ung angeboten. „Es gibt jetzt E-Mountainbi­kes, die sehen

Für 12,8 Kilometer brauchte er am Ende eine Stunde Die Zahl der Unfälle stieg, quer über den Globus wurden die Gefährte deshalb verboten, Drais starb verarmt

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Bild: Technoseum, cim

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